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Kultur - 17.11.2018

Die Seelenkönigin

Zu Beginn von Aretha Franklins Karriere galt Soul noch als Provokation. Sie machte aus der Musik ein Symbol der Hoffnung. Ein Nachruf zum Tod der legendären Sängerin.

Aretha Franklin eröffnet 19969 Caesars Palace in Las Vegas. Die „Queen of Soul“ ist jetzt im Alter von 76 Jahren gestorben.

Anerkennung bekommt man nicht geschenkt, man muss sie sich erkämpfen. Die Geschichte eines der einflussreichsten Popsongs aller Zeiten ist die Geschichte einer Aneignung. Aretha Franklin wusste noch Jahrzehnte später genau, wann und wo sie begonnen hatte: Als sie das kleine Apartment putzte, in das sie gerade erst eingezogen war, nachdem sie das Haus ihres Vaters verlassen hatte. Im Radio lief „Respect“ von Otis Redding, und „ich habe es sofort geliebt“. Sie liebte den harten Viervierteltakt, das Scheppern des Basses und der Bläser, die ganze frenetische Inbrunst. Was ihr weniger gefiel, war der Machismo des Sängers, der prahlt, alles zu besitzen, was Frauen wünschen, und deshalb beim Nachhausekommen eine prompte Belohnung verlangt, „just a little bit respect“.

Franklin war sich sicher, aus dem Lied „etwas anderes“ machen zu können. Als sie zwei Jahre später, im Februar 1967, in einem New Yorker Tonstudio ihre Version aufnahm, genügten zwei, drei kleinere Eingriffe, um „Respect“ einen völlig anderen Dreh zu geben.

„Respect“ markierte ihren Aufstieg zum Superstar

Aus dem Lamento eines Mannes, der sich für unwiderstehlich hält, wurde eine feministische Standpauke, vorgetragen mit wütend lodernder Stimme. Hier ist es die Frau, die dem Heimkehrer vorhält, ihm nicht nur immer treu gewesen zu sein, sondern ihn auch finanziell auszuhalten. Die seine Eskapaden und seine Eitelkeit langsam leid ist, und die, wenn schon nicht geliebt, so doch wenigstens ernst genommen werden möchte. „Respect“ ruft sie, „TCB“, ein Akronym für „taking care of business“, die Backgroundsängerinnen antworten „sock it to me“, eine Slangformulierung, die man mit „lass es rüberwachsen“ übersetzen könnte. Der Monolog weitet sich zum Dramolett, zur atemlosen Beschwerde aus mehreren Frauenstimmen. Im Begleitchor, den Sweet Inspirations, singen Franklins Schwestern Carolyn und Erma.

„Respect“ verkauft sich mehr als eine Million mal, bringt Aretha Franklin auf das Cover des „Time“-Magazins sowie auf Platz 1 der Billboard-Charts und verschafft ihr die ersten beiden von 18 Grammys. Der Song markiert ihren Aufstieg zum Superstar, das Crossover der Sängerin von den schwarzen Rhythm’n’Blues-Charts in den Mainstreampop. Genüsslich buchstabiert Franklin im Refrain den Titel aus: „R-E-S-P-E-C-T“. „Respect“ wurde zum Lied der Feministinnen und der Bürgerrechtsbewegung, eine afroamerikanische Selbstermächtigungshymne wie sonst nur „Say it loud! I’m black and I’m proud“ von James Brown und „A Change Is Gonna Come“ von Sam Cooke.

Vor der Tür der New Bethel Baptist Church in Detroit, wo Aretha Franklins Vater Pastor war, trauern die Menschen um die „Queen of…

Bei einem Auftritt in Chicago wurde Aretha Franklin 1967 von dem DJ Purvis Spann buchstäblich zur „Queen of Soul“ gekrönt. Den Titel ist sie bis an ihr Lebensende nicht mehr los geworden, an königlicher Würde konnte es allenfalls noch Elizabeth II. mit ihr aufnehmen. Majestätsbeleidigungen konnten sie wütend machen. Als Beyoncé 2008 bei der Grammy-Verleihung Tina Turner als „the Queen“ vorstellte, sprach Franklin später entrüstet von einem „fiesen Trick“.

Soul war ein Synonym für Hoffnung, der Optimismus der Ära verdichtete sich im Februar 1968 bei Franklins triumphaler Rückkehr nach Detroit, der Motor- und Motown-Stadt, in der sie aufgewachsen war. Ihr Konzert vor 12000 Zuschauern in der ausverkauften Cobo Hall hatte den Rekorderlös von 60000 Dollar eingespielt, der Oberbürgermeister erklärte das Datum zum „Aretha Franklin Day“. Die Sängerin wechselte zwischen Standmikrofon und Klavier, ihre Hits „I Never Loved a Man (The Way I Love You)“, „Respect“ und „Chain of Fools“ wurden tosend gefeiert. Und Martin Luther King überreichte ihr einen Preis der Bürgerrechtsorganisation Southern Christian Leadership Conference. Die Euphorie endete rasch. Zwei Monate später war King tot, erschossen in Memphis. Franklin sang bei seiner Beerdigung „Precious Lord“, einen Song übers finale An-der-Hand-genommen-Werden durch Gott.

Aretha Franklin ist in der Kirche groß geworden

Die Karriere nahezu aller großen Soulstars hat in einem Gospelchor begonnen. Aretha Franklin ist in der Kirche groß geworden. Sie wurde 1942 als Tochter des Baptistenpredigers Clarence LaVaughn Franklin in Memphis geboren, der ein paar Jahre später die Leitung der New Bethel Church in Detroit übernahm. Kurz danach trennte sich die Mutter vom Vater, und Aretha blieb bei ihm. Der Vater war ein Charismatiker, so etwas wie ein Popstar eigenen Rechts. Die Tochter nannte ihn „den größten Einfluss“ auf ihre Stimme. Von den Predigten, die er in seiner Gemeinde, im Radio und überall in den Südstaaten hielt, hat er Millionen Schallplatten verkauft, was ihm den Spitznamen „The Million Dollar Voice“ einbrachte. C. L. Franklin führte ein höchst promiskuitives Leben, der Reporter David Remnick beschrieb ihn im „New Yorker“ als Verführer im Auftrag Gottes, der einen Cadillac fuhr und Schuhe aus Alligatorenleder trug.

Eine Kindheit als Tochter des berühmtesten schwarzen Predigers seiner Tage ist keine normale Kindheit. Als er Mitte der fünfziger Jahre den C. L. Franklin Gospel Caravan startete und durch Amerika tourte, war Aretha dabei, sang mit, spielte Piano. Zum Freundeskreis des Vaters zählten viele Musikgrößen, bei ihnen in Detroit kamen Nat King Cole, Duke Ellington, Ella Fitzgerald und Lionel Hampton zu Besuch. Dinah Washington unterrichtete Aretha und ihre Schwestern im Singen. C. L. Franklin gehörte zu den engsten Vertrauten von Martin Luther King, er organisierte mit ihm den „Walk to Freedom“, der 1963 mehr als hunderttausend Demonstranten durch Detroit führte. Für Aretha muss der große Bürgerrechtler so etwas wie eine Mischung aus Onkel und Idol gewesen sein. Der Film „Selma“ zeigt, wie er, von nächtlichen Todesvorahnungen geplagt, bei ihr anruft, um sich ein Schlaflied vorsingen zu lassen.

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