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Kultur - 22.05.2019

Wie verhielten sich die „Brücke“-Maler zum Nationalsozialismus?

Nach dem Krieg galten sie als Helden der Kunst – und heute? Eine Dahlemer Schau zeichnet ein ambivalentes Bild der „Brücke“-Maler, zu denen Nolde kurz gehörte.

Ausdruck des „inneren Widerstands“? Karl Schmidt-Rottluffs „Brücke mit Eisbrechern“ (1934).

Angela Merkel hat zwei Gemälde von Emil Nolde aus ihrem Arbeitszimmer verbannt. Eines davon, das Seestück „Brecher“ hängt seit einigen Tagen in der Nolde-Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Seine Kunst galt in Hitlerdeutschland als „entartet“, obwohl der Maler selbst glühender Nazi und Antisemit war. Nordseewellen oder Stiefmütterchen mögen harmlose Motive sein, trotzdem kann man sich die (diplomatisch motivierten) Gründe der Kanzlerin ausmalen. Nicht ganz so nachvollziehbar ist Merkels Verzicht auf zwei Gemälde von Karl Schmidt-Rottluff, die ihr von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ersatzweise angeboten wurden. Antisemitische Äußerungen des Künstlers aus der Zeit des Ersten Weltkriegs mögen der Grund sein. Die Briefstellen werden in der Ausstellung „Flucht in die Bilder?“ im Brücke-Museum zitiert. Aya Soika, Kokuratorin dieser wie auch der Nolde-Schau, betont den Unterschied: „Man sollte Schmidt-Rottluffs Briefe auch nicht überbewerten. Aus der Zeit nach 1933 sind keine Aussagen von ihm bekannt, die NS-Sympathien zeigen oder antisemitisch sind.“

Die Künstler der „Brücke“, deren Mitglied Nolde nur wenige Monate war, werden in der von Brücke-Museumsdirektorin Lisa Marei Schmidt, Meike Hoffmann und Aya Soika konzipierten Ausstellung keineswegs an den Pranger gestellt. Doch die Künstlerbiografien verschwinden nun nicht mehr hinter der „Autonomie der Kunst“. Seit ihrem Amtsantritt 2015 setzt Schmidt auf Kontextualisierung. Und auch Soika möchte ihren Gegenstand nicht auf „ästhetische und formale Gesichtspunkte“ reduzieren – wie es im Brücke-Museum jahrzehntelang die Regel war.

Unterschied zwischen ästhetischer Verfemung und politischer Verfolgung

Die Schau „Flucht in die Bilder?“ setzt „Brücke“-Kunst und historische Entwicklungen miteinander in Beziehung. Zwischen 1933 bis 1937 erhitzte die Frage, ob man Nolde oder Heckel nicht doch in den Kunstkanon aufnehmen sollte, die Gemüter. Am Ende setzten reaktionär-völkische Ideologen wie Alfred Rosenberg und Paul Schultze-Naumburg im „Expressionistenstreit“ das akademisch-naturalistische Kunstideal durch.

Dass es progressive, der Moderne zugetane Kräfte in der NSDAP gab, ist eine durchaus verstörende Einsicht. Ähnlich ungemütlich wird es, wo die Kuratorinnen biografisch Verschwommenes nachschärfen. Es wurde Zeit, 35 Jahre nach dem Tod des Museumsgründers Schmidt-Rottluff. Präziser als bisher unterscheiden die Kuratorinnen zwischen ästhetischer Verfemung und politischer Verfolgung. Letztere haben Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Max Pechstein und Ernst Ludwig Kirchner nämlich nicht erleiden müssen – nachdem die Feme-Schau „Entartete Kunst“ 1937 in München den Expressionismus in Nazideutschland endgültig exkommuniziert hatte.

Die Schau würdigt eine deutsch-jüdische Sammlerin

Anders als etwa der 1943 im Konzentrationslager ermordete Otto Freundlich waren die „Brücke“-Mitglieder auch nicht vom mörderischen Antisemitismus des Regimes betroffen. Abgesehen von Emil Noldes perfidem Versuch, Pechstein bei Goebbels als „Juden“ zu denunzieren. „Wäre ich es“, schrieb Pechstein 1934 an einen Schweizer Sammler, „so würde ich mir auch nichts daraus machen, für mich entscheidet der Mensch, und ich lasse mir meine jüdischen Freunde nicht nehmen, welche ich als zuverlässig und gütig erkannt habe…“

Eine Extra-Museumswand würdigt die deutsch-jüdische Sammlerin Rosa Schapire, die sich 1939 ins Londoner Exil retten konnte. Schapire hatte besonders Schmidt-Rottluff früh gefördert. Der Künstler malte die Mäzenin 1911, das in roten und grünen Tönen leuchtende Ölporträt ist in der Ausstellung zu sehen.

Das Narrativ der „inneren Emigration“ erscheint fragwürdig

Die Geschichte der „Brücke“ im Nationalsozialismus entwickelt sich widersprüchlich, wie „Flucht in die Bilder?“ eindrucksvoll zeigt. Der Ausstellungstitel deutet an, dass das mit Schmidt-Rottluff und Co. verbundene Narrativ der „inneren Emigration“ fragwürdig ist. Kirchner, der seit 1917 in der Schweiz lebte und sich 1938 in Davos das Leben nahm, bleibt in dieser Schau eher Randfigur. Mit der fahlgelben „Schafherde“ ist aber sein letztes Gemälde ausgestellt. „K. litt seelisch unsagbar unter der Diffamierung in Deutschland. Dazu kam, dass er auch hier in der Schweiz sich im luftleeren Raum fühlte“, schrieb Kirchners Frau Erna nach seinem Suizid.

Schmidt-Rottluff, Heckel und Pechstein, die im Zentrum der Schau stehen, handeln vielfach pragmatisch. Pechstein nimmt 1934 an einem „Kraft durch Freude“-Wettbewerb für ein Wandbild teil, sein Entwurf zeigt vier Schmiede, die auf einen Amboss einhämmern – und ein Hakenkreuz. Ebenso wenig vom eruptiven „Brücke“-Gestus früherer Jahre ist auf Erich Heckels Triptychon „Jungen am Strand“ von 1934 übrig geblieben. Die drahtigen Knaben, darunter ein Speerwerfer, passen durchaus in die „neue“ Zeit.

Ihre Heroisierung wird nach der Befreiung zur Staatsräson

Bei einer Reihe von Landschaftsbildern, die Schmidt-Rottluff in der NS-Zeit malte, sind die beigefügten späteren Deutungen aufschlussreich. Figuriert die „Brücke mit Eisbrechern“ von 1934 wirklich als „Ausdruck des aktiven Widerstands“, wie der Gründungsdirektor des Brücke-Museums, Leopold Reidemeister 1984 schrieb? 1944 malt Schmidt-Rottluff eine „Autobahnbrücke“. Über das Sujet mag man staunen, waren Schnellstraßen doch Fortschrittssymbole des Hitler-Regimes. Die Kuratorinnen stempeln die Künstler nicht zu Mitläufern oder gar zu Nazi-Sympathisanten ab. Es ist weit interessanter, sich in die Lage von Kunstschaffenden in schwierigen Zeiten zu denken.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beeilen sich die Alliierten damit, die aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängten Künstler zu rehabilitieren. Heckel, Pechstein und Schmidt-Rottluff werden nicht einmal gefragt, ob sie als Helden des NS-Widerstands gefeiert werden möchten – im Zuge der britisch-amerikanischen re-education wird die Heroisierung zur Staatsräson. Zur Geschichtsklitterung tendiert diese Deutung speziell bei Nolde, mit den nun im Hamburger Bahnhof ausführlich geschilderten Folgen bis in die heutige Rezeptionsgeschichte.

Für den zweiten, die Nachkriegsjahre beleuchtenden Ausstellungsteil kooperierte das Brücke-Museum erstmals mit dem benachbarten Kunsthaus Dahlem, wo die Zeit zwischen 1945 und 1949 im Fokus steht (mit Schmidt-Rottluffs „Blockadestilleben“ aus dem Kalten Krieg als Finalwerk). Das 1942 fertiggestellte Gebäude wurde für den Bildhauer Arno Breker errichtet, einer der meistbeschäftigten Künstler des Dritten Reichs: Eine ganz andere, im Vergleich zu den „Brücke“-Schicksalen unkomplizierte Karriere.

Brücke-Museum, Bussardsteig 9, Dahlem, bis 11. August, Mi – Mo 11 – 17 Uhr

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