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Kultur - 15.07.2019

Voodoo in der Waldbühne

Es hakt, es knistert, es brennt: Pink liefert in der Waldbühne seelenvolle Unterhaltung, trotz einiger Ausfälle.

In den besten Momenten voller Hingabe: Pink auf der Waldbühne.

Irritiert nestelt Pink an ihrem Knopf im Ohr herum „This sounds like shit“, fährt sie den Pianisten an. 22.000 Zuschauer auf den Rängen schämen sich kurz fremd, dann kann der Star des Abends doch das gewünschte Pianointro zu ihrer neuen Single „What about us“ durch den Monitorknopf hören. Zu wichtig sei ihr dieser Song, als dass sie sich mit einer schlechten Interpretation zufriedengeben könnte, erklärt die Sängerin. Der Pianist könnte ihre Kritik vertragen „Ich schreie ihn seit 15 Jahren an“, sagt sie lachend, bevor sie die ganze Waldbühne mit ihrer Stimmgewalt einnimmt.

An diesem Perfektionismus lässt Pink alias Alecia Beth Moore es an diesem Abend in der Waldbühne manchmal mangeln. Schon beim obligatorischen Eingangslied „Get this party started“ singt sie viele Zeilen nur halb, lässt Playback und Hintergrundsängerinnen die Arbeit machen. Ob sie durch diese betont entspannte Egal-Haltung ihr Rotzgörenimage pflegen will? Das Publikum feiert jedenfalls, wie die 37-Jährige den frechen Teenie raushängen lässt, im Hopserlauf den Steg ins Publikum herabhüpft, dass der üppige Schulterbesatz aus schwarzen Federn und die typische blonde Tolle nur so wippen. „I’m not here for your entertainment“ singt sie beim zweiten Lied „U + Ur Hand“. Ach so? Wozu dann?

Doch keine Sorge: Unterhalten wird man an diesem Abend in jedem Fall. Von den mitsingtauglichen Poprocksongs genauso wie von den mitreißenden Balladen, von den Tänzern so wie von den Musikern, die von E-Gitarrensoli bis zur intimen Akustikbegleitung alles geben. Obwohl sie seit 2012 kein neues Album mehr veröffentlicht hat, schöpft die Amerikanerin aus einem reichen Pool an Hits: „Just Like A Pill“, „Trouble“ und „Who knew“ reizen zum Mitsingen. Für die Augen gibt’s jede Menge Blingbling: Feuerwerk und Flammensäulen, ein riesiger aufblasbarer Plastikball, in dem sie durch das Publikum kugelt, Schäkerei mit den Zuschauern, die ihr Käsekuchen und Einhornmützen spenden, und ein – natürlich pinkfarbener – Rettungsring um das Schlagzeug, den sie zum Räkeln und Ausruhen nutzt.

Wenn es stiller wird, schöpft sie ihre Stimme voll aus

Auch ruhige Momente kommen vor: Da sitzt sie auf einem Barhocker ganz vorne auf der Rampe, neben ihr der Akustikgitarrist, um sie herum die Mückenschwärme, die sie tapfer ignoriert. Sind ihre sechs Tänzer anfangs noch in nietenbesetzten Jeanswesten, Netztops und Karohemden um die Hüften gekleidet und zeigen dazu klassische Gruppenchoreografien, wechseln sie im Lauf des Abends zu puristischen weißen Outfits und tanzen zeitgenössisch inspirierte Duette, umschlingen sich, stoßen sich ab, verzehren sich nacheinander, während Pink am Mikrofon steht und ihren Stehaufmännchen-Song „Try“ interpretiert.

Gerade bei den ruhigeren Liedern macht sie wett, was sie bei den Rockhits manchmal vermissen lässt. Konzentriert und mit Hingabe schöpft sie ihre Stimme voll aus, füllt die Arena mit der Zeile „Where there is desire/there is gonna be a flame“. Hier springt der Funke endlich über: Auf der Leinwand im Hintergrund tauchen in Wasser aufsteigenden Luftblasen auf, schaffen eine ruhige, fast magische Atmosphäre.

Diese Magie ist Konzept an diesem Abend, denn zum nächsten Lied „Just give me a reason“ sinken Voodoopuppen im Wasser die Leinwand herab. Der Ton ist gesetzt, jetzt kommt der große Knall: Im Vordergrund rocken Pink, Tänzer und Band zum fetzigen „How Come You’re Not Here“ und lenken vom abgedunkelten Bühnenhintergrund ab. Wie aus dem Nichts sitzen plötzlich zwei überdimensionale Voodoopuppen mit Herzaufnähern und leuchtenden Stecknadeln in den Ecken der Bühne.

Eine kollektive Austreibung von Hass und Herzschmerz

Das Konzert wird zum Ritual, bei dem Frust, Hass und Herzschmerz in all seinen Facetten kollektiv ausgetrieben werden: Manchmal laut und bekräftigend zu trotziger Girl-Attitüde wie bei der Salsaversion von „One Last Kiss“. Hier schwingen neben den bunt angezogenen Tänzern und Pink selbst die Voodoopuppen auf der Leinwand die Hüften, bevor ihnen zum Abschluss die Köpfe in Farbwolken explodieren – ein Bild wie beim Holi-Festival.

Höhepunkt neben der doch geglückten Interpretation der gerade auf Nummer Eins gecharteten Single „What about us“ sind ausgerechnet zwei Coverversionen: „99 Luftballons“, zuerst auf Deutsch von Keyboarderin Adriana Balic angesungen und dann als „99 Red Balloons“ vollendet, kommt beim Berliner Publikum natürlich gut an. Bishop Briggs‘ „River“ bietet Pink eine Steilvorlage, die sie gerne und gut annimmt: Sie nimmt die kraftvolle Soulstimmung des Lieds perfekt auf, legt sich stimmlich voll ins Zeug und schafft in Verbindung mit Filmausschnitten von Alligatoren, sumpfigen Flüssen und streitenden Pärchen einen seelenvollen Südstaatenvibe, der die gesamte Waldbühne zittern lässt, so rauschhaft ist die Kombination aus Musik und Bühnenshow.

Gegen diese Performance verblassen die eher halbherzig vorgetragenen Teeniegören-Nummern. „Konzentrier dich doch auf das, was du kannst“, möchte man Pink nach den letzten Tönen ihrer flehenden Singleauskopplung zurufen. Sie verlässt die Bühne mit einem Versprechen von mehr: Am 13. Oktober kommt das Album „Beautiful Trauma“ heraus. Zurück bleibt an diesem Abend die Hoffnung auf weitere traurigschöne Traumabewältigung.

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