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Politik - 10.05.2019

Rechter Spuk überschattet EU-Gipfel

Ausgerechnet aus Transsilvanien wollen Staats- und Regierungschefs mit neuer EU-Agenda Optimismus verbreiten + Theresa May fehlt, Störfaktor diesmal: Orban

Alles sah so aus, als könne diesmal nicht viel schiefgehen.

Mit Blick auf die Europawahlen in zwei Wochen sollte vom informellen EU-Gipfel in Hermannstadt (rumänisch: Sibiu) heute Mittag eine „Botschaft der Einheit und des Vertrauens in unser gemeinsames Handeln“ ausgehen, wie Ratspräsident Donald Tusk in seine Einladung an die Staats- und Regierungschefs blumig geschrieben hatte.

Mit Bedacht wurde der 9. Mai als Termin gewählt, der wegen der Geburtsstunde der Montanunion („Schumann-Erklärung“ am 9. Mai 1950) als Europatag begangen wird, in Luxemburg gar als gesetzlicher Feiertag.

Und damit das Dauer-Thema Brexit nicht wieder gefühlte 99 Prozent der Aufmerksamkeit aufsaugt, fehlt dieses Mal Theresa May. Wegen des eigentlich längst überfälligen Briten-Austritts hatte die Premierministerin von sich aus kein Interesse angemeldet, an einem Gipfel teilzunehmen, an der die Zukunftsagenda der EU vordiskutiert werden soll.

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Doch nicht die Tatsache, dass der Gipfel unter rumänischer Ratspräsidentschaft ausgerechnet in Transsilvanien (deutsch: Siebenbürgen) stattfindet, der „Heimat“ von Vampir-Graf Dracula, sorgt bei der Gipfel-Familie für böses Blut. Sondern die wachsende Furcht vor einem – für Pro-Europäer – gruseligen Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament mit seinen 751 neu zu vergebenden Sitzen.

Drei Nackenschläge in einer Woche

Es ist der Spuk der Rechtspopulisten, den die Parteien von Mitte-rechts bis Mitte-links in der gerade eingeläuteten Endphase des Wahlkampfes umtreibt.

► Am Sonntagabend wurde bekannt, dass Frankreichs Präsident und EU-Hoffnungsträger Emmanuel Macron mit seiner Partei in Umfragen einen halben Prozentpunkt hinter die Rechtsradikale Marine Le Pen zurückgefallen ist. Die war im Kampf um die Präsidentschaft noch mit dem EU-Austritt Frankreichs auf Wählerfang gegangen, versucht es jetzt mit einem gemäßigteren Anstrich.

► Am Montag ließ Ungarns regierender Dickschädel Viktor Orban (Fidesz) verbreiten, dass er seine Unterstützung für Manfred Weber (CSU), den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) aufkündigt. Dies gilt als Retourkutsche auf Klarstellungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass es nach der Wahl „keinerlei Kooperation mit rechten Parteien geben wird“. Orban hatte hingegen mit großem Tamtam den itallienischen Rechtsrabauken Matteo Salvini in Budapest empfangen und eine künftige Zusammenarbeit mit dessen neuer Rechtsallianz angeregt.

►Und schließlich ist seit Dienstag endgültig klar, dass die Briten an der Europawahl teilnehmen, weil das EU-Recht keine andere Lösung zulässt. Davon profitiert ausgerechnet der größte und gewiefteste EU-Hasser Nigel Farage, dessen neu gegründete Brexit-Partei in Umfragen vorn liegt. Farage könnte also seine bereits geräumten Abgeordneten-Büroräume in Brüssel und Straßburg erneut beziehen und die EU z.B. mit seiner Forderung piesacken, sie könne sich die milliardenschwere Abschlusszahlung der Briten abschminken.

Gruseln gehört in Sibiu zum Geschäftsmodell

Das alles müsste die Teilnehmer des Gipfels in der sehenswerten Altstadt von Hermannstadt nicht davon abhalten, sich auch „in echt“ zu gruseln: Im Ratturm, einem Wahrzeichen der Stadt direkt neben dem Großen Ring (Piaţa Mare), dient derzeit eine Scharfrichterpuppe als Touristenschreck. Dracula-Touren durch Transsilvanien gehören ohnehin längst zum Standard-Angebot cleverer örtlicher Reiseveranstalter…

Treueschwur in Transsilvanien

Inhaltlich geht es in der geplanten „Erklärung von Sibiu“ um ein Bekenntnis zur engen und fairen Zusammenarbeit sowie einer stärkeren Rolle für Europa auf der Weltbühne. Die Agenda für die kommenden fünf Jahre liest sich wie ein Wunschzettel der EU an sich selbst, z.B. mit dem hehren, aber bislang unrealistischen Ziel, das EU-Asylrecht zu reformieren.

Aber der 10-Punkte-Plan ist auch eine Art Treueschwur für stürmische Zeiten. Die EU-Staaten wollen sich zu den EU-Grundwerten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit bekennen, sichern einander Solidarität zu: „Wir werden immer zusammenstehen.“

„Wir glauben alle, dass gemeinsames Handeln besser ist“, sagte die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem kurzen Statement zum Gipfel-Auftakt.

Schwierig macht das im Moment die weltpolitische Lage: Nachdem das Mullah-Regime einige Verpflichtungen aus dem Atom-Abkommen von 2015 ausgesetzt hat, erwartet Washington von den Europäern ein Umschwenken auf die harte Sanktionslinie von US-Präsident Donald Trump. Das Thema ist zu brisant, als dass es beim Gipfel unter die roten Teppiche gekehrt werden könnte.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte zu Beginn des EU-Gipfels, dass man sich nicht auf die von den USA forcierte Eskalationsspirale einlassen dürfe. „Der Ausstieg aus dem Vertrag wäre ein Fehler.“

Macron macht beim Klimaschutz Druck

Weiterer Macron-Akzent: Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Frankreich fordert im Verbund mit sieben anderen Ländern (u.a. Niederlande und Dänemark) sogar, den Klimaschutz zum Kern der EU-Strategie für die Jahre 2019 bis 2024 zu machen. Deutschland gehört nicht zu den Unterzeichnern des ehrgeizigen Appells, der den „Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft“ bis spätestens zum Jahr 2050 fordert. Die Forderung wird allerdings auch von konservativen EVP-Abgeordneten wie dem CDU-Politiker Peter Liese unterstützt.

Nicht weniger brisant: Die Staats- und Regierungschefs wollen erste Gespräche über die Besetzung von europäischen Spitzenposten führen. Indem sie auf ihr Vorschlagsrecht für das Amt des Kommissionspräsidenten pochen gehen sie auf Konfrontation zum Europäischen Parlament, das einen der Spitzenkandidaten bei den Europawahlen für die Nachfolge von EU-Boss Jean-Claude Juncker (64) wählen will.

Webers Gegner kommen aus der Deckung

Weil dort eine schwierige Mehrheitsbildung erwartet wird, geistert seit Tagen der Name Michel Barnier (68, EVP, derzeit Brexit-Unterhändler) als möglicher Kompromiss-Kandidat durch die Brüsseler Hinterzimmer. Der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber (46, CSU) kritisierte die Spekulationen: Er sei beim EVP-Parteitag im November mit 79 Prozent zum EU-Spitzenkandidaten gewählt worden. Die EVP mache sich „lächerlich“, wenn sie sich daran nicht halte.

Mehrfach wurde auch die Bundeskanzlerin als Alternative ins Spiel gebracht – doch die schließt einen Wechsel nach Brüssel aus. Ambitionen nachgesagt werden dafür dem Niederländer Mark Rutte (52).

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (32) forderte kurz vor Gipfel-Beginn einen „Generationswechsel“ für die EU und einen neuen EU-Vertrag.

Ich möchte die #EU besser machen und weiterentwickeln. Wenn wir #Europa grundlegend reformieren und wettbewerbsfähig bleiben wollen, dann braucht es einen neuen zeitgemäßen EU-Vertrag & einen Generationswechsel an der Spitze.

— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) May 9, 2019

Kurz wirbt für Weber als neuen Kommissionspräsidenten. Griechenlands linker Premierminister Alexis Tsipras (44. Syriza) sprach sich hingegen in Sibiu klar gegen den CSU-Politiker aus.

Halbes „Heimspiel“ für Merkel

Wer in Hermannstadt nach deutschen Spuren sucht, muss nicht lange suchen. Zwar stellt die deutsche Minderheit nur noch 1500 der 150 000 Einwohner der Stadt, die als Musterbeispiel friedvollen Miteinanders gilt und es bis zur Europäischen Kulturhauptstadt (2007) brachte. Doch politisch ist ihr Einfluss überragend: Ex-Bürgermeister Klaus Iohannis (59) ist der amtierende Präsident Rumäniens, als stärkste politische Fraktion stellt das „Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR)“ auch aktuell die Bürgermeisterin.

Ioannis wurde bei seinem Eintreffen mit warmem Applaus begrüßt. Er kritisierte, dass die Bürger Europas noch immer nicht direkt den Rats- oder Kommissionspräsidenten wählen können. „Wenn wir Europa wieder näher an die Wähler bringen wollen, müssen wir dem Wähler etwas zu wählen geben“, sagte der deutschstämmige Politiker.

Merkel wird, wie mehrfach in der Vergangenheit, zum Abschluss ihres Besuchs am Abend mit Vertretern der deutschen Minderheit zusammen treffen. Gemeckert wird bei den Siebenbürger Sachsen traditionell wenig. Und auch nicht bei den Rumänen an den Absperrungen, die die Politiker nach dem „Familienfoto“ u.a. mit „Europa“-Sprechchören feierten.

Selten genug: Die Staats- und Regierungschefs (inklusive Angela Merkel) nutzten den Moment zu einem etwa zehnminütigen Bad in der Menge, bevor es zum Mittagessen ins nahe Brukenthal-Museum ging.

Dabei hatte Tusk in seinem Einladungsbrief nach wochenlangen Regenfällen noch gewarnt: „Familienfoto nur, sofern es das Wetter erlaubt“.

Die Vorsichtsmaßnahme, an alle akkreditierten Gipfel-Berichterstatter Regenschirme zu verteilen, erwies sich ebenfalls als überflüssig: Statt dunkler Wolken, Sturm und Schauer empfing die Gipfelteilnehmer im Land der Vampire strahlender Sonnenschein.

Vielleicht dann doch ein gutes Omen für die Europawahlen ab 23. Mai…

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