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Kultur - 17.12.2018

Wo die Völker aufeinander schlagen

Der „FAZ“-Nahost-Korrespondent Joseph Croitoru zeichnet das zwiespältige Verhältnis der Deutschen zum Orient nach

Deutschlands älteste Moschee. Die zwischen 1924 und 1928 erbaute Ahmadiyya-Moschee in Berlin-Wilmersdorf.

In den heutigen Islam-Debatten werden gerne die „Errungenschaften der Aufklärung“ beschworen. Aber wie hat es die Aufklärung im 18. Jahrhundert überhaupt mit dem Islam und dem Orient gehalten? Das überfällige Buch zu diesem Thema hat jetzt Joseph Croitoru geschrieben, der seit langem für die „FAZ“ über der Nahen Osten berichtet und bisher unter anderem ein Standardwerk über Selbstmordattentäter („Der Märtyrer als Waffe“) vorgelegt hat.

Das Verhältnis ist demnach von einer Widersprüchlichkeit gekennzeichnet, die sich bereits aus den Leitgedanken der Aufklärung ergibt. Auf der einen Seite steht die Toleranzidee, wie sie am schönsten in Lessings Drama „Nathan der Weise“ zum Ausdruck kommt, das den Islam sehr freundlich zeichnet. Lessing zielt auf den interreligiösen Dialog, auf Verständigung. Auf der anderen Seite gibt es den starken religionskritischen Impetus der Aufklärung im Namen von Vernunft und Wissenschaft – die Kleruskritik, den Protest gegen Propheten, Priester und Prälaten aller Art.

Daraus resultiert ein breites Spektrum an Positionen zwischen Verklärung und Verachtung, das Croitoru mit großer Detailkenntnis darstellt. Für die Verachtung steht zum Beispiel der Philosoph und Schriftsteller Voltaire, den man heute zweifellos der Islamophobie bezichtigen würde. Als politischer Berater versuchte er die Zarin Katharina die Große zum Vernichtungsfeldzug gegen das Osmanische Reich aufzustacheln. Sein so populäres wie polemisches Drama „Mahomet der Prophet“ stellte Mohammed als religiösen Scharlatan und „Betrüger“ dar, der eine Religion aus machtpolitischem Kalkül „erfunden“ habe – ein Prophet, der mit dem Schwert bekehrt.

Croitoru schaut genau auf die Kontexte und Hintergründe.

Friedrich II., der mit Voltaire eng befreundet war, vertrat selbst eine islamfreundliche Position. Er provozierte den Schriftsteller mit dem Plan, „tausend mohammedanische Familien“ in Preußen anzusiedeln; dies sei „die einzige Sekte, die in diesem Land noch fehlte“. Friedrichs religiöse Toleranz ging mit Gleichgültigkeit gegenüber den konkurrierenden Lehren einher. Für seine Haltung gab die Außenpolitik den Ausschlag.

Weil der König einen Angriff von Russland und Österreich auf Preußen befürchtete, suchte er – nach dem Motto ‚Die Feinde meines Feindes sind meine Freunde’ – die Allianz mit Konstantinopel. Detailliert beschreibt Croitoru den wochenlangen Besuch des osmanischen Gesandten Ahmed Resmi Effendi mit 70-köpfiger Entourage im Jahr 1763, ein faszinierendes Spektakel für die Berliner. Plötzlich war es in, Turban zu tragen und Datteln zu naschen. Der König ärgerte sich insgeheim über die hohen Kosten und sah manche Vorurteile über die Orientalen bestätigt.

Croitoru referiert nicht nur die Standpunkte der Autoren zwischen Orientverklärung und Islamverachtung, er schaut auch sehr genau auf die Kontexte und Hintergründe. Da zeigt sich, dass Lessing mit seiner „Toleranz“ auch eine publizistische Strategie verfolgte, die ihm in Berlin Aufmerksamkeit versprach unter den Vorzeichen der neuen Pressepolitik Friedrichs des Großen, die begleitend zu seiner Außenpolitik ein positives Bild des Osmanischen Reiches, der Türken und des Orients vermitteln sollte. Lessings Haltung ist also nicht frei von Opportunismus. Islamkritisches wird in seinen Besprechungen zeitgenössischer Orient-Literatur bewusst verschwiegen. Und wenn er später im „Nathan“ Sultan Saladin als Musterbeispiel eines aufgeklärten Herrschers darstellt, dann will Lessing damit auch die protestantische Orthodoxie provozieren. Denn dem Christentum wird in dem Drama, das zur Zeit der Kreuzzüge spielt, mehr Fanatismus attestiert als dem Islam.

Der Orient war jedenfalls erstaunlich präsent im Deutschland des 18. Jahrhunderts

Ausgiebig befasst sich Croitoru mit der Darstellung von Osmanen und Arabern in den deutschen Dramen und Romanen der Zeit. Die Verwendung antimuslimischer Stereotype wirft er nicht nur heute vergessenen Größen wie Johann Wilhelm Ludwig Gleim vor, sondern auch einem der bedeutendsten Schriftsteller der Epoche: Christoph Martin Wieland, für den der Orient ein Schreckbild des Despotismus, der Serails und der Christenverschleppung war. Und die Orientalen „stolz“ und „tückisch“, „ungezügelt sinnlich“ und „exzessiv grausam“.

Andererseits gab es in der Epoche der Aufklärung erste Versuche, den Klischees mit Tatsachenwissen entgegenzutreten; am bedeutendsten die Orient-Reiseberichte des Mathematikers und Kartografen Carsten Niebuhr. Die Kenntnis erweiterte sich auch durch Übersetzungen. Die erste Übertragung des Korans aus dem Arabischen erschien 1771. Sie verfolgte allerdings einen polemischen Zweck: Die Minderwertigkeit des Islam sollte erwiesen werden. Die Übersetzung war aber offenbar selbst minderwertig. Der junge Goethe hat sie verrissen. Er hatte selbst großes Interesse an der Figur des Propheten; sein geplantes „Mahomet“-Drama blieb jedoch Fragment.

Der Orient war jedenfalls erstaunlich präsent im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Das hatte viel zu tun mit den Türken-Kriegen (das Osmanische Reich gegen Russland und Österreich), welche die Menschen ähnlich beschäftigten wie uns heute der Syrien-Konflikt und die Eingang in Bücher wie Gottfried August Bürgers „Münchhausen“ fanden. Oder auch in Goethes „Faust“. Dort preist ein Bürger die Unterhaltungswerte der Kriegsberichterstattung: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen / Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei / Wenn hinten, weit, in der Türkei, / Die Völker aufeinander schlagen“.

Voltaire bezeichnete das Osmanische Reich als „Würger des schönen Griechenlands“

Im Zeichen der Türkenkriege verschärfte sich allerdings die Polemik. Der osmanischen Seite wurde archaische Brutalität vorgehalten. Croitoru zitiert Berichte, aus denen hervorgeht, dass sich türkische Offiziere im Einzelfall sehr human verhielten. Aber er verschweigt auch nicht die Zeugnisse, nach denen die osmanische Seite verstörende Praktiken pflegte, etwa das Enthaupten und Aufspießen der Köpfe. Zur Aversion trug nicht zuletzt die Begeisterung für Griechenland und das klassische Hellenentum bei, die schließlich in der Klassik gipfelte. Griechenland aber war damals noch unterworfen vom Osmanischen Reich, das Voltaire deshalb als „Würger des schönen Griechenlands“ bezeichnete.

Man staunt bei der Lektüre, wie tief die Wurzeln heutiger Argumentationen reichen – sowohl der Ängste und Ressentiments wie auch der verklärenden und beschönigenden Diskurse. Dieses faszinierende und facettenreiche Buch erweitert und differenziert unser Bild der Aufklärung, auf deren Werte man sich nun nicht mehr so leicht berufen sollte. Sie war selbst bereits zutiefst gespalten.

Joseph Croitoru: Die Deutschen und der Orient. Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung. Hanser Verlag, München 2018. 416 Seiten, 28 €.

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