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Politik - 20.01.2019

Bei Brexit-Debatten bitte 2 Schwertlängen Abstand halten

BILD erklärt die seltsamen Traditionen des britischen Unterhauses

Erst warten sie andächtig auf einen goldenen Stab, dann brüllen sie sich von zwei engen Tribünen aus an – aber immer im höflichen Abstand von exakt zwei Schwertlängen. Noch am Dienstag zerrissen sie den Brexit-Plan von Theresa May (62) mit 432 Gegenstimmen, um die Premierministerin am Mittwoch überraschend mit 325 Pro-Stimmen im Amt zu bestätigen.

Das britische Unterhaus ist mindestens seltsam, eher skurril – und in jedem Fall verdammt verwirrend. BILD erklärt das „House of Commons“, in dem es mehr Abgeordnete als Sitzplätze gibt!

Das britische Parlament besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus („House of Commons“) und dem Oberhaus („House of Lords“). Die Adeligen, Geistlichen und auf Zeit ernannten Ehrenmitglieder im Oberhaus haben heute einen Großteil ihrer Macht verloren. Über den Brexit wird im vom Volk gewählten Unterhaus entschieden.

Der harsche Debattenstil ist dabei gewollt. Die Tradition des „Widerstreits“ bedeutet, man hört zu, fällt aber Sprechern ins Wort, wenn man anderer Meinung ist.

  • Zustimmung signalisiert man Beatles-mäßig mit „Yeah, yeah, yeah“. Oder man ruft „Hear, hear“ („Hört, hört“) oder „Aye“ („Ja“).
  • Ablehnung sind Buhrufe oder „No“. Wer etwas sagen will, muss sich erheben. Der Lärm und das ständige Aufspringen wirken wie die Atmosphäre in einem Fußballstadion – wobei das Klatschen verboten ist.

Während der Deutsche Bundestag ein bewusst nüchternes Arbeitsparlament ist und Diskussionen in kleinere Runden (Ausschüsse) verlagert werden, haben die Briten ein Redeparlament. Hier geht es oft laut, aber rhetorisch brillant zu. Wer spricht, hat seine Partei im Rücken und wendet sich dem politischen Gegner zu.

Der zeremonielle Rahmen des „House of Commons“ hat sich über viele Jahrhunderte entwickelt.

Der Speaker

Seit 2009 ist der nur 1,68 Meter große John Bercow (55) als Vorsitzender des Unterhauses die höchste Autorität im Parlament.

Die Rolle des „Speaker“ war es ursprünglich, König oder Königin Kritik vorzubringen. Ein Job, der früher nicht beliebt war – er kostete mindestens neun Speaker das Leben.

Seit Ende des 17. Jahrhunderts wird er oder sie vom Parlament gewählt (1992 mit Betty Boothroyd erstmals eine Frau), muss unparteiisch sein und lautstark zur Ruhe rufen. Sein berühmt lang gezogenes „Oooooorder!“ („Ordnung“) während der Debatte um den Brexit-Deal ist jetzt schon ein Klassiker.

ORRRDÄHHHR!

Dieser Brüll-Brite bringt Politiker zum Schweigen

Quelle: BILD / britisches Parlament, AP
1:51 Min.

Der große Holztisch

In der Mitte des Saales, direkt vor dem Speaker teilt ein riesiger Tisch den Raum. Auf ihm: Notizblöcke, Wasser, Mikrofone, eine Bibel, Bücher mit Gesetzestexten sowie Geschenken aus den Commonwealth-Staaten (hauptsächlich ehemaligen britische Kolonien).

Das grüne Buch in der Mitte („Erskine May“) enthält die Regeln des Unterhauses. Die zwei hölzernen Boxen dienen heute nur noch als Lesepult. Früher wurden in ihnen wichtige Dokumente in den Saal getragen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Originale zerstört. Neuseeland ließ zwei nachbauen und schenkte sie den Briten.

Der goldene Stab

An jedem Sitzungstag wird der 1,5 Meter lange und acht Kilogramm schwere Zeremonienstab („The Mace“) in den Raum getragen und auf dem Tisch abgelegt.

Er stammt aus dem Jahr 1660 und ist das Symbol königlicher Autorität. Fehlt er, darf nicht getagt werden. Insgesamt sind 13 dieser wertvollen Streitkolben erhalten. Im Dezember 2018 unterbrach der Labour-Politiker Lloyd Russell-Moyle eine Sitzung, weil er sich aus Protest gegen die Verschiebung einer Brexit-Abstimmung kurzzeitig den Stab schnappte. Das Video:

Die rote Li­nie

Vor den ersten Bankreihen ist jeweils eine rote Linie auf den Boden gezeichnet – das Symbol ist wörtlich gemeint, die Grenze darf während einer Sitzung nicht überschritten werden.

Die Abgeordneten werden so seit dem Mittelalter genau zwei Schwertlängen voneinander entfernt gehalten. Sie ahnen, dass diese Distanz einen befriedenden Charakter haben soll. Heute tragen die Abgeordneten natürlich keine Waffen mehr – aber die Linie verhindert ebenso Handgreiflichkeiten in hitzigen Debatten.

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