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Politik - 13.12.2018

Das Brexit-Drama ganz einfach erklärt

Der Poker um den EU-Austritt der Briten in fünf Schritten

Hick-Hack im Brexit-Poker: Am Dienstag sollte das britische Parlament über den Deal abstimmen, der mit der EU ausgehandelt worden war. Doch Premierministerin Theresa May sagte das Votum am Vorabend ab, weil sie zu wenige Unterstützer hatte und in letzter Minute noch mal mit der EU nachverhandeln will. Heute kommen die Regierungschefs in Brüssel zum EU-Gipfel zusammen. Thema natürlich: Der Brexit …

▶︎ Wer blickt überhaupt noch durch beim Briten-Austritt? BILD erklärt das Brexit-Drama in fünf einfachen Schritten.

1. Was das Problem ist

Die Briten stimmten 2016 für einen Ausstieg aus der Europäischen Union. Die Brexit-Befürworter wollten Unabhängigkeit, die Gegner europäisches Miteinander.

Am Ende stimmten nur 51,9 Prozent für den Austritt, 48,1 Prozent dagegen. Premierminister David Cameron nahm seinen Hut – er wollte in der EU bleiben.

Camerons Nachfolgerin ist Theresa May. Sie hat in den vergangenen zwei Jahren mit der EU einen Deal erarbeitet, dem das Parlament zustimmen muss. Bis zum 29. März 2019 sollen die Briten raus aus der EU – doch eine Mehrheit für den Plan ist nicht in Sicht!

„Es werden verschiedene Lösungen debattiert. Aber keine Gruppe hat genügend Unterstützer hinter sich“, fasst es der Politologe Christian Tuschhoff von der Freien Universität Berlin im Gespräch mit BILD zusammen.

2. Wer will was?

Das britische Parlament ist in Lager geteilt, die wenige bis gar keine Zugeständnisse machen. Diese Spaltung ist Teil des Brexit-Problems und geht auch tief durch die Gesellschaft. Die Konservativen, Tories genannt, stellen aktuell die Premierministerin.

▶︎ Theresa May und ihr Kabinett – nicht aber alle in ihrer Partei – favorisieren einen eher weichen Brexit, sie haben den Deal entsprechend ausgearbeitet. Sie wollen souverän sein, aber gut mit den EU-Nachbarn zusammenarbeiten.

„Großbritannien könnte künftig mehr selbst bestimmen, etwa bei der Migration. Die Briten können dann zum Beispiel entscheiden, wer aus anderen Staaten ins Land kommen darf und wer nicht. Das würde auch für Menschen aus EU-Staaten gelten“, sagt Tuschhoff.

Das Land stünde nach dem Austritt nicht mehr unter der Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). „Das ist für viele Briten besonders wichtig“, erklärt der Brexit-Experte. Gleichzeitig könnte das Land bei seiner Handelspolitik aber auch wieder enge Beziehungen zu den EU-Staaten aufbauen.

▶︎ Die Labour-Partei ist die größte Oppositions-Gruppe im Parlament. Sie ist am ehesten mit der deutschen SPD vergleichbar. Labour-Chef Jeremy Corbyn will am liebsten Neuwahlen und May als Premierminister ablösen. Ihr Vorschlag passt ihm nicht.

Deshalb wirbt er für eine Alternative – ohne allerdings die Unterstützung von allen in seiner Partei zu haben: Er will eine gemeinsame Zollunion und damit ein engeres Verhältnis mit der EU. Wie die aber genau aussehen soll, ob es eine Mehrheit dafür gäbe und die EU zustimmen würde: völlig unklar.

▶︎ Die Brexiteers wollen den Brexit. Eine Minderheit unter ihnen ist für den harten Ausstieg ohne irgendeinen Deal. Andere wiederum wollen einen Deal, vor allem ohne „Backstop“ (siehe Punkt 3.). Sie verteilen sich über fast alle Lager. Die wohl bekanntesten Brexiteers: Boris Johnson, ehemals Außenminister, und Jacob Rees-Mogg, beide Konservative. Sie machen May das Leben in der eigenen Partei schwer.

Ein harter Brexit wäre nach Einschätzung Tuschhoffs fatal: Es gäbe Zollschranken, Grenzkontrollen, der Handel würde zusammenbrechen. „Das kann bedeuten, dass die Medikamentenversorgung aus und nach Großbritannien schwierig wird oder dass der Gemüsehändler plötzlich keine Ware mehr aus der EU bekommt. Auch Fachkräfte könnten ausgewiesen werden.“

3. Was es mit der irischen Grenze auf sich hat

Der Knackpunkt im aktuellen Vorschlag ist der sogenannte Backstop. Er soll verhindern, dass es wieder eine echte Grenze zwischen Irland und Nordirland gibt, das zu Großbritannien gehört. Treten die Briten nämlich aus der EU aus, würde die innerirische Grenze zu einer EU-Außengrenze.

Dort tobte aber 30 Jahre lang ein Bürgerkrieg, bei dem es viele Tote gab. Erst 1998 legten Irland und Nordirland den bewaffneten Konflikt bei.

Zwar haben die beiden Länder angekündigt, gut zusammenarbeiten zu wollen. Damit der Konflikt aber tatsächlich nicht wieder aufflammt, will die EU mit der Backstop-Regelung auf Nummer sicher gehen: Sollte das mit der Zusammenarbeit zwischen Irland und Nordirland doch nicht so gut klappen, würde Nordirland im EU-Binnenmarkt bleiben und das Vereinigte Königreich in der Zollunion. Es gäbe dann Zollkontrollen zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens, aber eben nicht innerhalb der irischen Insel selbst.

Dass die EU über die Backstop-Regelung indirekt weiter bei britischen Angelegenheiten mitreden kann, passt vielen gar nicht. Ohne Backstop aber würde „Schmugglern Tür und Tor geöffnet“, erklärt Tuschhoff die Position der Befürworter dieser Regelung.

4. Warum es doch noch eine Einigung mit der EU geben kann

Schafft es die Premierministerin nicht, eine Mehrheit von ihrem Deal zu überzeugen, droht der harte Brexit – mit allen seinen beschriebenen Nachteilen. Davor haben die meisten auf der Insel und auf EU-Ebene Angst. Das weiß Premierministerin May.

Also tourte sie durch die EU, um nachzuverhandeln. Zwar bekam sie von allen Seiten nur Absagen – auch von Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

▶︎ Aber der Experte sagt: „Was man öffentlich hört und was hinter verschlossenen Türen passiert, sind zwei unterschiedliche Dinge.“ Tuschhoff hält es für durchaus möglich, dass die verantwortlichen EU-Experten hinter den Kulissen an einer Lösung arbeiten.

Auch innerhalb des Parlaments sieht Tuschhoff Spielraum: Aus Angst vor einem harten Brexit könnten einige Abgeordnete am Ende doch dem von May vorbereiteten Deal zustimmen.

5. Was passieren könnte

Zurzeit sind diese Szenarien denkbar:

▶︎ Der May-Deal wird doch noch angenommen. Das erscheint zwar gerade wenig wahrscheinlich. Wenn sich die EU allerdings etwas auf die Premierministerin zubewegt, kann sie das als Erfolg verkaufen, neue Unterstützer gewinnen. Außerdem könnten die Bürger weiter Druck auf die für sie zuständigen Abgeordneten machen, damit diese für den Deal sind.

▶︎ Es könnte ein zweites Referendum geben. Laut Tuschhoff wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Viele wollen, dass endlich in Sachen Brexit entschieden wird. „Vor allem die jüngere Generation will das, aber auch unter den Abgeordneten der Labour-Partei und bei einer Minderheit der Tories gibt es Sympathien.“ Der Experte hält es für denkbar, dass ein zweites Referendum anders ausfällt und sich die Mehrheit entscheidet, in der EU zu bleiben. „Viele, die damals für einen Austritt gestimmt haben, haben so ein Hick-Hack nicht erwartet.“

▶︎ Der Brexit wird eingefroren. Die EU könnte die Verhandlungen anhalten – und der Regierungschefin mehr Zeit geben, eine Mehrheit zu finden. Dann wären die Briten nicht automatisch am 29. März aus der EU raus. „So was einzufrieren ist ein normaler diplomatischer Trick. Das erfordert aber eine gewisse Kreativität auf EU-Seite“, erklärt Tuschhoff. Die Juristen müssten ran und den Artikel 50 in der EU-Verfassung, der den Austritt eines Mitglieds regelt, neu auslegen. „Angesichts der Dramatik kann ich mir vorstellen, dass so etwas passiert.“

▶︎ Es gibt Neuwahlen. Eine neue Regierung hätte ein neues Mandat der Bürger und könnte anders verhandeln – bräuchte aber mehr Zeit von der EU. Oder man handelt einen ganz neuen Vertrag aus. „Ob da ein besserer Deal rauskommt, ist fraglich“, sagt Tuschhoff. Der jetzige Vorschlag sei ein Austritt „zu vergleichsweise geringen Kosten“.

▶︎ Der harte Brexit kommt. Es gibt keinen Deal. Das Königreich wäre raus, es gäbe eine inner-irische Grenze, Zollschranken, Grenzkontrollen– die schlechteste Option für alle Beteiligten, wie der Experte sagt.

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