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Politik - 18.01.2019

Polen macht gegen Hass mobil

In Schulen soll es jetzt Lehrstunden geben

Wer ist – neben dem eigentlichen Täter – mit schuld am Tod von Paweł Adamowicz († 53)?

Darüber streitet jetzt ganz Polen – und zwar zunehmend heftig. Nach dem tödlichen Attentat auf den Danziger Bürgermeister am vergangenen Sonntag während eines Benefizauftritts kocht die Debatte zum Auslöser immer höher.

Im Mittelpunkt: Hass-Reden, vor allem politischer Natur. Nicht zuletzt psychisch labile oder kranke Menschen – unbestätigt so auch der Attentäter – würden dadurch zu mehr Hass und am Ende zu Gewalt animiert, sagen Fachleute.

  • Politiker schwer verletzt

    Bürgermeister von Danzig niedergestochen!

    Der Bürgermeister der polnischen Hafenstadt Danzig, Pawel Adamowicz, ist am Sonntag schwer verletzt worden. Sein Zustand ist kritisch.

In Warschaus Schulen soll es deshalb nach dem Willen des neuen Oberbürgermeisters jetzt eigens Lehrstunden zu Hass-Reden geben.

Rafał Trzaskowski (47), der im Herbst bereits im ersten Wahlgang das Rathaus für die oppositionelle Bürgerplattform eroberte, verspricht sich davon Aufklärung:

„Hass hat verheerende Folgen. Und alles beginnt mit Worten“, erklärte Trzaskowski in einer Twitter-Nachricht. „Deshalb gibt es an Warschauer Schulen noch vor den Feiertagen Unterricht, wie man Hassreden begegnet. Danke.“

Ein überraschender Vorstoß, für den der frühere Minister für Verwaltung und Digitalisierung (2013/14) sogleich starken Gegenwind erntete: Denn Rechts-Konservative brandmarken den Plan als Methode, um linke Propaganda in Schulen zu streuen.

  • Messerangriff auf Bürgermeister

    Seine Frau hatte keine Chance, sich zu verabschieden

    Polen trauert um Pawel Adamowicz (53). Am schlimmsten trifft der Tod des Bürgermeisters von Danzig seine Ehefrau …

  • Er wurde am Sonntag attackiert

    Niedergestochener Bürgermeister von Danzig tot

    Der am Sonntag niedergestochener Danziger Bürgermeister ist an seinen Verletzungen gestorben.

Laut Krzysztof Bosak (36) von der „Nationalen Bewegung“ würden die Linken „Hass“ und „Hass-Reden“ nur in ihrem Sinne, also contra rechts, „re-definieren“, ebenso das Wort „Gewalt“:

„Das Endergebnis ist, dass konservative Sichtweisen zu einer Form „verbaler Gewalt“ werden, während die Antifa-Gewalt (Anm.d.R.: Antifaschistische Aktionen) ausgeblendet wird“, erklärte der Politiker, der ehemals für die Liga der Polnischen Familien im Parlament (Sejm) saß.

Pars pro toto

Der Streit steht exemplarisch für die Auseinandersetzung, die zwischen Oder und Weichsel geführt wird und bei der sich die politischen Gegner immer unversöhnlicher gegenüberstehen.

Dabei geht es a) um die Deutungshoheit über das Attentat und b) wer wie politisches Kapital daraus schlägt, Stichwort Instrumentalisierung.

Auch wenn besonnene Stimmen zur Mäßigung aufrufen, so etwa Adamowiczs Stellvertreterin Aleksandra Dulkiewicz, die noch am Montag appellierte, „das Drama und die schwierige Situation auf keine Art und Weise politisch und ideologisch auszunutzen“.

Zwischen der regierenden PiS und der PO fliegen mehr denn je die Fetzen, beide werfen sich gegenseitig vor, ein „Klima des Hasses“ zu erzeugen.

Mit von der Partie sind nicht zuletzt die Medien, allen voran der staatlich gelenkte Sender TVP, dem Gegner stramme Regierungspropaganda vorwerfen. Auch habe dieser immer wieder gegen Adamowicz gehetzt.

Offenbar aufgestachelt machte dessen Hauptnachrichtensendung Anfang der Woche unverhohlen Politiker der PO für die Stimmung im Land und für das Attentat mitverantwortlich. Aufgegriffen wurde dabei auch ein Mord an einem PiS-Politiker aus dem Jahr 2010. PiS-Vorsitzender Jarosław Kaczynski sprach seinerzeit von einer „Hasskampagne“, die daran schuld sei.

Auch zwischen Journalisten tobt der Kampf: Während der stellvertretende Chefredakteur der links-liberalen „Gazeta Wyborcza“, Jarosław Kurski, von einem „politischen Verbrechen“ schrieb, hielt ihm der polnische Publizist Rafał A. Ziemkiewicz entgegen, „eine Hyäne einer Zeitung im Niedergang zu sein“, die daraus Profit zu schlagen hoffe.

Schweigeminute, welche Schweigeminute?

Zu alldem passt, dass bei der gestrigen Schweigeminute im Sejm die gesammelte PiS-Parteispitze, allen voran Kaczynski, fehlte. Die Sprecherin nannte dies einen „Zufall“ …
Darüber echauffiert sich gerade halb Polen – entlang eben jenes Grabens, der durch das Land führt und immer tiefer zu werden scheint.

  • Außenminister heute in Moskau

    „Heiko, mach den Genscher!“

    Außenminister Heiko Maas (SPD) reist heute zu Gesprächen nach Russland. BILD hat Politiker befragt: Was sollte Maas Putin & Co. sagen?

Für den polnischen Sozialpsychologen Konrad Maj sind das alles keine guten Vorzeichen: „In Polen wurde die Sprache in den letzten Jahren immer kräftiger, leider. Die Regierung hat nicht die Demonstrationen der Enthumanisierung verurteilt, die Sprache des Ausschlusses und Hasses. Nun ernten wir die Ernte“, erklärte der Psychologe an der Warschauer Universität für Sozial- und Humanitätsstudien gegenüber BILD.

Todesanzeige

Als Bürgermeister, der sich stets gegen Homophobie, Rechtsextremismus und Antisemitismus aussprach, war Adamowicz überdies regelmäßig Zielscheibe rechter Attacken, schon weil Liebling von Linken und Liberalen:

2014 erklärte er sich bereit, Flüchtlinge in Danzig aufzunehmen. Die rechtsextreme Jugendorganisation „Allpolnische Jugend“ brachte daraufhin seine fiktive Todesanzeige in Umlauf: „Die Todesursachen: Liberalismus, Multikulturalismus und Dummheit“.

Am Samstag nun wird Adamowicz wirklich beerdigt, um 12 Uhr in der Marienkirche von Danzig, so wie dort traditionell seine Amtsvorgänger. Die Danziger können ihrem Bürgermeister seit Donnerstag die letzte Ehre erweisen; der Sarg mit seiner Asche wurde zunächst im Solidarność-Zentrum aufgebahrt. 


Polens Präsident Andrzej Duda kündigte eine Staatstrauer an, erwartet werden auch prominente Trauergäste aus dem Ausland.

Bleibt zu hoffen, dass wenigsten an diesem Tag die verbalen Waffen schweigen.

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