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Politik - 10.05.2019

Ohne Streit kann Europa nicht mehr

Merkel: „Haben sehr, sehr viel erreicht“ ++ Sondergipfel am 28. Mai zu Personalfragen

Innerhalb einer Minute, erfuhren staunende Reporter aus Diplomaten-Kreisen, haben sich die Staats- und Regierungschef beim informellen EU-Gipfel in Hermannstadt (rumänisch Sibiu) heute Nachmittag auf die Zehn-Punkte-Erklärung geeinigt.

Sie soll Hoffnung auf eine geeinte Zukunft machen: „Vereint durch dick und dünn“ wolle man künftig gehen und sich „in Notzeiten untereinander solidarisch zeigen“, heißt es in der „Erklärung von Sibiu“.

Und diesmal gab es weit und breit keine Theresa May, die mit ihrem seit 2016 andauernden Brexit-Zickzack-Kurs die Aufmerksamkeit dafür rauben konnte.

Blöd nur, dass es in Nicht-Notzeiten wieder einmal Pustekuchen war mit der vielbeschworenen Geschlossenheit. Auch wenn die Repräsentanten der 27 EU-Mitgliedsstaaten wohl zu ihrer eigenen Überraschung von den Bewohnern der 150 000-Einwohner-Stadt mit Sprechchören und wehenden Fähnchen gefeiert wurden –so dass sich sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (64, CDU) als auch der notorisch menschenscheue Frankreich-Präsident Emmanuel Macron (41) spontan entschlossen, ein Bad in der Menschenmenge zu nehmen.

Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die Hoffnung auf einen Harmonie-Gipfel , der in Anbetracht der wachsenden Zahl von EU-Skeptikern und Feinden ein Zeichen der Geschlossenheit setzt, berereits dahin.

In Vorleistung gegangen war Ungarns Regierungschef Viktor Orban, indem er zu Wochenbeginn dem konservativen Spitzenkandidaten der Konservativen Manfred Weber (CSU) Gefolgschaft und Unterstützung aufkündigte. Stattdessen traf er sich in den letzten Tagen mit dem Anführer der neuen Rechtspopulisten-Alllianz, Matteo Salvini. Als beim Gang über den roten Teppich allerdings Fragen auf ihn einprasselten, flüchtete Orban wie ein Fußballspieler nach einem Eigentor im Derby.

Dann bekam Orban ausgerechnet von einem seiner größten Kritiker Schützenhilfe. Auch Frankreichs Präsident Macron ist unglücklich mit der inzwischen sehr guten Ausgangslage, mit der der deutsche Spitzenkandidat Weber in die Europawahl – und damit um das Rennen der Nachfolge von Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident geht.

► Macron ist dagegen, dass einer der Spitzenkandidaten wie im Fall von 2014-Wahlsieger Juncker bei einem Wahlsieg und einer Parlamentsmehrheit automatisch EU-Boss wird. Er sagte in Hermannstadt: „Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist“. Dies sei frühestens dann sinnvoll, wenn es bei der Wahl auch länderübergreifende Kandidatenlisten gebe.

► Prompt schlossen sich zwei Regierungschefs Macrons Murren an: „Meine Wähler haben keine Ahnung, wer Spitzenkandidat ist“, kritisierte Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel. Und Griechenlands linker Premierminister Alexis Tsipras wurde grundsätzlich und persönlich, stellte in Abrede, dass Weber die europäischen Werte symbolisiert.

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Sondergipfel am 28. Mai zu Personalfragen

Als auch noch der Name von Webers französischem EVP-Fraktionsfreund Michel Barnier als mögliche Alternative gestreut wurde, meldete sich der Niederbayer am Abend selbst zu Wort: Er sei beim EVP-Parteitag im November mit 79 Prozent zum EU-Spitzenkandidaten gewählt worden. Die EVP mache sich „lächerlich“, wenn sie sich nicht daran halte.

Auch wenn Weber mit Bundeskanzlerin Merkel und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz prominente Unterstützer hat: Seit heute sind die Zweifel an einer einvernehmlichen Lösung gewachsen. Erst recht, nachdem Ratspräsident Donald Tusk am Abend einen Sondergipfel zu Personalfragen zwei Tage nach der Europawahl (28. Mai) einberief.

Will Macron mit Atomkraft das Klima retten?

Macron, der laut Umfragen in seiner Heimat schon wieder ein knappes Duell mit der Rechtsextremistin Marine Le Pen befürchten muss, setzte noch einen drauf: Im Verbund mit den Niederlanden und den skandinavischen Ländern forderte Frankreichs Präsident, dass die EU künftig mindestens 25 Prozent ihrer Mittel für den Kampf gegen den Klimawandel einsetzen und bis 2050 netto CO2-neutral werden solle.

Deutschland unterzeichnete das Papier bislang nicht, Bundeskanzlerin Merkel verhinderte einen Eklat jedoch, indem sie klarstellte: „Weite Teile dieser Initiative teile ich“.

Und dann sind da noch die Meinungsverschiedenheiten in der Frage, welche Richtung die Union grundsätzlich einschlagen soll. Österreichs Kanzler Kurz (32) forderte nicht weniger als eine Neuaufstellung der EU: „Ein neuer Vertrag, ein Generationswechsel, das ist jetzt, was wir brauchen.“

Und dann lederte Sebastian Kurz noch ganz unverhohlen gegen Macrons Klima-Initiative: Er werde das Vorhaben nicht unterstützen, „weil wir den Weg, auf Atomkraft zu setzen, für vollkommen falsch erachten“, sagte er. Sein Land wolle im Kampf gegen den Klimawandel auf erneuerbare Energien setzen und nicht auf Atomenergie.

Vollkommen unklar ist, warum Macron überhaupt den halbgaren Plan auf die Agenda setzte, wenn er davon nicht einmal ein Drittel der Mitgliedsstaaten überzeugen konnte.

Aber auch zuletzt – beim Sondergipfel zum Brexit – hatte Macron sich nicht um die Mehrheitsmeinung geschert, den Briten sollte ein neuerlicher und langer Aufschub für ihre EU-Austritt gewährt werden.

Denn merke: Beim Wähler zu Hause kommt es durchaus an, wenn man sich bei wichtigen Entscheidungen querstellt. Und vielleicht ist das noch immer das Schlüssel-Problem der EU: Dass es der Wähler ist, dem nichts suspekter ist als komplette Einigkeit und Geschlossenheit der Union.

Merkel will Gipfel-Frequenz erhöhen

Die größte Stärke der EU bleibt der Kompromiss, insofern braucht sie Reibung und konstruktiven Streit. Wie Kanzlerin lenkte bei ihrer abschließenden Pressekonferenz den Blick auf die Erfolge der vergangenen Jahre: „Wir haben sehr, sehr viel erreicht“, sagte sie. „Aber wir wissen, dass die Welt nicht schläft und dass wir in den nächsten Jahren hart weiter arbeiten müssen.“

Aug ihren Vorschlag hin sollen sich die Staats- und Regierungschefs künftig sogar alle zwei Monate regulär treffen, um schnellere Entscheidungen zu treffen – also sechsmal statt viermal im Jahr.

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