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Kultur - 13.12.2018

Georges Perec wird neu aufgelegt

Der Franzose Georges Perecs war ein eigensinniger Romancier. Sein Werk ist ein lustvolles, literarisches Spiegelkabinett. Der Diaphanes Verlag legt es neu auf.

Debütierte 1965 mit dem Roman „Die Dinge“. Für dieses Stück Sozialpsychologie, in dem er den Eintritt ins Zeitalter des…

Der wahre Puzzle-Meister ist wählerisch. Für das, was sich in Spielwarengeschäften kaufen lässt, maschinell ausgestanzte Pappware, hat er nur ein müdes Lächeln übrig. Die Kunst des Puzzles beginnt für ihn mit Holzpuzzles, die – ganz klar! – von Hand ausgeschnitten werden. So hat der Hersteller die Möglichkeit, die Puzzleteile mit Illusionseffekten zu versehen. Für den Puzzelnden heißt das: Mit der vermeintlichen Freiheit des Spiels ist es nicht weit her, der Puzzlebauer ist ihm gleichsam immer schon einen Schritt voraus: „Jeder Baustein, den er liebkost, jede Kombination, die er versucht und wieder versucht, jedes Tasten, jede Intuition, jede Hoffnung, jede Entmutigung, sind von dem anderen ergründet, auskalkuliert, beschlossen worden.“

Der französische Schriftsteller Georges Perec, 1936 in Paris geboren, war unter den literarischen Puzzle-Meistern einer der größten. Folgte man der Logik eines seiner Romane, müsste er eher Gaorgas Parac heißen oder Guorgis Piruc. In jenem 300 Seiten dicken Buch hat er es sich zur Aufgabe gemacht, kein „e“ zu verwenden, ausgerechnet jenen Vokal, der im Französischen am häufigsten vorkommt. „La disparition“ lautet der Titel im Original, „Anton Voyls Fortgang“ ist daraus im Deutschen geworden.

Ein Meister der Pseudo-Beschreibung

Ende der sechziger Jahre wurde Perec Mitglied von Oulipo, der „Werkstatt für potentielle Literatur“, die unter anderem von Raymond Queneau gegründet worden war. Die Oulipoten hatten große Lust, sich selber Regeln auszudenken und diese für die Form ihrer Texte zu nutzen – ein Zwang, der gerade zu neuen sprachlichen Möglichkeiten führen sollte. Doch Perec stapelte tief. Eigentlich, meinte er einmal, habe er in „La disparition“ nur ein Stück Land und ein paar Figuren beschreiben wollen.

Die Beschreibung hatte es ihm von Beginn an angetan. Oder vielleicht müsste man genauer sagen: eine eigene Kunst der Pseudo-Beschreibung. In „Versuch, einen Platz in Paris zu erfassen“ etwa machte er nichts anderes, als an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Oktober 1974 vom Café aus den Pariser Place Saint-Sulpice zu beobachten und alles zu notieren, „was passiert, wenn nichts passiert außer Zeit. Menschen, Autos und Wolken“. Die immer gleichen Skizzen von Datum, Uhrzeit, Ort, Witterung, vorbeifahrenden Autos und vorbeieilenden Menschen münden für den Leser jedoch nicht in bohrende Langeweile, ganz im Gegenteil, nach einer Weile glaubt man fast, man schweife aus in die Welt, vielleicht sogar in die Welt der Imagination, befinde sich „in Étampes oder in Bourges oder womöglich irgendwo in Wien“.

Wundersames Textlabyrinth

Dass es Perec bei alledem keineswegs nur um Etüden ging, zeigte er in seinem Buch „W oder die Kindheitserinnerung“. Dort lässt er in einem wundersamen Textlabyrinth die biografischen Spuren seines Schreibens aufscheinen: „Ich habe keine Kindheitserinnerungen. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr etwa lässt sich meine Geschichte in wenigen Zeilen zusammenfassen: mit vier Jahren habe ich meinen Vater, mit sechs meine Mutter verloren; ich habe den Krieg in verschiedenen Internaten in Villard-de-Lans verbracht. 1945 adoptierten mich die Schwester meines Vaters und ihr Mann.“ Sein Vater fiel als Freiwilliger der französischen Armee im Krieg, seine Mutter wurde im Konzentrationslager ermordet. Perec, der Sohn jüdischer Einwanderer aus Polen, nutzte die Bruchstücke seiner eigenen Geschichte nicht zuletzt, um die Struktur der Lager zu analysieren.

Das Leben war ihm immer wichtig, sogar, nein, vor allem dort, wo es sich um das scheinbar Belanglose handelte, die Tatsache etwa, dass es beim Gemüsehändler keine Zigaretten gibt. „L’infra-ordinaire“ nannte Perec jene Momente, die noch gewöhnlicher als das Gewöhnliche sind. In seinem „Romane“ untertitelten Buch „Das Leben. Gebrauchsanweisung“ hat er tausende solcher infra-ordinären Details versammelt, von Möbelstücken und Teppichen bis zu einer Schachtel Münsterkäse, einem Säckchen Kümmel und einem danebenliegenden Messer.

Der Spiegelungseffekt als Handlungsprinzip

Ein Puzzle-Meister ist die Hauptfigur dieses an Hauptfiguren reichen, eigentlich einzig mit Hauptfiguren spielenden Prosakolosses. Der Erzähler des Buches wandert von Wohnung zu Wohnung und gibt seiner Kunst der Beschreibung Raum, berichtet hier von einer Trennung, dort von Puzzleteilchen, die mit so viel List ausgeschnitten sind, dass sich manchmal kaum entscheiden lässt, ob sie etwa zu einem Bäumchen gehören oder zu seinem „kaum getrübten Spiegelbild in einem Spiegel“.

Es ist dem kleinen Zürcher Verlag Diaphanes hoch anzurechnen, dass er Perecs Bücher seit einigen Jahren wieder auflegt. Nach und nach werden sie in schön gemachten Ausgaben veröffentlicht, zum Teil leicht überarbeitet, die meisten von ihnen in den großartigen Übersetzungen von Eugen Helmlé, der im Jahr 2000, 18 Jahre nach Perec, gestorben ist. Gerade ist „Ein Kunstkabinett“ erschienen, nach Perecs eigenen Worten eine Art schlanker Nachklapp zu „Das Leben. Gebrauchsanweisung.“

Und tatsächlich erhebt Perec in diesem Büchlein den Spiegelungseffekt zum Prinzip. Im Mittelpunkt steht das Gemälde des fiktiven Malers Heinrich Kürz. Darauf ist der nicht minder erfundene Bierbrauer Hermann Raffke zu sehen, umgeben von seinen Bildern, die er über viele Jahre hinweg in aller Welt gesammelt hat. Raffinierterweise hat Kürz sein Gemälde ins Gemälde gesetzt. Im anverwandelten Ton einer Studie oder eines Kunstkataloges schenkt Perec seinen Lesern seitenweise Beschreibungen von Gemälden, die sich teils außerhalb des Bildes „Ein Kunstkabinett“ befinden, teils darauf abgebildet sind und kleine Motive des Hauptgemäldes und der „wirklichen“ Bilder wiederholen oder in zahllosen Nuancen variieren.

Die etablierte Ordnung der Kunst stören

So entsteht eine „unendliche Spiegelarbeit“, wie es an einer Stelle heißt. Auch wenn Perec am Ende des Buches ein wenig plump just diesen Effekt noch einmal erklärt, freut man sich als Leser über die jeder Seite eingeschriebene Lust, mit der er sein literarisches Spiegelkabinett verfertigt hat. Der Clou des Textes besteht darin, dass sich das Verhältnis von Erfindung und Wirklichkeit neu ausrichtet.

Heimito von Doderer meinte einmal, für den Schriftsteller sei es entscheidend, in ein erfundenes Gewand zu schlüpfen und bei wirklichen Ärmeln herauszukommen. In Umkehrung und zugleich Fortschreibung dieser Idee notiert Perec: Der Künstler „störe die ,etablierte Ordnung’ der Kunst und finde hinter der Aufzählung wieder die Erfindung, hinter dem Zitat den Funkenflug, hinter dem Erinnern die Freiheit.“

Ein solcher Funkenflug und eine solche Ahnung von Freiheit sind noch in jedem von Georges Perecs Büchern spürbar. Gewiss trifft auf sie zu, was der Erzähler in „Das Leben. Gebrauchsanweisung“ einmal über die Einlegearbeiten einer anderen Hauptfigur bemerkt, eines Liebhabers von Spiegeln übrigens: „Erst wenn man näher an sie herantrat, konnte man ermessen, welcher Geduld, Sorgfalt und selbst Genie es bedurft hatte, um sie zu schnitzen.“

Georges Perec: Das Leben. Gebrauchsanweisung. Romane. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Diaphanes, Zürich 2017. 850 S., 25 €.

Georges Perec: Ein Kunstkabinett. Geschichte eines Gemäldes. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Diaphanes, Zürich 2018. 84 S., 10 €.

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