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Politik - 17.01.2019

Den Briten droht ein Endlos-Stau

Was der ungeordnete Austritt aus der EU für Touristen, Jobs und den Handel bedeutet

Nach der Ablehnung des Brexit-Abkommens durch das britische Parlament wächst die Sorge vor einem ungeordneten EU-Austritt der Briten. Denn tausende Regelungen für Handel und Verkehr zwischen Großbritannien und der Europäischen Union (EU) drohen nach dem 29. März ungültig zu werden.

Schon im Dezember fürchtete EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die „absolute Katastrophe“, sollten das britische Parlament gegen den Brexit-Deal stimmen. Ein EU-Notprogramm könne nicht annähernd die Vorteile des Austrittsvertrags aufwiegen – „und natürlich auch nicht die Vorteile der EU-Mitgliedschaft“, hieß es aus Brüssel.

BILD erklärt, wie das Brexit-Chaos Reisende, Arbeitnehmer und Unternehmen treffen würde – und warum ein 130-Kilometer-Stau zwischen London und Dover droht.

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Lange Schlangen und doppelte Kontrolle bei Flugreisen

Wer um den 29. März, das Datum des Briten-Austritts, nach London reist, könnte im schlimmsten Falle für einige Tage in Großbritannien festsitzen.

Denn bei einem Brexit ohne EU-Abkommen werden Verkehrsrechte und Betriebsgenehmigungen ungültig. Zwar will die EU mit Sonderregeln für zwölf Monate zumindest einige Flüge aufrechterhalten. Aber nur, falls London den EU-Airlines die gleichen Rechte einräumt. Das wird Störungen im Flugbetrieb trotzdem kaum verhindern.

Der Airline-Verband IATA fordert eine gegenseitige Anerkennung von Lizenzen sowie Sicherheits- und Industriestandards. Ansonsten müssen Reisende zwischen Großbritannien und Europa sich auf doppelte Sicherheitskontrollen für ihre Gepäckstücke einstellen. Lange Schlangen an der Passkontrolle seien unvermeidbar.

Britische Fluggesellschaften könnten außerdem ihre Rechte verlieren, etwa von London nach Frankfurt oder Mallorca zu fliegen. Ganz ausgeschlossen wären künftig Zwischenstopps. Probleme kann es aber auch für die deutschen Flug-Unternehmen Condor und Tuifly geben. Der Grund: beide gehören zu Konzernen mit Sitz in Großbritannien. Damit würden ihre Genehmigungen nach dem Brexit erlöschen.

Probleme bei Visa, Zoll und Roaming möglich

Um im Reiseverkehr das Schlimmste zu verhindern, hat die EU-Kommission „visafreies Reisen“ für bis zu 90 Tage angeboten – falls London dies umgekehrt allen EU-Bürgern gewährt. Ein ähnlicher Kompromiss zeichnet sich auch für die gegenseitige Anerkennung von Führerscheinen ab. Aber: Dieser Lösungsvorschlag löst noch nicht die Probleme beim Zoll.

Reisedokumente für Haustiere, Versicherungsschutz, Einfuhr von Bargeld, der Import von Produkten tierischen Ursprungs – all das müsste neu verhandelt werden. Die Bundesregierung hat bereits beschlossen, für diesen Ernstfall 900 neue Zöllner zu rekrutieren.

Auch die günstigen Telefon-Konditionen für EU-Bürger könnten ohne ein neues Abkommen zwischen den Briten und der EU vorerst beendet sein.

Entwarnung für Studenten und Rentner

Immerhin für viele Studenten ist das Zukunftsszenario nach dem Brexit klar vorgezeichnet: Zwar ist bisher noch unklar, ob Großbritannien weiterhin Teil des bei vielen Studierenden beliebten „Erasmus“-Programms bleibt.

Die bisherigen finanziellen Regelungen für Studenten aus anderen EU-Mitgliedsstaaten gelten nach dem Brexit aber weiter. Auch für Studenten, die unmittelbar nach dem Brexit anfangen, wie der britische Rat für internationale Studenten-Angelegenheiten (UKCISA) auf seiner Webseite schreibt.

►Besonders gute Nachrichten für Bäfog-Empfänger: Wer seine Ausbildung in Großbritannien schon angefangen hat, bekommt bis zum Studienende trotz Brexit weiterhin die staatliche Unterstützung.

  • Commentary on the Brexit deal rejection

    What a Brexshit!

    At what point has a country really gone politically broke? Answer: when, with respect to what is by far the most important political…

Aufatmen können auch deutsche und britische Arbeitnehmer – zumindest in Sachen Sozialbeiträge: „Staatsbürger, die am 30. März 2019 im jeweils anderen Land leben und arbeiten, sollen ihren Sozialversicherungsschutz behalten: in der Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen, Renten- und Unfallversicherung – auch für den Fall eines ungeordneten Brexit“, schreibt die Bundesregierung auf ihrer Webseite.

Gleiches gilt für deutsche Rentner, die in Großbritannien leben.

Störungen im Zahlungsverkehr

Britische Banken und Versicherer verlieren bei einem Chaos-Brexit weitgehend den Zugang zur EU. Etliche Banken wollen deshalb ihre Mitarbeiter aus London abziehen. Nach jüngsten Angaben der Finanzaufsicht Bafin sind inzwischen mehr als 45 Finanzinstitute dabei, sich in Deutschland, vor allem in der Wirtschaftsmetropole Frankfurt, ein Standbein aufzubauen.

Ein Notprogramm soll nach EU-Vorstellungen Finanztransaktionen über einen Zeitraum von zwölf Monaten sichern. Was aber bei einem massiven Kursrutsch an der Börse und möglichen Panikverkäufen des Britischen Pfunds passieren würde, ist nicht absehbar.

► Ärgerlicher Nebeneffekt des Brexits: Gebühren fürs Geldabheben, für die Nutzung von Kreditkarten oder fürs Telefonieren dürften für EU-Bürger drastisch steigen.

Handelsvolumen von über 175 Milliarden Euro gefährdet

Wesentlich dramatischer geht es in der Wirtschaft zu: Hier würde ein Chaos-Brexit mit voller Härte durchschlagen. Clemens Fuest, der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung, rechnet im Falle eines ungeregelten Brexit mit „riesigen Kosten“.

Unvermeidbar wären nach Ansicht von Prof. Iain Begg (65), Brexit-Experte von der London School of Economics, ein Zusammenbruch der Lieferkette über Calais (Frankreich) nach Dover (England), wo heute Zehntausend Lkw täglich Produkte ohne Zoll-Kontrolle ins Land bringen.

Ein Endlos-Stau wäre die Folge, warnt etwa der dänische Spediteur DSV. Der könnte sich über die gesamte 130 Kilometer lange Strecke zwischen London und Dover erstrecken, sagte DSV-Chef Jens Bjorn Andersen. In Dover werden rund 17 Prozent der Güter für das Vereingte Königreich abgefertigt. Jeden Tag rollen rund 10.000 Laster durch den Hafen.

Die Deutsche Post arbeitet einer Sprecherin zufolge deshalb bereits seit zwölf Monaten an Notfallplänen. Der Konzern beschäftigt im Vereinigten Königreich rund 54.000 Mitarbeiter und betreibt dort rund 500 Standorte.

Die Pflicht zur Zoll-Abfertigung über Nacht würde alle Kapazitäten an Stellplätzen und Personal sprengen – ein totales Verkehrschaos droht. Und dadurch schwerste Liefer-Engpässe mit weitreichenden Auswirkungen für etliche Branchen – auch in Deutschland. Denn Großbritannien ist ein wichtiger Abnehmer für Maschinen, Autos und chemische Produkte aus der Bundesrepublik.

Laut Außenhandels-Präsident Holger Bingmann ist die Zeit vor dem eigentlich für Ende März vorgesehenen EU-Ausstieg zu knapp, um sich in erforderlicher Weise auf einen harten Brexit vorzubereiten: „Ein ungeordnetes Ausscheiden riskiert ein bilaterales Außenhandelsvolumen Deutschlands von über 175 Milliarden Euro – an Ein- und Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen.“

Bingmann zufolge droht bei einem ungeordneten Brexit eine „durchschlagende Rezession in der britischen Wirtschaft, die auch an Deutschland nicht unbemerkt vorüberziehen würde“.

Engpässe und Produktionsstopps möglich

Auch vereinbarte Produktionsstandards und -Genehmigungen erlöschen mit dem Brexit. Die Pharma- und Chemie-Konzerne zittern deshalb vor dem ungeordneten Briten-Austritt. Denn dann könnten fehlende Registrierungen oder Zulassungen für Produkte zahlreiche Lieferketten „mit einem Schlag zum Erliegen bringen“, sagt ein Sprecher des Bundesverbandes der Chemischen Industrie.

► Der Verband forschender Arzneimittelhersteller fürchtet ferner „medizinische Engpässe“ in Großbritannien. Jährlich würden eine Milliarde Arzneipackungen zwischen dem Land und der übrigen EU gehandelt.

BMW produziert sogar in Großbritannien. Der Autobauer bereitet sich jetzt schon auf den Chaos-Brexit vor, will die jährliche Herstellungspause auf April vorziehen. Die BMW-Fabrik im britischen Oxford will BMW früheren Angaben zufolge nach dem Brexit für etwa einen Monat schließen.

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