Home Kultur Mein Traumprinz
Kultur - 17.01.2019

Mein Traumprinz

Erwachsen werden im Arabischen Frühling: Gaya Jiji gibt mit dem syrischen Drama „Mein liebster Stoff“ ihr Langfilmdebüt.

Begehrlichkeiten. Die Romanze von Nahla (Manal Issa) und dem Schnauzbärtigen´ (Metin Akdulger) existiert nur in ihrer Fantasie….

„Erzähl mir eine Geschichte“ fordert der Soldat die junge Frau mit dem Kopftuch auf. Es ist eine Geschichte aus 1001 Nacht, ein arabisches Märchen, das so wenig mit der Realität in den Straßen von Damaskus zu tun hat wie die Wohnung in dem Mehrfamilienhaus, die die neue Mieterin in ein Bordell verwandelt. Immer mehr Details will der Soldat von der Prostituierten wissen, die Erzählung wird elaborierter, traumhafter, je fester er ihr Handgelenk umschließt. Mit jeder weiteren Nuance erscheint die Welt draußen, vor der der Soldat bei den Frauen Zuflucht sucht, unwirklicher. Sein brutaler Griff ist wie ein Ventil, durch das sich seine angestauten Aggressionen entladen. In den Straßen treibt der bevorstehende Arabische Frühling erste Blüten: Die Bevölkerung antwortet mit Gewalt auf die Repressalien des Regimes, die Truppen Assads, positioniert auf Häuserdächern, erwarten den Ausnahmezustand.

Die jüngere Schwester der 25-jährigen Nahla verfolgt die Nachrichten im Internet. „Mach deine Hausaufgaben, das betrifft uns nicht“, fährt die Mutter das Mädchen an. Tatsächlich ist Line (Nathalie Issa) die einzige in Gaya Jijis Langfilmdebüt „Mein liebster Stoff“, die vor der Realität nicht die Augen verschließt. Nahla (Manal Issa) hingegen starrt während der nächtlichen Busfahrt aus dem Fenster, sieht die Soldaten, aber nicht die Verbindung zu ihrem eigenen Leben. Ihre Mutter will sie an einen älteren Syrer verheiraten, der vor Jahren in die USA ausgewandert ist. Nun kehrt er in die Heimat zurück, um seine versprochene Frau abzuholen. Es ist ein Geschäft, nicht mehr. Die Ehe soll es der Mutter und ihren zwei jüngeren Schwestern Line und Myriam (Mariah Tannoury) erleichtern, ebenfalls nach Amerika auszuwandern. Syrien ist kein Land, in dem man seine Kinder aufwachsen sehen möchte.

Doch Nahla ist mit ihren Gedanken woanders. Sie tagträumt sich in eine Liebesaffäre mit einem schnauzbärtigen Traumprinzen, der mit ihrem zukünftigen Mann Samir äußerlich keinerlei Ähnlichkeit hat. Ihre feindliche Distanz („Dein Leben klingt langweilig“) wirft kurzfristig alle Pläne über den Haufen, Samir entscheidet sich für Myriam. Die Mutter muss den Stoff für Nahlas Hochzeitskleid („die Aussteuer“) zerschneiden, um der jüngeren Tochter ein Brautkleid zu nähen.

Nahla kümmert das zunächst wenig, sie zieht es immer wieder in die Wohnung eine Etage drüber, in der Madame Jiji (Ula Tabari) ein märchenhaftes Refugium geschaffen hat, das ganz auf die Begehren der männlichen Kundschaft (und nicht zuletzt der Frauen) abgestimmt ist. Hier nistet sich Nahla, fasziniert von der mysteriösen Madame, heimlich ein, um auf ihren vermeintlichen Traummann zu warten. Die Hausherrin durchschaut ihren Selbstbetrug schnell. „Sag schon, wie oft machst du es dir selbst?“, will sie von dem Mädchen wissen.

Spekulative Perspektive, erotische Fantasien

Gaya Jiji erzählt von einem späten sexuellen Erwachen, vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in ihrem Heimatland. Diese Perspektive mutet angesichts von Hunderttausenden toter Zivilisten hochgradig spekulativ an, aber die syrische Regisseurin vermeidet es, die Gewalt in den Straßen in weichgezeichneten Bildern zu mystifizieren. Die Sphäre der Politik und die Intimsphäre bleiben klar voneinander getrennt.

Die hell ausgeleuchteten Tagträume Nahlas besitzen noch eine Unschuld, eine Illusion, die die schummerige Wohnung von Madame Jiji nicht mehr aufrechterhalten kann. Der Soldat, der einzige Grenzgänger im Film, trägt die Außenwelt hinein. Die Bilder von Kameramann Antoine Héberlé ertasten förmlich eine erotische Fantasie, vermeiden aber, Sinnlichkeit und Politik in eins zu setzen. Die Haut, an die sich der Kopf des imaginären Liebhabers schmiegt (ein männlicher Blick, in der Vorstellung einer jungen Frau), ist vielmehr die empfindliche Membran, die die Realität noch nicht durchdringt.

Lichtblick-Kino (OmU)

Mehr Kultur? Jeden Monat Freikarten sichern!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Check Also

Kim bettelt um Spenden für Papa und Opa

Die Sanktionen drücken und Kim scheint kaum noch Geld zu haben. Alles fließt in sein Raket…