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Kultur - 22.05.2019

Verkürzte Sprache, verkürzte Affekte

AKK, lol und ÖPNV: Die Kultur der Kürzel und die Ökonomisierung der Alltagssprache sind Ausdruck eines verschärften Wettbewerbs des Menschen mit den Maschinen.

Auch in Herzensangelegenheiten werden immer öfter Worte gequetscht: „hdgdl“ beispielsweise bedeutet „hab dich ganz doll lieb“.

Angefangen hat es mit Bezeichnungen wie „O-Saft“, lange vor dem E-Book. Während das Aussprechen des Wortes „Orangensaft“ etwa eine Sekunde braucht, wird mit „O-Saft“ eine glatte halbe Sekunde eingespart. Zeit ist Geld! Wozu da noch das überflüssige Ausbuchstabieren in der durchökonomisierten Welt!? Wer Abkürzungen nutzt, nicht nur auf dem Weg von der Kantine ins Büro, sondern auch verbal, der markiert zackig den Wert seiner Zeit – und damit den von sich selbst als viel gefragter Person, die keine Minuten zu vergeuden hat.

So rücken immer mehr zusammengezurrte Wörter und Begriffe in die Sprache der Gegenwart ein, und der subtile bis grobe verbale Hinweis aufs Gehetztsein gehört zum guten Ton, während parallel der Ton der Güte im Alltag allmählich verhallt. Neuerdings wird der lange Name einer Politikerin geballt zu AKK. Die frühere FDP–Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dagegen, deren Name noch mehr Silben aufweist, wurde nie zu SLS verkürzt.

Mit allerhand Wörtern und Begriffen wird verfahren wie beim Zusammendrücken einer Quetschkommode. „Wir investieren in den ÖPNV!“, verkünden Politiker und meinen mit dem jetzt gängigen Akronym den öffentlichen Personennahverkehr, also eigentlich nur: Bus und Bahn. Aber „ÖPNV“, das klingt eben knapp und schnell, pünktlich und professionell.

Auch in der privaten Szene wird verknappt

Die lieben oder freundlichen Grüße mutieren, besonders gern am Schluss von E-Mails oder Whatsapp-Nachrichten, zu Schrumpelstummeln wie „lg“ oder „mfg“. Sensationelles Zeitmanagement beweist etwa der Angestellte Nils, der seinem Kollegen Jörg ein Protokoll weiterleitet, begleitet von einer Nachricht, die er als vertikale Buchstabensäule anordnet: „lj, zk, hg, n.“. Der Adressat weiß die Inschrift der Säule zu entziffern: Lieber Jörn, zur Kenntnis, herzliche Grüße, Nils. Jörn klickt zurück: „ln, ok, antwort asap, j.“, sprich: Lieber Nils, okay, ich antworte as soon as possible, Jörg. Nachgerade verschwenderisch wirkt dagegen sogar das alte, bürokratische „frdl. Grüße“, und zusätzlichen Drall steuert hier die zum Adverb avancierte Businessformel „asap“ bei.

Auch in der privaten Sphäre wird munter verknappt, etwa mit „hdgdl“ für „hab dich ganz doll lieb“. Selbst als diskret verschlüsselte Zuneigung gedeutet, klingt „hdgdl“ immer noch eher spärlich und dürftig als poetisch. Schon mit „frdl.“ war zwar ein Sparsignal gesetzt, doch in Wahrheit der Assoziationsraum der Freundlichkeit umgangen worden. Das massenhafte Aussparen von „liebe“ und „lieber“ deutet darauf hin, dass es hierbei um mehr geht – auf gewisse Weise scheint die Anrede mit „lieber“ oder „liebe“ anrüchig geworden zu sein, verdächtig uncool, verdächtig emotional. So würde sich auch der Wandel von „lol“ erklären. Das auch gesprochen verwendete Kürzel bedeutete anfangs „lots of love“, inzwischen sprüht es Spott, codiert wird „laughing out loud“.

Das Militär hantierte inflationär mit Kürzeln

„Wie viel kmh bist du gefahren?“, erkundigt sich ein zeitgenössischer Kraftfahrer beim anderen, und meint schlicht das: wie schnell? „Sprechen Sie’s auf meinen AB“ heißt es im ABC der Abkürzungen der Anrufbeantworter, der ohnehin ein Anrufaufzeichner ist. Aus Nordrhein- Westfalen wurde das enervierende NRW, aus Mecklenburg-Vorpommern MV, aus Baden- Württemberg das rüpelig tönende „BaWü“, das auch als Monster in einem Kinderbuch auftauchen könnte. Dass es in der Sprache der Computer-Nerds von QR-Codes, USBs, KBs und MBs wimmelt, verwundert keinen. Doch dass etwa der notorisch unfertige Willy-Brandt-Flughafen überall „BER“ genannt wird ist auffällig. BER lautet sein Code bei der IATA, der International Air Transport Association, wie TXL für Tegel und SXF für den Flughafen Schönefeld. Codes, die nicht in den Alltag eingedrungen sind.

Codes und Kürzel klingen cool, sie suggerieren Spannkraft, das Mithalten in der beginnenden Ära des digitalen Industriekapitalismus. Zweifellos war es das Militär – noch vor der Erfindung der Stenografie zur Beschleunigung des Diktats im Büro –, das inflationär mit Kürzeln hantierte, ob es den Flottenadmiral als FltlAdm oder FADM darstellte, den Grundwehrdienstleistenden als GWDL, die Heeresunteroffiziersschule als HUS und nun auch den Kommando Cyber- und Informationsraum als KdoCIR.

Es geht um Rationalisierung von Zeit und Raum

Eines ist klar: Wo immer das Regime der Kürzel grassiert, geht es um Rationalisierung von Zeit und Raum. Viel ist in diesen Tagen die Rede vom Wunsch nach einer gerechten, inkludierenden Sprache und davon, wie Sprache das Bewusstsein prägt und produziert.

Wenig ist die Rede davon, welche Verzerrungen und Verwerfungen der alltägliche Umgang mit Sprache im elektronischen Zeitalter erfährt, übrigens ja auch in den Inklusionsfällen. Können die so wenig menschlich klingenden Signaturen wie LGBTQ tatsächlich dafür sorgen, dass ganze Gruppen in der Gesellschaft sich besser geachtet fühlen?

Ein Blick auf das Gekürzel als Symptom des Wettbewerbs der Menschen mit den Maschinen lässt die Sache anders aussehen – und durchaus kritischer. Denn verkürzt werden Affekte, ausgedörrt menschliche Interaktionen. Für diese Dynamik sind die kleinen, harmlos daherkommenden Kürzeleien Zeichen und Anzeichen. Auf keinen Fall hilft es da, die neuerdings beliebte, ins Passive werfende und tendenziell verdummende Frage zu stellen, „was das mit uns macht“. Es geht darum zu fragen, was wir als Gattung mit dem machen, was von uns gemacht wurde.

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