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Kultur - 17.01.2019

Wenn Nandi würdig grüßt

Ende 2019 soll das Humboldt Forum im Berliner Schloss eröffnen. Vorboten der Sammlungen, die dort ihr neues Zuhause finden, können Besucher schon jetzt erleben.

Die hölzerne Nandi-Skulptur aus dem Museum für Asiatische Kunst stammt aus dem 19. oder 20. Jahrhundert.

Bis zum kommenden Frühjahr stellen die Akteure des Humboldt Forums die ersten 15 Objekte vor, die die Vielfalt der künftigen Sammlungen widerspiegeln sollen – von Wissenschaft und Kunst über Natur und Kultur bis zu Geschichte und Gesellschaft. Dazu soll es acht Gespräche sowie eine Ausstellung auf der Museumsinsel und im Kulturforum geben. Der Tagesspiegel begleitet die Veranstaltungen mit einer Serie – und fragt ganz unterschiedliche Menschen, was die Objekte ihnen erzählen.

Den Anfang macht Nandi, ein Stier aus der hiduistischen Mythologie, der in Indien vielerorts die Tempel des Gottes Shiva bewacht. Eine hölzerne Skulptur des würdig ausschreitenden Zebu-Rinds aus dem Museum für Asiatische Kunst ist nun bis Mai 2019 in der Prozessionsstraße im Pergamonmuseum zu sehen, bevor das Exponat endgültig ins Humboldt Forum umzieht. Eine Expertin aus dem Museum, ein indischer Tempelgründer und ein Almbauer haben ihr Wissen und ihre Gedanken zu Nandi mit uns geteilt

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Martina Stoye
ist Kuratorin für die Kunst Süd- und Südostasiens am Museum für Asiatische Kunst. Im Humboldt Forum konzipierte sie die Räume zur Kunst des Hinduismus, des Buddhismus und des Jainismus.

Ist er nicht rundum schön? Als würde er einen Laufsteg entlangschreiten – so elegant kommt dieser fast lebensgroße Buckelstier daher. Der unbekannte Schöpfer der südindischen Tierskulptur muss ein Meister seiner Zunft gewesen sein. Gelang es ihm doch, dem hölzernen Zebu-Rind etwas unverwechselbar „Rindviehhaftes“ zu verleihen, es aber gleichzeitig mit großer Anmut und einer heiteren Lebhaftigkeit auszustatten.

Mit Schwung und doch würdevoll schreitet das Tier aus, den Kopf mit perfekt geformten Hörnern grazil zur Seite geneigt. Mit sanften Kuhaugen blickt es in die Welt. Und wie Rinder es halt so machen, leckt sich auch dieser Holzstier mit weit hinausgestreckter Zunge übers Maul. Dieses Rind ist, deutlich sichtbar, ein Prachtexemplar seiner Art!

Darüber hinaus ist der weiße Buckelstier festlich geschmückt: Über den Rücken ist eine Reitdecke mit Bordüren gelegt, Kopf und Hals ziert prächtiges Zaumzeug. Leider ist die farbige Bemalung, die das Zaumzeug belebte, schon etwas verblasst – der Stier, der 1987 als Geschenk eines Schweizer Gönners ins damalige Museum für Indische Kunst kam, entstand wohl vor 100 bis 150 Jahren. So entgehen einem leicht die Blumenranken auf den Riemen und die vielen Schellen, die so manchen Riemen säumen. Sie geben dem Betrachter eine Idee vom vielstimmigen Glockenklang, den man sich zu jeder Bewegung des Tieres dazudenken muss.

Gläubige flüstern ihm andächtig ihre Wünsche ins Ohr

Dieser indische Buckelstier ist auch nicht irgendein Rind. Nein, in Hindu-Indien ist er das charakteristische Reittier des großen Gottes Shiva, der Bulle (vri- shabha), auch Nandi genannt. Um die vielen Götter schnell und gut unterscheiden zu können, auch um sie zu charakterisieren, haben die indische Kunst und Mythologie die Hindu-Götter (ähnlich wie christliche Kunst und Legenden mit ihren Heiligen verfahren sind) mit festgelegten Erkennungszeichen ausgestattet: mit besonderen Körpermerkmalen, mit Attributen (typischen Requisiten in den Händen) oder eben auch mit je einem Symbol- oder Reittier.

Ein Mädchen vertraut Nandi im Tempel an, was es bewegt.

Shivas Reittier Nandi ist ein Stier von gewaltiger Kraft, Männlichkeit und Potenz. Er steht auch für Stabilität und Aufrechterhaltung der frommen Ordnung. In den Legenden trägt er Gott Shiva von Ort zu Ort. Als treuer Begleiter Shivas tummelt er sich mit dessen Familie auf den Hängen des heiligen Berges Kailasha. Gleichzeitig gilt Nandi als der ergebenste Verehrer des großen Hindu-Gottes. Vor allem darin ist er Vorbild für die Gläubigen. In vielen Shiva-Tempeln Indiens bewacht ein liegender steinerner Nandi den Eingang zum Allerheiligsten. Vom Vorplatz des Tempels aus ist sein Blick stets getreulich zum Sanktum hin ausgerichtet. Besucher des Tempels bringen an Festtagen nicht nur dem Gott Shiva, sondern auch Nandi Opfergaben dar. Nandi wird als Vermittler zwischen Gläubigen und Gott Shiva angesehen. Andächtig flüstert man ihm Wünsche ins Ohr, in der Annahme, dass er diese an Shiva weitergibt und sie besonderes Gehör finden.

Die hölzerne Version von Shivas Stier kommt bei großen Tempelfesten zum Einsatz. In den Tempeln Indiens gibt es regelmäßig große Feiertage. Höhepunkte solcher religiösen Feste sind oft Prozessionen. Dann verlassen die Hauptgötter des Tempels in Form von Bronzebildern das Heiligtum, um sich in großem Pomp der Masse auf der Straße zu zeigen – auch Menschen aus gesellschaftlichen Randgruppen, die den Tempel normalerweise nicht betreten dürfen. Tausende – heute oft sogar Hunderttausende – bekommen so die Möglichkeit, darshan zu nehmen. Das heißt, sie können einen als segnend empfundenen Blick auf die Gottheit werfen. Für die Prozession werden die Bronzebilder üppig mit Seidenkleidern, Schmuck und Blumen geschmückt und auf hölzerne Reittiere gesetzt, ein jeder Gott auf das Tier, das ihn charakterisiert. So zieht so mancher weiße Nandi aus Holz auch noch heute durch indische Straßen.

Im Humboldt Forum wird das elegante Götter-Reittier Mittelpunkt des Raumes zur Kunst des Hinduismus sein. Auch dort wird Nandi, wie es sich gebührt, seinen Blick auf Gott Shiva richten.

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