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Kultur - 21.01.2019

Partytalk mit Wasserstoffbombe

Christopher Rüping rollt im Deutschen Theater Berlin einen historischen Prozess auf: „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ von Heinar Kipphardt.

Im Jahr 1954 führte die US-Atomenergiekommission ein Verfahren gegen Oppenheimer.

Physiker haben Konjunktur auf Berliner Bühnen. Gerade hat Frank Castorf am BE „Galileo Galilei“ inszeniert, Brechts Klassiker über Erkenntnis-Euphorie und Verantwortung des (Natur-)Wissenschaftlers. Jetzt zieht das Deutsche Theater mit Heinar Kipphardts Dokumentarstück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ nach.

Vor anderem historischem Hintergrund, aber im Kern ähnlich wie sein italienischer Kollege knappe dreieinhalb Jahrhunderte zuvor muss sich auch der US-amerikanische Physiker mit Berufsmoral und Forschungsvereinnahmung auseinandersetzen. Die Entwicklungen in Genforschung, Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz sind augenscheinlich geballt in den Theatern angekommen: Sie rücken strukturell vergleichbare Fragen in den Vordergrund, wie sie Kipphardt anno 1964 in seinem genreprägenden Dokumentartheaterstück anhand der Atomtechnologie durchbuchstabierte.

Der Text basiert auf dem Verfahren, das die US-amerikanische Atomenergiekommission im Jahr 1954 gegen Oppenheimer anstrengte, den geistigen „Vater der Atombombe“. Oppenheimer – von 1943 bis 1945 wissenschaftlicher Leiter des „Manhattan-Projekts“ zur Entwicklung der ersten Nuklearwaffen im US-amerikanischen New Mexico – hatte als Regierungsberater unter anderem geholfen, die Ziele für den Atombombenabwurf zu bestimmen sowie Zündhöhe und optimale Bedingungen für die Auslösung zu berechnen. Angesichts der Folgen in Hiroshima und Nagasaki befielen ihn später Skrupel.

Der Abend startet auf einer nüchternen Technokraten-Bühne

Der Untersuchungsausschuss von 1954 behandelte nun Vorwürfe, wonach der Wissenschaftler für die Verzögerung des amerikanischen Dringlichkeitsprogramms zum Bau einer Wasserstoffbombe verantwortlich sei. Gegenstand des Verfahrens, auf dessen 3000-seitigem Verhandlungsprotokoll Kipphardts Stück basiert, waren im Washington der McCarthy-Ära neben Oppenheimers moralischen Zweifeln und der Frage nach Freiheit und (staatlicher) Indienstnahme wissenschaftlicher Forschung auch seine „linken Verbindungen“.

Christopher Rüping – Jahrgang 1985, seit drei Jahren Hausregisseur der Münchner Kammerspiele und regelmäßiger Inszenierungsgast auch am Berliner Deutschen Theater – bringt diesen 55 Jahre alten Text geradezu lehrstückhaft auf die Bühne. Die Methode kennt man aus seiner Münchner Brecht-Arbeit „Trommeln in der Nacht“, die letztes Jahr beim Berliner Theatertreffen zu sehen war: Aus der historischen Distanz entdecken die Darsteller im Laufe des Abends mehr und mehr Anknüpfungspunkte und spielen sich entsprechend in die Figuren hinein.

So startet der „Oppenheimer“-Abend im DT auf einer nüchternen Technokraten-Bühne. Wenn Katharina Matz als Vorsitzende des Sicherheitsausschusses und Maike Knirsch als Anwältin der Atomenergiekommission den von Felix Goeser angemessen eindringlich gespielten Oppenheimer und dessen Anwalt (Camill Jammal) am Verhandlungstisch gegenübersitzen, justieren sie alle gern mal ihre Ohrstöpsel nach. Denn der Kipphardt-Text wird ihnen deutlich hörbar eingeflüstert, von Wiebke Mollenhauer als „Stimme des Protokolls“.

Schrankwände mit Fünfziger-Jahre-Appeal

Ein Monitor neben und eine Leinwand über den Akteuren präsentieren parallel unterschiedliche Bildausschnitte des Live-Geschehens: Klar, die große abstrakte Wahrheit ist immer auch eine Frage der konkreten Perspektive.

Bald geht es im Kipphardt-Text um Fragen, die heute, infolge aktueller Technik, umso dringlicher erscheinen: Ausgehend von Oppenheimers Weigerung etwa, Details über ein nächtliches Treffen mit seiner Ex-Verlobten offenzulegen, die kurze Zeit später Selbstmord beging, ist man schnell bei heutigen Überwachungsmöglichkeiten und dem Recht auf Schutz der Privatsphäre.

Parallel füllt sich auch die von Jonathan Mertz gestaltete Bühne: Schrankwände mit Fünfziger-Jahre-Appeal werden hereingeschoben. Davor sitzen die Schauspieler jetzt als stilecht rauchende und Whiskey trinkende Männer, die keine Ohrknöpfe mehr brauchen und geradewegs aus der US-Serie „Mad Men“ gefallen sein könnten – mit einem leichten Dreh in Richtung Komödie.

Ohne je den Grundernst der Lage auszuhebeln, lässt Rüping männliche Unterredungen zu Spionage-Thriller-Parodien mutieren. Und Michael Goldberg parliert als Physiker Edward Teller moralische Probleme mit der Wasserstoffbombe in einer Art Party-Smalltalk beim Toast Hawaii weg. Selbiger kommt schließlich frisch aus der Mikrowelle; einem technischen Fortschritt, der ursprünglich zur Ortung von U-Booten erfunden worden sei.

Gegen Schluss, wenn Rüping Maike Knirsch an der Rampe als vollends gegenwärtige High-Tech-Apologetin für bedingungslosen technischen Fortschritt eifern lässt, ist die Bühne wieder leer. Und auch ansonsten herrschen klare Verhältnisse.
Wieder am 27. und 30. Januar

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