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Kultur - 30.11.2018

Der Regen fällt in Nadeln

Puzzle aus Symbolen: Stewart O’Nans atmosphärisch schillernder Spionage-Roman „Stadt der Geheimnisse“ über das Jerusalem der vierziger Jahre.

Britische Soldaten in den vierziger Jahren in Jerusalem.

Es gehört zu den großen Vorzügen des amerikanischen Schriftstellers Stewart O’Nan, dass er sich immer wieder auf die Suche nach neuen Stoffen macht und auch vor den unterschiedlichsten literarischen Genres nicht zurückschreckt. Stewart O’Nan hat historische Romane geschrieben wie zum Beispiel über einen Zirkusbrand 1944 in seiner Heimatstadt Pittsburgh, der 167 Menschen das Leben kostete. Er hat sich mit „Speed Queen“ vor Stephen King verbeugt und mit „Das Glück der Anderen“ einen Gothic-Roman verfasst, er beschäftigt sich gern mit den Problemen des abstürzenden US- Mittelstands wie in „Emily, allein“, „Abschied von Chautauqua“ oder „Die Chance“, und zuletzt zeichnete er in „Westlich des Sunset“ die letzten traurigen Lebensjahre des großen amerikanischen Schriftstellers F. Scott Fitzgerald in Hollywood nach.

Auch für seinen neuen, halb dokumentarischen und auf der Oberfläche wie ein Spionage-Thriller gestalteten Roman „Stadt der Geheimnisse“ hat Stewart O’Nan ein neues überraschendes Sujet gefunden: das Jerusalem der Nachkriegszeit kurz vor der Staatsgründung Israels, laut Klappentext das Jahr 1947. Aber der Roman spielt in den beiden Jahren zuvor, endet er doch mit dem Bombenanschlag auf das King David Hotel, den die radikal-zionistische Untergrundorganisation Irgun am 22. Juli 1946 verübte.

O’Nans Held muss erkennen, „dass man als Jude nirgends sicher ist“

O’Nans Held ist der aus Riga stammende Jude Brand, dessen gesamte Familie im Holocaust umgekommen ist und der nach vielen Lageraufenthalten und Irrwegen mit einem maltesischen Frachter in Palästina landet. Hier wird er sogleich vom Untergrund gecastet und mit neuen Papieren ausgestattet, „passable Fälschungen, wie sein gegenwärtiges Leben, könnte er sagen.“ Aus Brand wird Jossi, und seinen Lebensunterhalt verdient er sich als Taxifahrer. Als solcher ist er aber auch tätig für die zionistischen Organisationen Hagana, Irgun und Stern-Bande, die allesamt gegen die britische Mandatsregierung von Palästina und für „Eretz Israel“ kämpfen, für einen unabhängigen Staat Israel.

Brand ist lediglich Handlanger. Er unternimmt Kurierfahrten, transportiert Sprengstoff oder verwundete Kämpfer durch die Tore Jerusalems, nimmt auch an Attentaten teil, ohne in die genauen Abläufe eingeweiht zu werden – und gerät letztendlich zunehmend in einen moralischen Zwiespalt. Einerseits leidet er unter der Schuld, der einzige Überlebende seiner Familie zu sein und wird immer wieder heimgesucht von seinen KZ-Traumata. Andererseits weiß er, dass „die Lager einen egoistischen, argwöhnischen Menschen aus ihm gemacht haben“ und er sich bei den Aktionen der

Hagana und Irgun selbst benimmt wie die Kommandanten der Lager, unter denen er gelitten hat. Und auch in Jerusalem muss er erkennen, „dass man als Jude nirgends sicher ist“.

Jerusalem war ein Durcheinander aus Alt und Neu

O’Nan porträtiert Brand alias Jossi eindringlich als verlorene Seele, die auch bei der aus Litauen stammenden und ebenfalls für den Untergrund tätigen Prostituierten Eva keine Ruhe und Liebe findet. Neben Brand und Eva bleiben allerdings alle anderen Figuren dieses kompakten, umstandslos erzählten Romans etwas blass und konturlos, und manchmal übertreibt es O’Nan mit der detaillierten Beschreibung der Attentate auf ein Stromwerk, einen Zug und schließlich auf das King David Hotel. Diese Schwächen fallen jedoch nicht groß ins Gewicht. Denn „Stadt der Geheimnisse“ lebt von der ersten bis zur letzten Seite von seiner dunklen Atmosphäre, einem schwarz-weißen Dimmern, das an das Wien in Graham Greenes „Der dritte Mann“ erinnert, nur dass es hier viel trubeliger und auch schillernder zugeht: „An diesem Abend ging es am Zionstor kaum voran, der Verkehr staute sich die Mauer entlang, und der Regen fiel in langen Nadeln durch den roten Abgasdunst“. Oder, wie es gleich zu Beginn heißt: „Die Stadt war ein aus Symbolen zusammengesetztes Puzzle, ein Durcheinander aus Alt und Neu, aus Panzerwagen und Eseln in den Straßen, aus Beduinen und Bankiers“.

Als das King David Hotel, das in einem seiner Flügel Abteilungen der britischen Mandatsregierung beherbergt, am Ende schließlich in Schutt und Asche gebombt wird, bleibt Brand außen vor. Angesichts der vielen Toten fragt er sich, wie gerecht eine Sache sein kann, wenn man dafür töten muss, wie man weiter leben soll, wenn man auch den Tod der Menschen in Kauf nimmt, die man liebt? „Der Engel des Vergessens ist ein gesegnetes Wesen“, lautet das Motto, das Stewart O’Nan seinem Roman vorangestellt hat. Es stammt von dem für den Anschlag verantwortlichen Irgun-Anführer und späteren israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin. Brand jedoch, so viel ist sicher, wird in seinem Leben diesem Engel nie begegnen.

Stewart O’Nan: Stadt der Geheimnisse. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 220 Seiten, 20 €.

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