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Gesundheit - 17.01.2019

Mythos Beckenboden: So stärken wir unsere Körpermitte

Erst Yoga, dann Pilates, jetzt Core Training: Frauen und Männer entdecken ihren Beckenboden. Das wurde auch Zeit! Denn eine kraftvolle Basis hält uns nicht nur aufrecht – sondern sorgt auch für mehr Spaß beim Sex.

Beckenbodentraining: Am Anfang stehen oft einfache Übungen zur Anspannung der Muskeln

Klar, am Beckenboden allein wird’s nicht gelegen haben, aber auch. Als Deutschland im Jahr 2014 Fußballweltmeister wurde, da sprachen plötzlich alle vom Core Training, das Fitnesstrainer Mark Verstegen einige Jahre zuvor bei der Nationalelf eingeführt hatte. Denn es schien tatsächlich etwas zu bringen. Der Name leitet sich ab vom englischen „core“, zu Deutsch „Kern“. Es geht um das Training der Körpermitte, also der Schulter- Rücken- und Bauchmuskulatur – und des Beckenbodens, der den Bauchraum von unten stützt. Das Core Training stärkt und harmonisiert Muskelgruppen, die sich durch den ganzen Körper ziehen, dadurch bewegen Sportler sich effizienter und kraftvoller. Frauen sind mit dem Beckenbodentraining oft vertraut, sei es vom Yoga, vom Pilates oder von der Rückbildungsgymnastik nach einer Schwangerschaft. Seit der Ankunft des Core Trainings im Fußball fragen sich auch viele Männer, wie sie vom Training dieser Region profitieren können.

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Die Bezeichnung als „Boden“ klingt recht statisch, in Wirklichkeit ist der Beckenboden ein kraftvolles, dabei dynamisches Geflecht aus Muskelplatten, das rundum am Becken befestigt ist. Dort trägt es das Gewicht der Organe des Bauchraums und unterstützt den Verschluss von Blase und After. Gert Naumann ist Chefarzt der Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Helios Klinikum in Erfurt, und wenn er vom weiblichen Beckenboden spricht, dann ist ihm das professionelle Staunen deutlich anzumerken. „Unser Beckenboden stammt aus einer Zeit, als unsere Vorfahren auf allen vieren gingen und einen Schwanz hatten, mit dem sie greifen und ihr Gleichgewicht balancieren konnten“, sagt er. „Für den aufrechten Gang war er gar nicht angelegt, und schon gar nicht dafür, 4000 Gramm schwere Babys zu gebären.“ 

Aber der Beckenboden hat sich gut angepasst: Er hat die Kraft entwickelt, das Gewicht des Bauchinhalts zu halten, und auch nach einer Schwangerschaft wird er schnell wieder stabil. „Einige Muskeln im Beckenboden dehnen sich während einer Entbindung auf das zweieinhalbfache ihrer ursprünglichen Größe“, sagt Naumann. „Vieles davon bildet sich zurück, aber im Alter kann es zu Beschwerden kommen.“ Die Gebärmutter ist durch Bänder aus Bindegewebe im Bauchraum befestigt, sie können bei einer Schwangerschaft beschädigt werden, sodass die Gebärmutter sich absenkt. „In einer Operation heben wir sie mit Bändern aus Kunststoff oder körpereigenem Bindegewebe wieder an“, sagt Naumann. „Ein starker Beckenboden kann die Gebärmutter zusätzlich stabilisieren.“ Mit zunehmendem Alter ermüdet mitunter der Schließmuskel unter der Blase, dann hilft eine starke Muskulatur aus der Umgebung, die Blase zu schließen und den Harn zu halten.

Ist Beckenbodentraining nur etwas für Frauen in der zweiten Lebenshälfte?

Auf keinen Fall, findet Naumann: „In Skandinavien lernen Mädchen schon in der Schule, was ein Beckenboden ist. Wenn eine Frau schon früh den Beckenboden trainiert, fällt ihr die Rückbildung nach einer Schwangerschaft viel leichter. Es trägt auch zur Freude am Sex bei, in jedem Alter, denn mit den Muskeln ihrer Umgebung kann die Scheide den Penis fester umschließen. Beim Orgasmus ziehen sich diese Muskelplatten zusammen, darum fühlt sich ein Orgasmus mit einem trainierten Beckenboden oft intensiver und schöner an.“

Die Freude am Sex macht das Training des Beckenbodens auch für Männer interessant. Auch ihr Beckenboden spannt sich beim Orgasmus an, und sie empfinden ihn stärker, wenn er trainiert und gut durchblutet ist. Männer haben zwei Muskeln,  die für die Sexualfunktion besonders wichtig sind, den Musculus ischiocavernosus und den Musculus bulbospongiosus – sie tragen viel zur Festigkeit einer Erektion bei. „Etwa ein Drittel des Penis liegen innerhalb des Körpers, damit er stabil verankert ist“, sagt Frank Sommer, er ist Urologe und Professor für Männergesundheit am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf in Hamburg. „Die beiden Muskeln umschließen das hintere Ende des Penis und drücken ihn bei der Erektion fest zu, sodass sich das Blut im Penis staut und er härter wird.“

Beckenbodentraining für Einsteiger

Bei vielen Männern lässt mit zunehmendem Alter die Erektion nach. Kann ein Beckenbodentraining sie zurückgewinnen? „Eine Erektionsstörung hängt auch vom Zustand der Muskelzellen, Nerven und Blutgefäße im Penis ab“, sagt Sommer. „Wenn die in Ordnung sind oder mitbehandelt werden, bringt ein Beckenbodentraining bei vielen Männern die Steifigkeit zurück.“ Männer können grundsätzlich ihren Harn gut zurückhalten, denn die Prostata liegt wie eine zusätzliche Barriere unter der Blase. Manchmal muss die Prostata wegen eines Tumors entfernt werden oder sie wird wegen einer Vergrößerung ausgehöhlt, dann kann es zu einer Beschädigung des Blasenschließmuskels kommen. In beiden Fällen wird es schwierig, den Harn zu kontrollieren – dann kann eine kräftige Muskulatur im Becken helfen, den Urin zu halten. Aber auch eine gesunde Blase profitiert vom Training des Beckenbodens. „Man lernt nicht nur, den Beckenboden anzuspannen, sondern auch, ihn zu lockern“, sagt Sommer. „Man pinkelt einfach entspannter.“

Was passiert beim Beckenbodentraining?

Am Anfang stehen oft einfache Übungen zur Anspannung der Muskeln, später werden sie verbunden mit Bewegungen des ganzen Körpers, die durch Druck oder Zug aus verschiedenen Richtungen auf das Becken einwirken. Viele wirken gleich vertraut, denn sie ähneln der Brücke aus dem Yoga, den Sit-ups aus dem Fitnesstraining oder Dehnübungen aus dem Stretching.

Aber wo liegt der Beckenboden genau? Natürlich unten im Becken, wo sonst. Aber wie spannt man ihn an? Pragmatische Yogalehrer sagen in ihren Kursen gern: „Macht einfach alle Löcher zu“, das klappt auch, aber besonders präzise ist diese Angabe nicht. „Das ist ein guter Anfang, dann weiß man schon mal, wo der Beckenboden ist“, sagt Christiane Rothe, Referentin für Gynäkologie, Urologie und Proktologie im Deutschen Verband für Physiotherapie. Sie arbeitet seit zwanzig Jahren ausschließlich mit Beckenbodenpatienten. „Als nächstes geht es darum, einzelne Bereiche anzusprechen: Ein Mann übt, die Peniswurzel nach oben zu ziehen, eine Frau hebt die Scheide an oder zieht sie etwas enger.“ Oft hilft es, dabei mit zwei Fingern sanft auf den Damm zu drücken, dann spürt man recht deutlich, wie die Muskeln sich dort bewegen. Was ist von rundlichen Gerätschaften zu halten, die in der Scheide von der Beckenbodenmuskulatur gehalten werden? „Die sind eher ungünstig, denn sie sind oft zu glatt“, sagt Rothe. „Dadurch geben sie der Scheide wenig haptische Informationen, die sie braucht, um den Widerstand zu spüren und zu halten. Sie sind auch manchmal zu schwer, dadurch muss der Beckenboden plötzlich stark arbeiten, das kann die Muskeln überfordern.“

Wer das Beckenbodentraining mit System erlernen will, findet bei vielen Volkshochschulen passende Kurse. Ist das Core Training auch für Breitensportler nützlich? „Ja, denn die Muskeln von Beckenboden, Bauch und Rücken haben für die Statik eine große Bedeutung“, sagt Rothe. „Wenn Rückenschmerzen von einer instabilen Wirbelsäule herrühren, dann kann es helfen, diese Muskelgruppen zu stärken. Die Beckenbodenmuskulatur scheint über Reflexnerven auf den Rücken zu wirken, andererseits stabilisiert sie das Iliosakralgelenk zwischen Beckenschaufeln und Wirbelsäule. Wenn dieses Gelenk in einer günstigen Position steht, dann entlastet das den Rücken.“

Selbst wenn man mal keine Zeit oder Lust zum Training hat, lässt sich etwas für den Beckenboden tun: Man kann nett sein zu ihm. Pressen beim Stuhlgang belastet ihn, genau wie Luft anhalten, wenn man beim Fitnesstraining oder beim Entrümpeln des Kellers schwere Gewichte stemmt. An Übergewicht im Bauchraum hat er bei jedem Schritt ordentlich zu tragen, und manchmal trägt er auch mit, wenn uns etwas auf der Seele liegt. „Die Psyche spielt für das Verhältnis zum Beckenboden eine große Rolle“, sagt Rothe. „Beschwerden von Anus, Blase und Fortpflanzungsorganen können auch psychosomatisch bedingt sein. Wenn wir den Themen Sex und Ausscheidungen ohne Zwang oder Ängsten gegenüberstehen, dann sind das gute Voraussetzungen, um für unseren Beckenboden ein gesundes Bewusstsein zu entwickeln.“ Das hat er doch verdient, schließlich unterstützt er uns jeden Tag.

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