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Wirtschaft - 21.01.2019

UK: Die Brexit-Angst der Autobauer

In wenigen Wochen verlässt Großbritannien die EU. Nach der Pleite, die die Premierministerin mit dem von ihr ausgehandelten Austrittspapier im Parlament erlebte, wächst die Angst in der britischen Autoindustrie.

In den ersten, teilweise euphorischen Tagen nach dem inzwischen historischen Volksentscheid, dem zufolge Großbritannien die Europäische Union verlassen soll, wandte sich Theresa May an David Davis. Der sollte die neu geschaffene Austrittsbehörde leiten und seine Vorstellungen davon, wie glatt das gehen würde, hatten sich schnell durchgesetzt.

„Nur Minuten nach einer Brexit-Entscheidung“, hatte er in einer Rede in London – schon vier Monate vor dem Referendum – vorhergesagt, „werden die Chefs von Mercedes, BMW, VW und Audi Kanzlerin Merkel die Tür einrennen. Und dann werden sie fordern, dass all die britischen Firmen, die sie inzwischen besitzen, einen ungehinderten Zugang zum europäischen Markt bekommen.“

Davis schien felsenfest davon überzeugt, dass in den Austrittsverhandlungen zwischen dem UK und der EU die mächtigen deutschen Autobosse für die Interessen des Vereinigten Königreiches streiten würden.

… und nichts dazugelernt

In den fast drei Jahren, die seit seiner Rede verstrichen sind, scheinen sich seine Ansichten kaum geändert zu haben. Nur Stunden bevor Theresa Mays Austrittsplan vom Unterhaus vernichtet und zurückgewiesen wurde, hatte er getwittert: „Die deutsche Industrie fürchtet sich sehr vor einem Austritt nach den Regeln der WTO.“

Davies erweckte den Eindruck, die Drohung, einen Austritt nach den Spielregeln der Welthandelsorganisation zu vollziehen, könnte ein Trumpf bei den Verhandlungen mit der EU sein. Im Gegensatz zu den meisten Analysten, denen ein solcher Ausgang existenzbedrohend erscheint – für die britische Wirtschaft.

Eine Verirrung

Der Brexit ist nun nur noch Wochen entfernt, und wenn die Appelle von BMW und den anderen jemals im Kanzleramt gehört worden sind – den gewünschten Effekt haben sie jedenfalls nicht gehabt.

Der Gedanke, die zukünftigen Handelsbeziehungen des Vereinigten Königreiches mit der EU könne man einfach so bei Bier und Bratwurst in Berlin ausbaldowern, geht wohl als Verirrung in die Geschichte ein – wie auch David Davis‘ Karriere als Minister.

Und mehr noch: Die britische Autoindustrie, von der mehr als eine Million Jobs allein im Vereinigten Königreich abhängen, kämpft immer mehr mit den Aussichten eines harten Brexit und den Unannehmlichkeiten, die er mit sich bringen wird.

Stimmt schon: Der Mini wird noch in England gebaut. Tatsächlich fahren die Kleinen aber für einen deutschen Autobauer.

Ab April gilt erst mal: Abwarten und Teetrinken

Die BMW-Gruppe ist nur eine von mehreren internationalen Autoschmieden, für die das Königreich ein Niederlassungsort größerer Bedeutung ist. Abgesehen davon, dass Großbritannien der viertgrößte Markt für den bayerischen Autobauer ist, hat das Unternehmen auch eine große Präsenz auf der Insel: beispielsweise die Mini-Werke in Oxford und Swindon, das Rolls-Royce Werk in Goodwood und die Hams-Hall-Motorenfabrik in den Midlands.

Am 1. April, dem ersten Arbeitstag nach dem Austritt aus der EU, wird BMW die Produktion in allen UK-Werken für die meiste Zeit des Monats einstellen. Das bestätigte Graham Biggs, der BMW-Sprecher im Vereinigten Königreich gegenüber der DW.

Die Werke in Oxford und Swindon werden die Produktion bis zum 28. April unterbrechen, Rolls-Royce wird die Arbeit in den ersten zwei Wochen des Aprils ruhen lassen und die Motorenwerke Hams Hall werden für fast den ganzen Monat geschlossen.

Graham Biggs dazu: „Als verantwortungsvolle Unternehmer schauen wir auf die Optionen und tun, was nötig ist, um für den schlimmsten Fall gewappnet zu sein: einen harten Brexit. Daür nutzen wir unsere jährliche Wartungsperiode, die wir am Austrittstag beginnen lassen. So verringern wir das Risiko unerwünschter Produktionsausfälle durch kurzfristige Nachschubschwierigkeiten, wenn Teile in den Kanalhäfen liegenbleiben sollten.“

Biggs betont aber, dass es nichts besonderes sei, Werke für Wartungsarbeiten zu schließen, doch für dieses Jahr sei das Timing geändert worden – wegen des Brexits.

In Sunderland beschäftigt der japanische Autobauer Nissan rund 6000 Menschen.

Auch für Japan eine große Sache

Nicht nur die BMW-Gruppe ist auf dem Markt im Vereinigten Königreich ein großer Player, der vom Brexit in Mitleidenschaft gezogen wird. Auch Nissan und Toyota sind wichtige Arbeitgeber, aber sie wollten nichts dazu sagen, wie sie sich auf einen harten Brexit vorbereiten.

Toyota jedenfalls hat bereits angekündigt für den Fall eines harten Brexit sein Werk in Derbyshire auf unbestimmte Zeit zu schließen. Im vergangenen Jahr sagte Werksdirektor Marvin Cooke gegenüber der BBC: „So wie ich die Dinge sehe, wird die Produktion in unserem Werk angehalten, wenn Großbritannien Ende März aus der Union fliegt.“

Honda teilte in der vergangenen Woche mit, sein Werk im Land für sechs Tage zu schließen, um „das Risiko von Produktionsunterbrechungen in unserem Werk in Swindon besser abfedern zu können.“

„Der Wunsch der ganzen Welt“

Während die Autobauer noch recht zurückhaltend sind, wenn sie nach langfristigen Plänen für den Fall eines harten Brexit befragt werden, sind die Aussagen von Japans Premierminister sehr viel eindeutiger. Shinzo Abe machte bei seinem London-Besuch in der vergangenen Woche ganz klar, für wie düster er die Aussichten hält, sollte Großbritannien die EU ohne neuen Vertrag verlassen. Schließlich ist die gegenwärtige 28-Länder-EU ein Handelsbund, der fast 15 Prozent der japanischen Exporte aufnimmt und mit dem Japan gerade ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat.

„Wir hoffen von ganzem Herzen,“ sagte Abe, „dass ein harter Brexit vermieden werden kann – das scheint in der Tat der Wunsch der ganzen Welt zu sein. Japan unterstützt den Austrittsvertrag, den Premierministerin Mays und die EU ausgehandelt haben, voll und ganz.“

Rolls-Royce und die berühmte Kühlerfigur: Dieses Symbol britischer Automobilbaukunst gehört inzwischen BMW.

Den Schwarzen Peter nach London geschoben

Mutmaßungen über die letztgültigen Brexit-Modalitäten sind witzlos, wenn man auf das gegenwärtige politische Klima Londons schaut. Daher werden die Autofirmen sich hüten, mehr zu sagen als bisher, so lange sie kein klareres Bild der Lage haben.

Noch immer hoffen einige Brexiteers, unverändert verblendet von den Versprechungen eines David Davis, dass die deutschen Autobauer darauf drängen werden, den Briten entgegenzukommen – egal, was das für die Interessen der EU bedeuten könnte.

Kurz bevor das Parlament in der vergangenen Woche über den ausgehandelten Vertrag mit der EU entscheiden sollte, hatte sich noch einmal Nigel Farage, wohl der größte aller Brexiteers, zu Wort gemeldet. Er beteuerte noch einmal seinen Glauben daran, dass die deutsche Autoindustrie von der EU verlangen werde, den britischen Forderungen nachzugeben, um einen harten Brexit zu vermeiden,

Doch nichts im Statement des mächtigen deutschen Automobilbranchenverbandes, das der VDA nach der Abstimmung veröffentlichte, deutet auf einen Meinungswandel hin. Im Gegenteil, er schiebt die ganze Schuld und Verantwortung London in die Schuhe: „Mit der heutigen Entscheidung hat die Parlamentsmehrheit dem Land einen Bäendienst erwiesen. Nun erscheint ein harter Brexit wahrscheinlicher als zuvor – seine Konsequenzen werden verheerend sein.“

„Wir brauchen einen ungehinderten Handel!“

Während die Unterstützer eines Brexit noch immer auf eine Absolution warten, die vielleicht nie kommen wird, müssen die Verantwortlichen in der Autoindustrie, wie Graham Biggs von BMW mit der zunehmenden Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit umgehen.

„Ein Austritt ohne Vertrag, ein harter Brexit, wäre die schlimmstmögliche Alternative für die Wirtschaft. Er würde unser weltweites Netz von Produktion und Handelsbeziehungen auseinanderreißen,“ sagte Biggs zur DW. „Was wir immer gesagt haben ist: Wir brauchen einen ungehinderten Handel. Den wird es ganz klar nicht mehr geben, wenn es zu einem harten Brexit kommt.“

 

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