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Kultur - 19.03.2019

Zwei Welten, eine Stimme

Kim Thúy erzählt in ihren Romanen von Flucht und Identität. Nun liest die kanadische Autorin in München, Hamburg, Berlin und auf der Leipziger Buchmesse.

Erfolgsgeschichte. Kim Thúy kam einst als Flüchtling aus Vietnam.

Gerade eben, auf dem Weg zum Interview in einem Café in der Innenstadt von Montréal, ist es wieder passiert. „Der Taxifahrer war schlechtgelaunt und schrie mich wegen irgendetwas an“, erzählt Kim Thúy, nachdem sie sich in einer Ecke des Cafés niedergelassen hat. „Ich wollte zurück schreien, aber konnte es einfach nicht.“ Stattdessen habe sie nur laut gelacht. „Irgendwann konnte er nicht anders und musste auch laut lachen.“ Als die zierliche Frau mit den strahlenden Augen das erzählt, bricht sie erneut in Gelächter aus.

Das ist einer dieser Kim-Thúy-Momente, von denen einem in Kanada viele Menschen erzählen, die die Bestseller-Autorin persönlich erlebt oder im Fernsehen gesehen haben und danach von der joie de vivre schwärmen, der Lebensfreude, die diese Frau verbreitet. Denn die 50-Jährige, die mit ihrer Familie nach der Eroberung Südvietnams durch das kommunistische Nordvietnam aus Saigon flüchtete und Anfang der achtziger Jahre als Bootsflüchtling ins frankokanadische Québec kam, ist nicht nur eine erfolgreiche Schriftstellerin. Sie hat als Übersetzerin, Rechtsanwältin, Moderatorin und Restaurantbetreiberin gearbeitet, zudem ist sie regelmäßiger Gast in kanadischen Talkshows.

Zuletzt hat die Autorin ein Kochbuch veröffentlicht

Vor allem aber personifiziert sie eine positive Erfolgsgeschichte, die perfekt in das kanadische Credo von Multikulturalismus und Integration durch Leistung passt – und verbreitet in ihren Büchern wie bei persönlichen Begegnungen einen ansteckenden Optimismus, der offenbar auch durch schlimme Erfahrungen nicht gebrochen wurde. Manche davon hat sie in drei autobiografisch inspirierten Romanen verarbeitet, zuletzt in „Die vielen Namen der Liebe“. Zudem hat sie ein mit persönlichen Anekdoten angereichertes Kochbuch veröffentlicht, das jetzt auf Deutsch erschienen ist: „Das Geheimnis der vietnamesischen Küche.“

Familiengeschichten. In ihrem aktuellen Buch verknüpft Kim Thúy Kulinarisches und Persönliches.

Alle drei Romane, die Kim Thúy in ihrer neuen Heimatsprache Französisch geschrieben hat, erzählen in einer Aneinanderreihung kurzer, oft bittersüßer Episoden im Prinzip dieselbe Geschichte in unterschiedlichen Variationen: Ein junges Mädchen muss in den Wirren des Vietnam-Krieges ihre Heimat verlassen, erlebt traumatische Dinge, lässt sich aber nicht unterkriegen und landet in Kanada, wo die Fremdheit nach und nach dem Gefühl weicht, eine neue Heimat gefunden zu haben, auch wenn das Leben zwischen den Kulturen manche Herausforderung mit sich bringt. Eine besondere Rolle spielt in allen drei Büchern die heilende Kraft der Liebe – und die des Kochens.

„Ich habe mir viele Freiheiten genommen“

„Ich habe mir viele Freiheiten genommen und meine Geschichte mit den Erfahrungen anderer Menschen zusammengefügt, um lesbare Geschichten zu erzählen“, sagt Kim Thúy. Sie trage zwar viele eigene Erinnerungen in sich, die ihre Erzählungen geprägt hätten: An die Gerüche ihrer Geburtsstadt Saigon, den Geschmack des Essens in ihrer Familie, die Kleider der Frauen, das Geräusch von Panzern, die durch die Straßen rattern.

„Als Kind nimmt man alles intensiver wahr.“ Allerdings seien viele dieser Erinnerungen eher sinnlich, bei faktischen Details oder wenn es um Dialoge gehe, könne sie sich auf ihr Gedächtnis nicht verlassen. Auch deswegen habe sie ihre Bücher aus der Perspektive fiktiver Ich-Erzählerinnen geschrieben. Ihre eigene Geschichte sei zwar ähnlich verlaufen, wie die ihrer Hauptfiguren, aber nicht ganz so reich an dramatischen Wendungen. „Meine Autobiografie könnte ich auf drei Seiten erzählen.“ Zudem gehe es ihr nicht nur darum, ihren eigenen Werdegang zu vermitteln. „Ich hoffe, der Erfolg meiner Bücher trägt dazu bei, ein größeres Bewusstsein für die Situation von Flüchtlingen zu bekommen.“

Diese Geschichte hat nicht nur in Kanada viele Leser angesprochen: Im vergangenen Jahr war Kim Thúy eine von drei Nominierten, die auf der Shortlist für den Alternativen Literaturnobelpreis standen, die per internationaler Online-Abstimmung erstellt worden war. Ausgezeichnet wurde dann allerdings die französische Schriftstellerin Maryse Condé.

Dass sie überhaupt zum Schreiben gekommen sei, habe sie der Offenheit ihres neuen Heimatlandes zu verdanken, sagt Kim Thúy. „Hier kann man sich so oft neu erfinden, wie man will.“ So wie Vi, die Hauptfigur von „Die vielen Namen der Liebe“. In schnörkellosen Sätzen erzählt Kim Thúy in diesem Roman vom Neuanfang in einer fremden Welt, in der die Familie der Hauptfigur anfangs vor allem die alten Traditionen pflegt: „Meine Mutter sorgte dafür, dass immer die typischen Gerüche der vietnamesischen Küche in der Luft lagen“, schreibt sie. „Sie umhüllte uns mit dem Duft von gehacktem und geröstetem Zitronengras, das sich mit der knusprigen Haut der Fische vermählte, und den von sautierten und in Limetten-Fischsoße getauchten jungen Bambussprossen.“

Das Cover von Kim Thúy jüngstem Roman, der 2017 auf Deutsch erschienen ist.

Lange versucht die Ich-Erzählerin, den Erwartungen der Familie an sich und dem einengenden Rollenbild gerecht zu werden – doch die neuen Möglichkeiten, ihren eigenen Weg zu gehen, sind verlockender. Als die Hauptfigur, die wie Kim Thúy Jura studiert, ihre Prüfung in kanadischem Verfassungsrecht besteht, kommt es zum Bruch. „Ich habe bei deiner Erziehung versagt“, sagt ihr die Mutter bei einem Besuch. „Ich bin nur gekommen, um meinem Scheitern ins Antlitz zu sehen.“

Von diesen Reibungspunkten zwischen der Familientradition und dem eigenen Weg der Ich-Erzählerinnen, die sich in allen Büchern Kim Thúys finden, erzählt die Autorin ohne Bitterkeit. Stattdessen ziehen sich ein freundlicher Humor und eine immer wieder aufblitzende Selbstironie durch ihr Werk. Vielleicht ein weiterer Grund für ihren Erfolg: Thúy vermittelt auch schwere, potenziell deprimierende Themen auf unterhaltsame, die Leser positiv stimmende Weise. „Das Leben ist ein Kampf, in dem Trauer zur Niederlage führt“, heißt es einmal in ihrem ersten Roman „Der Klang der Fremde“, in dem sie auch viele Erfahrungen aus dem schwierigen Alltag als Mutter eines autistischen Kindes verarbeitet hat.

Dass Kim Thúy dabei nicht verzweifelte und auch nicht, wie viele andere Einwanderer der ersten Generation, in einem schlecht bezahlten Aushilfsjob endete, sondern erst zur Anwältin und dann zur Schriftstellerin wurde, ist Teil der Erfolgsgeschichte, die in kanadischen Medien immer wieder über sie erzählt wird.

In Vietnam sei sie dazu erzogen worden, als Mädchen still und unauffällig zu sein, zumal unter der Herrschaft der Kommunisten ein falsches Wort über Leben und Tod entscheiden konnte. „Erst Kanada und Québec haben mir eine Stimme gegeben“, sagt Thúy. Nur so laut schimpfen wie vorhin auf dem Weg zum Interview der Taxifahrer, „das kann ich immer noch nicht.“

Ab Montag stellt Kim Thúy ihre Bücher in Deutschland vor, am 20.3. in Berlin (Kulinarische Lesung, Ratatouille, Ackerstr. 2, 19 Uhr), danach auf der Leipziger Buchmesse. Mehr: kunstmann.de/veranstaltungen

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