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Politik - 16.01.2019

Briten stürzen Europa ins Brexit-Chaos

Abstimmung endet mit May-Klatsche (202 zu 432 Stimmen) ++ Brexit-Experte zu BILD: „Ein Massaker“ ++ Nervenkrieg geht weiter: May stellt sich am Mittwoch Misstrauensvotum

Quelle: Reuters
1:49 Min.

Theresa May muss geahnt haben, dass sie verlieren würde. Dass es eine historische Klatsche wurde, hatte sie bis zuletzt verhindern wollen. Doch genau das ist es geworden: Der May-Plan zum EU-Austritt der Briten ist krachend im Parlament gescheitert. Um 20.39 Uhr am Dienstagabend war das Brexit-Chaos perfekt!

Zweieinhalb Jahre nach dem Referendum zum EU-Austritt hat das britische Unterhaus das Abkommen, das den Brexit am 29. März regeln soll, ABGESCHMETTERT. Mit bislang unabsehbaren Folgen.

Das Ergebnis: 202 Ja-Stimmen, 432 Nein-Stimmen. Nach Zahlen die größte Schlappe in der Geschichte der britischen Demokratie.

Brexit-Experte Prof. Iain Begg von der London School Of Economics nennt die Niederlage gar „ein Massaker“ …

Wichtigste Konsequenz für Europa: Der Brexit-Termin (29. März) wackelt. Inzwischen gilt als wahrscheinlich, dass London Brüssel um eine Verschiebung bittet. Einige Parlamentarier in London sollen angeblich bereits einen entsprechenden Antrag vorbereiten. Der Brexit-Beauftragte der EVP-Fraktion, Elmar Brok (CDU), machte allerdings noch am Dienstagabend klar: „Eine Verlängerung der Austrittsfrist ist nur möglich, wenn es Neuwahlen oder ein zweites Referendum gibt.“

  • Live-Ticker zum Brexit-Chaos

    Heute Misstrauensantrag gegen May

    „May Day“ in Großbritannien: Das historische Brexit-Votum ist vorbei, der Brexit-Deal abgelehnt und May die Verliererin des Abends.

Entscheidend für die May-Klatsche: Rund 100 Abgeordnete aus den eigenen Reihen verweigerten der Premierministerin die Gefolgschaft. Und das, obwohl May zuvor noch einmal den Ernst der Lage verdeutlicht hatte: „Dies ist eine historische Entscheidung, welche die Zukunft unseres Landes für Generationen bestimmen wird“, sagte sie. Und: „Es ist das wichtigste Votum, an dem jeder von uns in seiner politischen Karriere teilnehmen wird.“

Misstrauensvotum statt Rücktritt

Einen Rücktritt hatte May bei einer Kabinettssitzung zuvor ausgeschlossen. Beobachter sagten voraus, dass sie nach Gesprächen mit den europäischen Partnern einen zweiten Anlauf starten könnte. „Ich bitte alle Abgeordneten, auf das britische Volk zu hören“, sagte May in ihrer ersten Stellungnahme. Und: „Es ist meine Verpflichtung, beim Brexit zum Ziel zu kommen.“

Am Mittwochabend (20 Uhr) muss sie sich einem Misstrauensvotum stellen, das Labour-Chef Jeremy Corbyn nach der historischen Abstimmung beantragt hat. Es gilt als wahrscheinlich, dass sie es überstehen wird. Die nordirische DUP, Mays Koalitionspartner, hat bereits angekündigt an, sich bei der Vertrauensabstimmung hinter sie zu stellen.

Am kommenden Montag will May dann ihren Plan B für den Brexit vorlegen. „Das Unterhaus hat gesprochen und die Regierung wird zuhören“, versprach sie. Einige Abgeordnete lachten an dieser Stelle.

Für Wirbel sorgte EU-Ratspräsident Donald Tusk mit einem Tweet, der als Einladung zu einem EU-Verbleib verstanden werden kann: Wenn ein Abkommen unmöglich sei, niemand aber einen Austritt ohne Vereinbarung wolle, „wer wird dann letztlich den Mut haben zu sagen, was die einzig positive Lösung ist?“, schrieb Tusk.

If a deal is impossible, and no one wants no deal, then who will finally have the courage to say what the only positive solution is?

— Donald Tusk (@eucopresident) January 15, 2019

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte, die britische Regierung müsse nun seine Absichten so bald wie möglich klar machen. „Die Zeit ist beinahe abgelaufen.“

Anleger hatten die Entscheidung mit großer Spannung erwartet: Das britische Pfund hatte im Tagesverlauf 0,4 Prozent zum US-Dollar verloren, was mit der Unsicherheit über die politische Zukunft von May und der allgemeinen Unsicherheit begründet wurde.

Nach der May-Schlappe stieg der Wert der britischen Währung wieder.

No-Deal-Brexit jetzt wahrscheinlicher

Entscheidend ist nun, ob sich das zerstrittene Parlament in den kommenden Wochen endlich auf eine Linie einigen kann. Findet es keinen Ausweg aus der Blockade, droht am 29. März ein Austritt ohne Abkommen – der Chaos-Brexit – mit dramatischen Folgen für fast alle Lebensbereiche.

Die Parlamentsentscheidung hatte noch einmal Aktivisten aller Lager auf die Straßen gelockt. Die Stimmung war zunächst friedlich, auch, weil sowohl die „Brextremisten“ genannten Brexit-Hardliner als auch die entschiedenen Brexit-Gegner auf eine May-Schlappe im Parlament gehofft hatten. Die einen, weil sie auf einen Komplett-Bruch mit der EU, die anderen, weil sie auf ein zweites Referendum hoffen, das zum Verbleib in der Europäischen Union führt.

Mehrere Tausend Demonstranten forderten nach der Abstimmung ein zweites Referendum – „noch diese Woche“, wie ein Redner sagte. Die Demokratie sei mit dem Referendum von 2016 nicht zu Ende gegangen, so sein Argument. Heute seien alle besser informiert und wüssten, dass all die Versprechen nicht erfüllt werden können.

Vereinzelt versuchten aggressiv auftretende Grüppchen von Brexit-Ultras die Veranstaltung zu stören, sangen „Bye bye, EU, bye“ oder provozierten durch obszöne Sprechchöre.

Was war der Knackpunkt?

Eine Reihe von Einwänden beschäftigten sich wie erwartet mit der Notfall-Lösung („Backstop“), mit der aus EU-Sicht eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden soll. Kritiker in Belfast und London fürchten dagegen, dass Nordirland einen dauerhaften Sonderstatus erhält, de facto in der EU verbleiben würde.

John Baron, ein Parteifreund von May und Brexit-Hardliner, scheiterte allerdings deutlich mit seinem Antrag, eine Ausstiegsklausel in der umstrittenen Garantie festzuschreiben. Ganze 24 Abgeordnete folgten ihm, 600 stimmten dagegen.

Problem: Solche Zusicherungen hat die EU-Seite vom ersten Tag an ausgeschlossen, weil sie ein Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts (3000 Tote bis 1998) befürchtet.

Britische Hoffnungen, die EU könnte am Ende doch noch einmal Neuverhandlungen über den Brexit zulassen, weckte Eurozonen-Chef Mario Centeno. Der Portugiese sagte am Abend, „praktisch alles“ sei besser als ein No-Deal-Brexit, ein Kurswechsel sei noch immer möglich.

Entsprechende Forderungen hatte Oppositionschef Jeremy Corbyn (Labour) in seiner Rede im Unterhaus erneut erhoben, in der er harsche Kritik an May äußerte und erneut Neuwahlen forderte.

Allerdings gibt es auch in seiner Partei Abgeordnete, die Sympathien für ein zweites Referendum zeigen. Premierministerin Theresa May lehnt dies mit der Begründung ab, es würde zur weiteren Spaltung der Gesellschaft führen.

In Umfragen liegen Befürworter eines Verbleibs in der EU derzeit vorn.

  • Brexit-Alarm für Touristen

    Was Sie am 29. März auf KEINEN Fall tun sollten

    Weniger als 100 Tage bis zum Brexit – und noch immer keine Lösung in Sicht. Wer Reisen nach Großbritannien plant, muss Chaos fürchten.

  • „Dark Ads“ auf Facebook

    DIESE geheime Hetzkampagne lockte die Briten in den Brexit

    Jahrhundert-Votum oder Jahrhundert-Beschiss? Der Wahlkampf der Brexit-Befürworter 2016 war noch viel schmutziger als bislang bekannt.

Wie geht es weiter?

Die May-Regierung will dem Parlament am Montag nächster Woche darlegen, wie es weitergehen soll.

Spätestens sieben Tage nach dem Vorlegen eines „Plan B“ muss die Regierung laut Gesetz darüber abstimmen lassen. Das wäre nach derzeitigem Stand der 31. Januar. Die Abgeordneten könnten diesen Plan B ebenfalls scheitern lassen und die Weichen für ein zweites Referendum stellen.

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