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Wirtschaft - 21.06.2019

Wer fit sein will, bleibt daheim

In den USA ist ein neuer Trend geboren: Gruppenkurse in den eigenen vier Wänden. Die Firmen dahinter kassieren Tausende Dollar pro Mitglied – und sind inzwischen Milliarden wert. Aus New York berichtet Sabrina Kessler.

Anne Goldstein war es leid. Jeden zweiten Tag hetzte sie sich ab, um nach ihrem Arbeitstag halbwegs pünktlich zu ihrem Fitnesskurs zu kommen, dessen Zeitplan sich natürlich nie nach ihr richtete und das ging ihr gehörig auf die Nerven. Die Versicherungskauffrau aus Pennsylvania schleppte sich trotzdem ins Studio, Woche für Woche, bis letztes Jahr Thanksgiving kam. Sie hatte von einem Fahrrad gehört, das man sich in die eigenen vier Wände stellt, mit Display am Lenker, um Gruppenkurse zu streamen. „Eigentlich wollte mir mein Mann so eins zum Geburtstag schenken“, sagt die 50-Jährige, aber das dauerte ihr einfach zu lang und außerdem hatte sie doch gerade erst einen Bonus von ihrer Firma bekommen.

Anne Goldstein ging also zum nächsten Händler, legte ihr Erspartes auf den Tisch und kündigte ihr Fitnessstudio noch am gleichen Tag. „Seit das Fahrrad in meinem Wohnzimmer steht, stehe ich fast jeden Morgen um 5 Uhr auf.“ Sie liebt es, vor der Arbeit Sport zu treiben.

Netflix für Fitness

Peloton nennt sich die Firma hinter dem Trend, für den sich Goldstein und hunderttausend andere Amerikaner derzeit begeistern. Nüchtern betrachtet sind die Spinning-Räder nichts anderes als gewöhnliche Heimtrainer, doch mit etwas digitaler Technik und mehr als einer Prise Coolness wird aus dem Stand-Rad ein hippes Lifestyle-Objekt. Über einen Bildschirm am Lenker können sich die Sportler in Tausende Live- oder On-Demand Kurse einwählen, um an digitalen Gruppenkursen teilzunehmen, ohne das Haus zu verlassen. Das Ziel des Unternehmens ist wenig bescheiden: Peloton soll das Netflix für Fitness werden.

Gemeinsamer Sport geht auch analog

Der Plan des Gründers John Foley scheint aufzugehen. In den USA hat Peloton längst Kult-Status erreicht, mehr als eine Million Menschen steigen regelmäßig auf das moderne Ergometer. Rund 400.000 dieser Fahrräder hat Peloton inzwischen verkauft, jedes zu mindestens 2.245 Dollar, dazu kommt die monatliche Abo-Gebühr von 39 Dollar, nur so kann man die Online-Kurse daheim streamen. Rund 700 Millionen Dollar hat das Unternehmen auf diese Weise im vergangenen Geschäftsjahr eingenommen, zuvor hatte es fast eine Milliarde Dollar an Investorengelder eingesammelt.

Auch Uber investiert in Peloton

Zu den Geldgebern zählt nicht nur die bekannte Kapitalgesellschaft TCV, die zuvor schon in Facebook, Netflix und LinkedIn investiert hat, sondern auch der Chef des Fahrdienstleisters Uber. Mehr als vier Milliarden Dollar ist die Firmen bereits wert. Mit dem Börsengang, der vor guten zwei Wochen angekündigt wurde und noch in diesem Jahr stattfinden wird, könnte sich die Bewertung laut Nachrichtenagentur Bloomberg sogar verdoppeln. Acht Milliarden Dollar könnte Peloton demnach wohl schon bald aufrufen.

Pelotons Börsengang passt in eine Zeit, in der Selbstoptimierung für viele zur Religion geworden ist. Spinning – das ist eigentlich nichts Neues, aber die digitale Form scheint anzukommen bei einer Gesellschaft, die möglichst unverbindlich und selbstbestimmt durch ihr Leben gehen will und doch gelegentlich das gemeinschaftliche Sporterlebnis braucht. „Wir wissen, dass viele Menschen Sport machen wollen“, sagt Kevin Cornils, der als Managing Director die internationale Expansion des Unternehmens vorantreibt, „aber der stressige Alltag wirft ihnen oft Steine in den Weg.“ Der heutige Zeitgeist mit seinen digitalen Möglichkeiten sei da ideal. „Die Leute wollen die Kontrolle über ihr Leben zurück und selbst bestimmen, wann sie was tun – Netflix ist ein tolles Beispiel dafür.“

Nicht nur der Zeitgeist stützt die Pläne von Peloton, sondern auch der unaufhaltsam wachsende Markt. Mehr als 62 Millionen Menschen in den USA sind Mitglied eines Fitnessstudios, allein vergangenes Jahr setzte die amerikanische Sport-Industrie 32 Milliarden Dollar um. Angebote mit Gemeinschaftsgefühl sind besonders im Kommen: „Wir sehen eine starke Nachfrage danach, weil sich Menschen zugehörig fühlen wollen“, sagt Meredith Poppler vom Sportverband International Health, Racquet and Sportsclub Association (IHRSA). Für genau dieses Gefühl, das Gruppengefühl, aber nicht die eigenen vier Wände verlassen zu müssen: „Dafür geben mehr und mehr Menschen eine beträchtliche Summe Geld aus“, so Poppler. 

Das „narzisstischste Sportgerät aller Zeiten“

Der Fitness-Spiegel – 1.495 Dollar plus monatlich 39 Dollar Abo-Gebühr

Auch das Unternehmen Mirror möchte an diesem Markt verdienen. Seit drei Jahren verkauft das Unternehmen auf den ersten Blick herkömmliche Spiegel, die sich mit einem Knopfdruck in ein Fitnessgerät verwandeln, ohne in der Wohnung sonderlich aufzufallen. Einmalig 1.495 Dollar plus monatlich 39 Dollar Abo-Gebühr zahlen die überwiegend weiblichen Kunden für das Tool, das von der New York Times als das „narzisstischste Sportgerät aller Zeiten“ betitelt wird. Auf der interaktiven Oberfläche – einem 40 Zoll HD-Bildschirm mit Stereo-Lautsprechern – sieht man nämlich nicht nur den Trainer, der die Übungen vorturnt, sondern auch permanent sich selbst, gefilmt von einer integrierten Kamera. Die eigene Leistung kann man dabei zeitgleich mit anderen Nutzern vergleichen, die ebenfalls bei sich zu Hause vor dem Spiegel stehen und schwitzen. Eine Million Dollar verdient die Firma mit diesem Konzept pro Monat, das inzwischen auch unter Stars wie Alicia Keys, Ellen DeGeneres und Gwyneth Paltrow ein Hit ist.

Da die tollsten Heimtrainer allerdings nichts bringen, wenn man unterwegs ist, haben sich die Firmen auch dafür inzwischen etwas einfallen lassen. Sowohl Peloton als auch Mirror kooperieren mit einer zunehmenden Anzahl an Hotels in den USA, um entweder direkt in den Zimmern oder in den hoteleigenen Fitnessräumen gefeatured zu werden. Anne Goldstein geht inzwischen so weit, dass sie sich auf Business-Trips nur noch in Hotels einbucht, die über Peloton-Fahrräder verfügen. Für sie steht fest: „Normale Fitnessstudios kommen für mich nie wieder infrage.“

 

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