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Kultur - 07.06.2019

„Viele Menschen nehmen die Kunst zu ernst“

Zum Totlachen: Die pakistanische Künstlerin Bani Abidi liebt Berlin – und stellt ihre humorvollen Filme und Drucke jetzt im Gropius-Bau aus.

Die Heimat im Herzen tragen. Bani Abidis „Karachi Series I“ von 2009.

Ein Lachen oder zumindest ein Lächeln hat Bani Abidis Kunst bisher immer auslösen können, auch wenn die Künstlerin aus Pakistan ernste Themen anpackt. Doch angesichts ihrer jüngsten Arbeit, der ersten, in der auch Berlin eine Rolle spielt, verbietet sich jede Heiterkeit. Gefragt, ob das mit der Stadt, in der sie seit ihrem DAAD-Stipendium 2011 lebt, zu tun habe, muss die sonst so schnell antwortende Künstlerin kurz überlegen.

Abidi zeigt ab dem heutigen Donnerstag erstmals eine große Einzelausstellung in Berlin (Gropius-Bau, bis 22. September, Mittwoch bis Montag, 10–19 Uhr, Hausticket 15/ 10 Euro, bis 16 Jahre frei). An den Tagen vor der Eröffnung stellen Techniker Ton und Saallicht ein, Mitarbeiterinnen rubbeln letzte Klebebuchstaben auf die Brüstung der Rotunde. Abidi lässt sich einen Kaffee bringen und erläutert Grundzüge ihres Werks. „Humor ist selten in der Kunst – viele Menschen nehmen sie viel zu ernst“, sagt sie. Später führt sie rasch durch die verdunkelten Säle, in denen ihre Filmarbeiten zur Probe laufen. „They Died Laughing“ heißt ihre Schau, „Sie lachten sich tot“.

Den Gefallen der Künstlerin an komischen Momenten und schwarzem Humor lässt die von Natasha Ginwala kuratierte Werkschau leicht nachvollziehen. Zum Beispiel angesichts der Serie kleiner farbiger Tintenstrahldrucke: Schranken, Gitter, Container, Betonblöcke, Mauern sind zu sehen, Absperrungen in vielen Formen und Farben. Abidi deutet auf einen Druck mit einem geöffneten Schlagbaum, eine zierliche, rote Stange, von deren Spitze eine Schnur baumelt wie von einer Spielzeugangel. Diese Schranke halte niemanden auf, sagt Abidi, doch in ihrer Geburtsstadt Karatschi gebe es immer mehr Vorrichtungen dieser Art. Die Stadt sei gespalten, auch wegen der Angst vor Terror. Müssen das nicht unzählige Sperren sein in der Mega-City mit ihren 16 Millionen Einwohnern? 24 Millionen, korrigiert Abidi und lacht. Und sagt mit Nachdruck: Zwar zeige ihre Kunst oft Szenen aus Karatschi, doch sie „handelt nicht von Pakistan, sie handelt vom Leben an sich“.

Tatsächlich ist das, was in Abidis Kurzfilmen so lokal wirkt, oft weltweit ein Thema. Es geht um das Warten bei demütigenden Behördengängen, um Hoffnung auf Visa, um den Ersten Weltkrieg und die vergessenen Soldaten aus den Kolonien, die für die europäischen Mächte kämpfen mussten, um Dörfer, in denen die jungen Männer fehlen. Von einem Bildhauer, der einem Politiker ein Denkmal bauen soll, handelt die Video- und Fotoinstallation, die Abidi auf der Documenta 2012 zeigte. Ihre Kurzfilmserie von der Berlin Biennale 2014 thematisiert Veränderungen in Karatschi wie den Abriss von Altbauten oder Vergnügungsparks und die Privatisierung öffentlicher Strände. Ihre Arbeiten kommentierten „Architektur und Identität“ unter dem Gesichtspunkt von Verwerfung und Umsiedlung, schrieb das Onlinemagazin „Art Radar“ aus Asien über Abidis Werk.

Männer wollen ständig der Stärkste sein

Auch ihr Beitrag für ihre erste kleine Berliner Soloschau, 2017 im Kabinett des Neuen Berliner Kunstvereins (NBK), ist im Gropius-Bau zu sehen. „An Unforeseen Situation“ amüsiert sich über staatlich geförderte Wettkämpfe in Pakistan, deren Teilnehmer Weltrekorde brechen wollen.

Ständig darum zu konkurrieren, der Stärkste zu sein, findet Abidi, sei überall eher eine Sache von Männern. Eine Schwäche, die sich Nationalisten zunutze machen. Was sie davon hält, spiegelt die Wettkampfdisziplin, die sie in Szene gesetzt hat: Junge Burschen trainieren dafür, so viele Walnüsse wie nur irgend möglich mit der bloßen Stirn zu zertrümmern.

Bani Abidi, geboren 1971 in Karatschi.

An den NBK erinnert sich Bani Abidi gern. Erstmals habe sie in Berlin gute Interviews geben können, angenehm überrascht darüber, dass niemand sie nach ihrem Selbstverständnis als Muslima gefragt habe, wie in den USA üblich. Zudem habe sie im NBK so etwas wie ihr Berliner Coming-out gehabt: Abidi machte damit in Berlin öffentlich, dass auch sie in der Stadt lebt – wie viele andere internationale Künstler und Künstlerinnen, die oft nicht voneinander wissen, dass sie am selben Ort arbeiten.

Abidi wohnt in Neukölln, im dörflichen Rixdorf, der Vater ihres Kindes gleich nebenan. Sie machen „Co-Parenting“, wie sie ungefragt berichtet. Nach Karatschi fliegt sie oft, auch, um dort zu drehen und zu ihren Ausstellungen in Südasien aufzubrechen, etwa zu ihrer Galerie in Kalkutta. Menschen, die fortgegangen seien, trügen eine besondere Verantwortung für ihre Heimat, meint die 1971 geborene Künstlerin. Im Gegenzug könne sie von den vielen jungen Künstlern und politischen Aktivisten in Südasien lernen – wohl wissend, dass sie das Privileg zu reisen genießt.

Das Gefühl, fort zu sein

Ihr Wissen um dieses Privileg dürfte zum Ernst der neuen Arbeit aus Berlin beigetragen haben. „The Lost Procession“ heißt sie, die verschollene Prozession. „Hier geht es auch um Verlust, um das Gefühl, fort zu sein“, sagt Abidi. Die Filminstallation thematisiert Verfolgung, Ermordung, Diskriminierung und Exil der Bevölkerungsgruppe der Hazara in Afghanistan und Pakistan. Eine Prozessionsfeier in Berlin-Wedding dient als Ausgangspunkt für einen Essay über ihre Geschichte und über Fluchtwege aus Afghanistan nach Pakistan und Europa. Neben eigenen Aufnahmen nutzt Abidi Bilder aus dem Internet, über die sie Kommentare gesprochen hat.

Einen Saal weiter wartet Nastasha Ginwala auf die Künstlerin. Die Berliner Kuratorin aus Neu Delhi und Abidi kennen sich lang. Eine Freundschaft zwischen einem Menschen aus Indien und einem aus Pakistan, so sind sich die beiden lachend einig, lasse sich leichter in einem dritten Staat pflegen. Zum Beispiel in Deutschland. Auch das ein Grund für Bani Abidi, in Berlin zu leben.

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