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Kultur - 18.05.2019

Der Wind in den Weiden

Düsterpop: The National bringen ein neues Album heraus. Der Regisseur Mike Mills hat sich von der Band zu einem Kurzfilm inspirieren lassen.

Filmemacher Mike Mills (2.v.l.) fragte The National, ob sie mit ihm zusammenarbeiten wollten. Die Band sagte sofort zu.

Im Rückblick schnurrt ein Leben zusammen. Es bleiben einschneidende Momente und solche, von denen man gar nicht genau weiß, warum sie durch das Gedächtnis geistern. Der Kurzfilm „I Am Easy To Find“, der seit Montag online zu sehen ist, reiht Erinnerungen aneinander, ein ganzes Leben in 26 Minuten. Eine Frau wird geboren, wächst auf, liegt im Gras und blickt in die Baumkronen. Sie verliebt sich, wird ihrerseits Mutter, dann Großmutter und stirbt wieder.

Alicia Vikander spielt diese Namenlose in allen Altersstufen, ganz ohne Make- Up-Tricks und Special-Effects. Einfach mit verhaltener Mimik und wechselnden Kostümen, vor allem aber über ihre Körpersprache vermittelt die 30-Jährige, bekannt aus „Danish Girl“ und „Tomb Raider“, wie die Figur altert. Jeder Einschnitt, jede Etappe eine Kameraeinstellung, die nur Sekunden währt. Ein schwarz-weißes Ballett der Bilder, dazu ein paar Untertitel: „Sie sieht den Staub tanzen im seltsamen Licht.“ „Ihre Eltern streiten über die immer gleichen Dinge.“ Dialog gibt es kaum, dafür ganz viel Musik von The National.

In einem Film, der die Karriere der US-Band auf einige Momente verkürzen würde, dürfte der 3. September 2017 nicht fehlen. Damals sind die fünf Musiker fix und fertig. Die Arbeit an ihrer siebten Platte „Sleep Well Beast“ hat sie ausgelaugt. Nun steht deren Veröffentlichung bevor und auch der Tourstart. Dann bekommt die Band eine E-Mail von Filmemacher Mike Mills, seit Ewigkeiten Fan von The National. Er fragt, ob man nicht mal etwas zusammen machen wolle – egal, was.

Irgendwo zwischen tieftraurig und erhaben melancholisch

Die fünf Musiker sind ihrerseits Fans des Regisseurs, Grafikdesigners und Künstlers und seiner hintergründig komischen wie visuell ausgefeilten Filme wie „Beginners“ und „20th Century Women“. Also schicken sie ihm jede Menge Material, das auf seine Veröffentlichung wartet, teilweise schon jahrelang: Demos, Songschnipsel, musikalische Skizzen. Eine Fundgrube, mit der für Mills die Arbeit an seinem Ein-Leben-im-Zeitraffer- Projekt beginnt – und das Inspirations- Pingpong seinen Anfang nimmt.

Gute anderthalb Jahre später kommt nun nicht nur Mills Film heraus, sondern auch ein Album von The National, das ebenfalls „I Am Easy To Find“ heißt. Nicht einfach der Soundtrack, sondern ein vom Film beeinflusstes Werk mit 16 Songs, die ganz nach der Band klingen, deren Mitglieder inzwischen über Europa und Nordamerika verteilt leben. Düsterpop, in dem musikalische Breite und die Konzentration aufs Wesentliche zusammenfinden, selbstverständlicher noch als auf dem bleiernen Vorgängeralbum. Auf der Trübsalsskala liegt „I Am Easy To Find“ irgendwo zwischen tieftraurig und erhaben melancholisch – in etwa so, als würde Nick Cave Radiohead covern.

Regisseur und Band beschreiben ihre Werke als spielerisch rivalisierende Geschwister, die mit Vorliebe voneinander klauen. So sind sechs Songs auch im Film zu hören, andere erst unter dem Eindruck der fertigen Bilder entstanden. „Light Years“ zum Beispiel, der letzte Song der Platte, in dem Gitarrenschleier eine Klavierminiatur umschmeicheln. Dazu brummt Matt Berningers Bariton: „Oh the glory of it all was lost on me/ till I saw how hard it’d be to reach you.“ Die Herrlichkeit des Ganzen, singt er wie zur Hauptfigur des Films gewandt, entging mir völlig, bis ich erkannte, wie schwer es werden würde, dich zu erreichen. „And I would always be/ Light years away from you.“ Als die Band den Song an Mike Mills schickt, gefällt der ihm so gut, dass er ihn ans Ende des bereits abgedrehten Kurzfilms packt.

Die Dreharbeiten in Los Angeles haben nur fünf Tage gedauert, doch die gemeinsame Arbeit an der Musik zieht sich über ein Jahr hin. The National lassen Mills völlig freie Hand. Er darf die Songpartikel auseinanderfriemeln und wieder zusammensetzen. Auch im Studio ist er als Produzent dabei und wirkt wie ein Katalysator, der einen Großteil der unguten Spannung aus dem Aufnahmeprozess nimmt und The National gleichzeitig den Mut einimpft, sich weiter zu öffnen.

Ein kleines Wunder

Als sie die Songs das erste Mal über die Filmszenen legen, merken sie: „Wenn wir die Geschichte einer Frau erzählen wollen, brauchen wir auch weibliche Stimmen.“ Also laden sie sechs Sängerinnen ins Studio ein, mit denen sie früher schon gearbeitet haben: Sharon Van Etten, Lisa Hannigan und Gail Ann Dorsey zum Beispiel, die lange Jahre Bassistin und Backgroundsängerin in David Bowies Band gewesen ist.

Doch diesmal dürfen die Musikerinnen nicht nur ein paar Hintergrund-Vocals einsingen oder als Support mit auf Tour gehen, sondern die Songs über weite Strecken prägen. In „Oblivions“ zum Beispiel wechseln sich die Stimmen von Matt Berninger und Mina Tindle ab, sie ist die Frau von Bandmitglied Bryce Dessner. Sie umspielen sich, füllen die Räume zwischen einer lichten Gitarren- und Klavierfigur, Streichern und dem gezügelten Getrommel von Bryan Devendorf, bevor der Gesang des Brooklyn Youth Chorus den Atem des Songs verhaucht.

Im Film sind zu „Oblivions“ Erinnerungen der Hauptfigur zu sehen – Sonnenlicht auf ihrem Bett, der Wind in der Weide neben dem Elternhaus – und man kann sich des Gefühls nicht erwehren, die Musik schon eine Ewigkeit zu kennen.

Das Projekt „I Am Easy To Find“ ist ein kleines Wunder geworden. Eine Illustration der Macht, die Musik über Bilder ausüben kann, und umgekehrt. Und eine Demonstration, wie sich Künstler gegenseitig beflügeln, um etwas zu schaffen, das schlicht und einfach beglückend ist.

„I Am Easy To Find“ erscheint am 17.5. bei 4AD. Der Film ist bereits auf www.iameasytofind.com zu sehen.

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