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Politik - 20.11.2018

Erdogans „Hexenjagd“ nimmt kein Ende

Auch mehr als zwei Jahre nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei ist ein Ende der Verhaftungswelle nicht in Sicht!

Am Mittwoch wurden in einer groß angelegten Aktion 195 Menschen festgenommen – wegen ihrer angeblichen Mitgliedschaft in der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Beamte der Abteilung für organisiertes Verbrechen zogen die Operation in 21 Städten durch.

▶︎ Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan macht den im US-Exil lebenden Gülen für den Putschversuch von 2016 verantwortlich.

▶︎ Seit dem Putschversuch haben die türkischen Behörden wegen angeblicher Verbindungen zu den Putschisten rund 218 000 Menschen festnehmen lassen. 16 684 der Betroffenen wurden laut Anadolu bereits verurteilt, 14 750 befinden sich weiter in Untersuchungshaft. Erdogans Apparat nutze den Putschversuch, um eine echte Hexenjagd auf Oppositionelle zu veranstalten, kritisieren internationale Beobachter.

Türkei soll Oppositionspolitiker aus Haft entlassen

Fast zeitgleich zu der neuen Verhaftungswelle erreichte Ankara ein Urteil aus Straßburg: Die Türkei muss den seit zwei Jahren inhaftierten Oppositionspolitiker Selahattin Demirtas nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte so schnell wie möglich aus der Untersuchungshaft entlassen. Zwar habe für die Verhaftung ein begründeter Verdacht bestanden, doch sei die Länge der Untersuchungshaft nicht gerechtfertigt, hieß es.

▶︎ Der ehemalige Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP sieht sich aus politischen Gründen verfolgt und hatte Beschwerde gegen seine Untersuchungshaft eingelegt.

▶︎ Demirtas war im November 2016 unter Terrorvorwürfen verhaftet worden. Der 45-Jährige trat bei den Wahlen im Juni aus dem Gefängnis heraus als Kandidat gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan an. Demirtas erreichte mit 8,4 Prozent der Stimmen den dritten Platz.

▶︎ Die Richter urteilten nun, dass die Tatsache, dass Demirtas nicht seiner Arbeit in der Nationalversammlung nachkommen konnte, unter anderem einen unrechtmäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstelle.

Die Inhaftierung Demirtas, insbesondere während der Präsidentschaftswahlen und des umstrittenen Referendums für den Übergang von einem parlamentarischen in ein Präsidialsystem, habe das eigentliche Ziel gehabt, Pluralismus zu ersticken und die Freiheit der politischen Debatte einzugrenzen, befanden die Richter.

Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass die Türkei Demirtas so schnell wie möglich aus der Untersuchungshaft wegen der aktuellen Vorwürfe entlassen muss – es sei denn, die Türkei trage neue Gründe und Beweise für die Inhaftierung vor.

Erdogan hat die Entscheidung des Straßburger Menschenrechtsgerichts zur Entlassung des pro-kurdischen Politikers Selahattin Demirtas als nicht bindend bezeichnet. „Die Urteile des EGMR sind nicht bindend für uns. Wir machen einen Gegenzug und beenden die Sache“, sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag. Was er damit meinte, ließ Erdogan im Unklaren.

  • Ihm drohen 142 Jahre Haft

    Jetzt spricht Erdogans Erzfeind

    Er sitzt seit einem Jahr in Untersuchungshaft. Jetzt spricht Selahattin Demirtas, Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, mit BILD.

Erneut Deutscher in Türkei vor Gericht

In Istanbul hat am Mittag der Prozess gegen den Deutschen Adil Demirci begonnen. Der Kölner Sozialarbeiter (32) war im April in Istanbul während eines Kurzurlaubs inhaftiert worden. Die Staatsanwaltschaft wirft Demirci, der auch für die linke Nachrichtenagentur Etha geschrieben hat, unter anderem Mitgliedschaft in der linksextremen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei vor. Die MLKP gilt in der Türkei als Terrororganisation.

Laut Anklageschrift, die der deutschen Presseagentur vorliegt, weist Demirci alle Terrorvorwürfe zurück. Zusammen mit ihm stehen 22 weitere Angeklagte wegen ähnlicher Vorwürfe vor Gericht.

Der Prozess gegen Demirci ist der dritte gegen deutsche Staatsbürger wegen „Terrorvorwürfen“ innerhalb kurzer Zeit. Die beiden jüngsten Prozesse gegen Patrick K. aus Gießen und eine Sängerin mit dem Künstlernamen Hozan Cane aus Köln, mündeten Ende Oktober und Mitte November in Gefängnisstrafen von mehr als sechs Jahren. Das Auswärtige Amt zählt derzeit noch fünf Bundesbürger, die aus „politischen Gründen“ in der Türkei in Haft sind.

Im Gerichtssaal waren viele Beobachter aus Deutschland anwesend. Unter ihnen waren Generalkonsul Michael Reiffenstuel, der Aktivist und Autor Günter Wallraff, die Linken-Abgeordnete Heike Hänsel und der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich.

Demircis Anwalt Keles Öztürk sagte am Morgen, er werde die Freilassung seines Mandanten aus der U-Haft fordern. Die Linken-Abgeordnete Heike Hänsel sagte, die Anklage gegen Adil Demirci sei „ähnlich konstruiert wie die gegen die deutsche Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu“, die im Spätsommer nach Deutschland ausreisen durfte – die Entlassung aus der U-Haft sei also möglich. Mützenich kritisierte die „lange U-Haft“. Dies sei ein politisch motiviertes Verfahren.

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