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Kultur - 13.12.2018

Lars von Trier strapaziert die Toleranz seiner Fans

Im neuen Serienkiller-Film des dänischen Regisseurs blitzt mitunter stoischer Humor auf. Doch die Thesen des Protagonisten sind herausfordernd.

Jack (Matt Dillon, rechts) und sein Reiseführer Verge (Bruno Ganz) steigen hinab in Dantes Inferno.

Die Magie des Kinos basiert auf der Alchemie von Licht und Schatten. Sie sind – in allen ihren Grau- und Farbabstufungen – nicht nur das Material, aus dem Kinobilder entstehen, sie verfassen auch dessen selbstimmanente Eigenschaften. Das eine ist latent immer schon im anderen enthalten: ohne Licht kein Schatten. Für über 100 Jahre, in der Ära das analogen Kinos, war dieses Verhältnis im Entstehungsprozess des Kinobildes evident: Das Kameranegativ erreichte seine tiefsten Schwärzen, wo die Sonne am hellsten strahlt. Die „diabolische Qualität des Lichts“ nennt Lars von Trier diese unsichtbare Eigenschaft des Kinobildes in seinem neuen Film „The House That Jack Built“.

Wohl kaum ein Regisseur weiß so gut um die ambivalente Dualität von Licht und Schatten in der siebten Kunst wie der dänische Agent Provocateur. In der „Süddeutschen Zeitung“ erzählte von Trier kürzlich, seine depressiven Phasen treten inzwischen so häufig auf, dass er kaum noch arbeiten könne. „Breaking the Waves“, „Dancer in the Dark“ und „Dogville“, besonders aber jüngere Filme wie „Melancholia“ und „Nymphomaniac“ sind schwermütig brütende, von Selbstzweifeln zerfressende Reflexionen über das Wesen des Menschen, der stets Gutes will, am Ende aber doch Schlechtes tut. Das Kino versteht von Trier als Spiegel dieser inneren Kämpfe. Große Kunst ist nie unschuldig, vielleicht lässt sich auch unter diesem Aspekt sein witzig gemeinter Spruch, er bewundere Hitler, verstehen, der in Cannes 2011 für einen Skandal sorgte. Und vielleicht ist darum auch die Schlussfolgerung nur konsequent, dass in jedem großen Künstler auch ein kleiner Psychopath steckt.

Ringen zwischen Lust und Schmerz

In „The House That Jack Built“ vergleicht der Serienkiller Jack, gespielt von Matt Dillon, seinen Mordimpuls mit einem Nachtspaziergang auf einer von Straßenlaternen gesäumten Promenade. Wenn er im Licht steht, ist sein Schatten am kleinsten, es überwiegt das Gefühl der Befriedigung. Doch je weiter er sich von der Laterne entfernt, desto größer wird der Schatten, den er wirft. Seine dunklen Begehren ergreifen von ihm Besitz, er muss töten. Wenn er die nächste Straßenlaterne erreicht, sein Schatten also erneut geschrumpft ist, ist er für einen Moment wieder Herr seiner Sinne.

Der Spaziergänger, im Film schemenhaft animiert, ist ein Leitmotiv in „The House That Jack Built“, das von Trier in essayistischer Dialogform mit immer blumigeren Verweisen aus der Kunstgeschichte, der Verhaltensbiologie, der Architektur und der Weinlese ausschmückt. Einen Theoretiker des Tötens, nennt sein unsichtbarer Gesprächspartner Verge (Bruno Ganz) ihn spöttisch, die Zeitungen taufen den Serienkiller, der Ende der siebziger Jahre im nasskalten Nordwesten der USA sein Unwesen treibt, zur Freunde Jacks, „Mr. Sophistication“. Denn Jack hält sich für einen Künstler. Dass sein ultimatives Meisterwerk sich schließlich als ein „Menschengebäude“ aus präparierten Leichen erweist, gehört da noch zu den harmloseren Bildern, mit denen Lars von Trier sein Publikum in knapp 150 Minuten traktiert.

Von Trier hat „The House That Jack Built“ in erster Linie für sich selbst gemacht, seine Fans haben das zweifelhafte Vergnügen, Zeuge dieser Selbsthinterfragung zu werden. Und man muss schon ein echter Fan sein, um sich den Gedankenspielen des Regisseurs freiwillig auszusetzen. Auf dem Höhepunkt, auf den die „fünf willkürlich gewählten Vorfälle über einen Zeitraum von zwölf Jahren“, wie es am Anfang heißt, mit dem unerbittlichen Todestrieb des Künstlers/Serienmörders zusteuern, der seine Methode sukzessive verfeinert, hat von Trier noch einmal sein eigenes Werk aufgesucht: in elegischen digitalen Tableaus vivantes aus „Der Antichrist“ und „Melancholia“. Da befindet Jack sich längst auf den Spuren Dantes, im roten Gewand, wie William Blake ihn malte, mit seinem Begleiter Vergil durch die neun Höllenkreise watend.

Von Trier inszeniert seine „göttliche Komödie“

Dante ist mehr als eine – nicht mal sonderlich originelle – literarische Referenz, die von Trier für sein privates Purgatorium wählt. „Die Göttliche Komödie“ gibt auch die episodische Struktur und den intellektuellen Prozess von „The House That Jack Built“ vor: ein Stresstest für von Triers moralischen Kompass. Der Bezug auf Dante und die Fragestellungen, die die fünf Morde inklusive Jacks elaborierter Rechtfertigungsstrategien im Dialog mit seinem „Beichtvater“ Verge exerzieren, lassen auch eine wohlkalkulierte Hybris durchblicken. Aber es wäre zu einfach, diesen Prozess lediglich als aufwendig konstruierte Apologie von Triers – nicht zuletzt für die Misogynie in seinen eigenen Filmen – zu verstehen. Noch bittet Jack (beziehungsweise der Regisseur), anders als Charlotte Gainsbourg in „Nymphomaniac“, um Absolution.

Ganz, der nur in der letzten halben Stunde zu sehen ist, spricht mit moralischer Autorität. Dass zu den Bildern, die seine Stimme im Kino unwillkürlich abruft, auch die von Hitler im Führerbunker gehören, ist der sardonischen Logik dieses hochgradig reflektierten Referenzgeflechts geschuldet. Jack kennt, und das ist vielleicht der größte Affront von Triers (mehr noch als die mit sadistischer Sachlichkeit inszenierten Gewaltdarstellungen), keine moralischen Kategorien. Seine Ahnenreihe großer Genies reicht von Glenn Gould bis Albert Speer.

An Matt Dillon ist ein Komiker verloren gegangen

Ist das noch lustig? Ganz entschieden nein, obwohl gut platzierte Momente von stoischem Humor durchscheinen. Etwa als der obsessive Serienmörder, der auch noch an einem Ordnungszwang leidet, wieder und wieder an den Tatort zurückkehrt, um sich zu vergewissern, dass er keine Blutspuren übersehen hat. Und dann prompt zwei Provinzpolizisten in die Arme läuft. Diese Szenen erinnern auch wieder daran, dass an Matt Dillon, die Farrelly-Brüder hatten es früh erkannt, ein begnadeter Komiker verloren gegangen ist.

„Achte nicht auf die Taten, betrachte das Werk“, fordert Jack auf dem Höhepunkt seines Blutrausches Verge auf. Der Satz ist eine Zumutung, von Trier ist bereit, mit den letzten Tabus des Kinos zu brechen. Der dritte „Vorfall“ ist ein Picknick im Wald, bei dem Jack gemäß eines Jagdethos unter Ehrenmännern erst das „Jungwild“ erschießt, bevor er mit den aufdrapierten Leichen der Kinder und ihrer zitternden Mutter die Natur genießt. In der längsten und in ihrer mäandernden Dramaturgie am schwersten erträglichen Episode sitzt Riley Keough, von Jack nur „Dummchen“ genannt, mit freiem Oberkörper auf der Couch, ihre Brüste sind mit rotem Filzstiftmarkierungen umrissen. Wie genüsslich von Trier gerade diese Szene bis zum erwartbaren Klimax ausreizt, ist dann wohl auch das unbewusste Eingeständnis, dass die Grenzüberschreitung sich eben nicht in der Demonstration der eigenen Virtuosität erschöpfen kann.

Bruno Ganz verkörpert das Gewissen des Regisseurs

Die steilen Thesen Jacks strapazieren die Toleranz des Publikums erheblich, paradoxerweise hat man dennoch – außer in der oben beschriebenen Szene – nicht den Eindruck, dass es von Trier darum geht, um jeden Preis zu verstören. Er leidet bloß – zugespitzt formuliert – an seiner eigenen Genialität, und er lässt das Publikum an seinen inneren Zerwürfnissen teilhaben. Einmal weist Verge – von Triers personifiziertes Gewissen – Jack auf den offensichtlichen Umstand hin, dass alle seine Opfer weiblich sind. Aus der Bemerkung spricht jedoch weniger Zynismus, sondern durchaus ein Schuldbewusstsein. „Der traurige Traum von etwas Großartigem“, resümiert Verge einmal Jacks Werk – und irgendwo in den Satz steckt wohl auch eine resignierte Bilanz von Triers. „The House That Jack Built“ hat die Wucht einer bösen Schlusspointe. Was kann jetzt noch kommen? In der letzten Einstellung verbrennt der Film im „diabolischen Licht“.

In den Berliner Kinos Cinemaxx Potsdamer Platz, Cinestar im Sony Center (OV), Delphi Lux, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Moviemento, Rollberg (alle OmU)

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