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Kultur - 22.03.2019

Wie Marion Ackermann Besuchertief und Pegida-Krise überwinden will

Seit November 2016 ist Marion Ackermann im Amt. Von der AfD wurde sie bereits angefeindet. Doch sie gibt sich kämpferisch. Sie setzt auf radikale Vermittlungsarbeit und Weltoffenheit.

Marion Ackermann, 52, ist seit November 2016 Direktorin der Dresdner Kunstsammlungen.

Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Die Uhr zeigt fünf vor vier, der Fahrer ist genau rechtzeitig vor dem Kulturhistorischen Museum von Görlitz angekommen, wo der sächsische Museumsbund seine Jahrestagung abhält und Marion Ackermann in wenigen Minuten den Abschlussvortrag halten soll. Nur dringt aus dem trutzigen Bauwerk, eine der vier erhaltenen historischen Basteien, kein Licht, die Türen bleiben auch auf Klingeln hin verschlossen. Mit fliegendem Schal, dem Redemanuskript in der Hand eilt die neue Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden auf dem Kopfsteinpflaster hin und her – bis sie in ihren Unterlagen eine weitere Anschrift entdeckt.

Also schnell zurück in den Wagen, kreuz und quer durch die Altstadt gekurvt, hin zur nächsten Außenstelle des Museums, diesmal ein cremeweißer Barockbau, in dem sich tatsächlich die sächsischen Kuratoren versammelt haben. Auftritt Marion Ackermann, gerade noch rechtzeitig, perfektes Timing. Ihre Vorrednerin beantwortet letzte Fragen, wie mit Demenzkranken im Museum umzugehen sei. Dann begrüßt sie der Vorsitzende offiziell, hoch erfreut, dass die neue Generaldirektorin den weiten Weg auf sich genommen hat: Welch seltene Ehre, erst das zweite Mal in der 26-jährigen Geschichte des Verbunds. Marion Ackermann genießt ganz offensichtlich den Moment. Strahlendes Lächeln in die Runde, lauter neugierige Gesichter blicken zurück, ihr Referat über „Museen als Integrationsmotor der Gesellschaft“ kann beginnen.

Die Dresdner konnten ihr Glück kaum fassen

Seit dem 1. November ist die 52-jährige Kunsthistorikerin im Amt und damit Chefin eines der bedeutendsten Museumsverbände der Bundesrepublik neben Berlin und München. Nach Bekanntgabe ihrer Berufung haben sich trotzdem viele gefragt: Wie kann sie das nur machen, nach Dresden gehen, wo sie gerade erst eine vorzeitige Verlängerung ihres Direktorenvertrages bei der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen bis 2023 bekommen hat, eine besondere Würdigung ihrer bisherigen Leistung? Und wo doch Dresden in den letzten zwei Jahren weniger für seine prächtigen Sammlungen als für Pegida-Aufmärsche vor der Sempergalerie von sich reden macht.

Um eine Antwort ist die beherzte Museumsmanagerin nicht verlegen: Alle sieben Jahre – vor Düsseldorf war Ackermann Gründungsdirektorin des Stuttgarter Kunstmuseums – müsse sie sich verändern, die Komfortzone verlassen. Das sei ihr von den Eltern so mitgegeben, seit die mit ihr als damals Zweijähriger nach Ankara umgezogen waren. Diesmal traut sie den eigenen Kindern, Sohn und Tochter im schulpflichtigen Alter, den Sprung zu – nicht ganz so weit, doch immerhin von der westlichsten in die östlichste Landeshauptstadt Deutschlands. Im saturierten Rheinland ödete die Kandinsky-Expertin irgendwann der White Cube, die Müdigkeit des Betriebs, das l’art pour l’art an. In Dresden muss sie anders kämpfen.

Morgenstimmung. Das Kronentor des Zwingers spiegelt sich im Wasserbecken eines Springbrunnens.

Dort konnte man sein Glück nicht fassen, dass sich die gefragte Museumsfrau, die zwischendurch auch als Leiterin für das Centre Pompidou in Paris gehandelt wurde, für Dresden entschieden hatte. So schwierig die Stadt ist, so eigen die Anbindung ans Kultusministerium, dem die Sammlungen unterstellt sind, Dresden gilt als Premiummarke in der Kunstwelt, gleichauf mit dem Louvre, den Uffizien, der Tate. Die Herrschaft über zwölf Museen und 1,2 Millionen Kunstobjekte befördert internationale Karrieren. Die beiden Vorgänger der neuen Generaldirektorin trug es nach London. Martin Roth ging ans Victoria & Albert, Hartwig Fischer ans British Museum.

Marion Ackermann aber hat den Staffelstab gerade erst übernommen und sich auch häuslich niedergelassen – von der AfD gleich mit einer perfiden Pressemitteilung empfangen. Die Rechten reagierten aggressiv, als sich die Neue aus dem Westen in einem Interview dazu bekannte, dass Kunst politisch sei. Das würde man noch aus DDR-Zeiten kennen, tönte es von der AfD zurück, deshalb hätte Biermann das Land verlassen, so die verquere Logik.

Es hat Marion Ackermann verletzt, dass ihr eine Stasi-Gesinnung unterstellt wurde, das spürt man noch immer. Verschrecken lässt sie sich trotzdem nicht. Als in Dresden die Debatte um die drei hochkant vor der Frauenkirche aufgerichteten Busse von Manaf Halbouni zur Erinnerung an die Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg aufflammte, zugleich ein Zitat der aktuellen Barrikaden in Aleppo, da gab sie eine Solidaritätsbekundung ab – gespickt mit kunsthistorischen Bezügen zu den Nouveaux Réalistes, Christo, Arman und César –, aber in der Sache klar. Wird öffentlich diskutiert, wie zuletzt in der Frauenkirche, dann meldet sie sich auch aus dem Publikum zu Wort. Als persönlichen Erfolg nimmt sie es dann, wenn die Kontrahenten anschließend zu ihr kommen, um weiter zu diskutieren und sich vor allem für ihr Kommen zu bedanken.

Ackermann will „das aggressive Klima umkehren helfen“.

In Dresden sind sich eigentlich alle einig, dass die Staatlichen Kunstsammlungen ein gemeinsamer Schatz sind. Die Galerie Alter Meister, das Residenzschloss mit dem Grünen Gewölbe, die Porzellankollektion, all dies stiftet Identität über ideologische Hürden hinweg, mehr als in jedem anderen Bundesland. Marion Ackermann sieht darin ihre Chance, Brücken zu bauen, die Menschen zurückzuholen. „Pegida überträgt heute Abend wieder live über Facebook die Montagsdemonstration. Die haben 43 000 User,“ erwähnt sie in ihrem Görlitzer Vortrag. „Umso wichtiger, dass wir mit den Staatlichen Sammlungen die social media positiv besetzen – Weltoffenheit und Diversität demonstrieren, das aggressive Klima umkehren helfen.“

Dahinter steckt auch liebe Not. Die neue Generaldirektorin ist zu einem Zeitpunkt gekommen, an dem die große Erfolgsgeschichte von Dresdens Kunstsammlungen auserzählt scheint, auch wenn im kommenden Monat ein weiteres Teilstück des Residenzschlosses übergeben und damit der Renaissanceflügel vollendet wird. Am 9. April eröffnen zwei Ausstellungen der Rüstkammer, darunter die „kurfürstliche Garderobe“ mit sensationellen Stücken wie dem Prunkkleid Moritz von Sachsens, der sich schmückende Risse in den Stoff einarbeiten ließ, wie heute die Kids .

In drei Jahren ging die Besucherzahl um 500 000 zurück

Ein weiterer Flügel, die nächste Sonderausstellung kurbeln jedes Mal den Besucherzustrom an, den Dresden dringender denn je braucht nach dem Einbruch im vergangenen Jahr. Mit knapp 2,1 Millionen Gästen ging die Zahl um zehn Prozent zurück, seit dem Hoch vor drei Jahren reduzierte sie sich um über 500 000. Das hat fatale Folgen auch für die Vorbereitung neuer Ausstellungen, die unter anderem aus Einnahmen durch den Ticketverkauf finanziert werden.

Als Hauptgrund für den Rückgang gilt das Ausbleiben russischer Besucher seit dem Ukraine-Konflikt, die Erhebung einer Beherbergungssteuer hält weitere Besucher von auswärts ab. Gewiss, Pegida und die Negativberichterstattung in den Medien würden sich ebenfalls auswirken, wird bei den Staatlichen Kunstsammlungen, wenn auch ungern, eingestanden. Messbar sei das allerdings nicht. Die neue Generaldirektorin soll es nun richten, nachdem ihr Vor-Vorgänger Martin Roth von London aus in einem Interview damit provoziert hatte, er würde aus Protest gegen die Montagsdemos die Sammlungen schließen. Ackermann geht es genau umgekehrt an und will die Vermittlungsarbeit „radikalisieren“.

„Wir müssen es tun, auch wenn es enorm aufwendig ist.“

In Görlitz gibt die Kulturmanagerin eine Vorstellung davon, spricht von audience-development, outreach, focus-Gruppen wie bei der Tate in London, vom Museum als Produktionsort und dem künftigen Besucher als user. Das klingt zunächst abgehoben, doch dahinter stecken konkrete Ideen. In Großbritannien, das ihr als Vorbild gilt, wird in den Museen gemeinsam gekocht und getöpfert, in Südamerika, wo sie sich in den letzten Jahren umgeschaut hat, ist die soziale Verknüpfung mit der Nachbarschaft sehr viel enger. Was Sachsen betrifft, kommt Ackermann ins Schwärmen über die großartige Handwerkstradition. Sie soll künftig ganz praktisch Niederschlag im Museum finden, Workshops sind geplant.

„Müssen wir über jedes Stöckchen springen?“, fragt anschließend jemand aus dem Publikum. „Ich habe nur Archäologie studiert. Mir wird ganz flau.“ Beruhigen kann Marion Ackermann den Kollegen nicht, ja gibt ihre eigene Überforderung zu, allein durch die Globalisierung. „Aber wir alle stehen heute vor neuen Aufgaben, auch die Stadtbibliotheken. Unsere Institutionen besitzen Autonomie, verfügen über neutrale Räume, die sich für ein neues gesellschaftliches Miteinander eignen“, gibt sich Museumsmanagerin kämpferisch. „Sollten wir die Gelegenheit etwa nicht nutzen?“, fragt sie rhetorisch, um selbst die Antwort zu geben: „Wir müssen das tun, auch wenn es enorm aufwendig ist.“

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