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Kultur - 16.03.2019

Tief im Berliner Westen

Die Band Interzone wollte vor 40 Jahren ein Album mit den Gedichten von Wolf Wondratschek veröffentlichen. Damals war er dagegen, jetzt ercheint es doch noch. Ein Erinnerungsabend.

Der Dichter Wolf Wondratschek und der Schlagzeuger Hans Wallbaum.

Nach und nach bekommt man an diesem Abend im Radio-Eins-Studio neben dem Kino Babylon in Mitte den Eindruck, als würden die Farben verschwinden, als würde die gesamte Umgebung in ein nur unscharf kontrastiertes Schwarz-Weiß getaucht. Der Fotograf Jim Rakete und der Dichter Wolf Wondratschek sitzen auf dem Sofa des Studios, später stoßen noch die Interzone-Musiker Hans Wallbaum, Ralf Trotter Schmidt und Mario Bibi Schulz dazu, und es geht um die siebziger Jahre.

Um West-Berlin noir, um die Köpenicker Straße und die Waldemarstraße, um Läden wie das Quartier Latin oder das Hotel Esplanade. Oder um ein Stück Mauer im damaligen Wasteland des Potsdamer Platzes, das Rakete schwarz angestrichen hatte, um darauf am nächsten Morgen in riesigen weißen Lettern „Interzone“ zu sprühen. 

Pudelko sang die Gedichte aus „Chuck’s Zimmer“

Und vor allem natürlich um ein Album, das dann nicht veröffentlicht wurde und nun 40 Jahre später in einer limitierten Auflage von 500 Stück doch auf dem guten alten Vinyl erscheint und von Radio eins gebührend präsentiert wird: „Letzte Ausfahrt“ von Interzone. Das Album hätte das Debütalbum von Interzone werden sollen, mit Songs, deren Lyrics durchweg von Wolf Wondratschek und seinem 1974 veröffentlichten Gedichtband „Chuck’s Zimmer“ stammen.

Jim Rakete erzählt dann erst einmal, wie das war, als der Interzone-Sänger Heiner Pudelko zusammen mit seinem Keyboarder Axel Fuhrmann 1979 in den Backstage-Raum des Quartier Latin stürmte, um ihm während eines Nina-Hagen-Konzerts ein Tape mit ebenjenen Aufnahmen seiner Band vorzuspielen. Rakete, damals Manager von Nina Hagen und später vieler anderer Bands nicht zuletzt der Neuen Deutschen Welle, war begeistert. Er stellte schließlich nicht nur den Kontakt zu einer großen Plattenfirma her, sondern kontaktierte auch Wolf Wondratschek, der sich gerade in New York aufhielt, um Box-Reportagen zu schreiben. Doch Wondratschek fand die Sache mit dem auf seinen Gedichten basierenden Interzone-Album nicht so großartig und wollte viel Geld für die Rechte, 250 000 Dollar, und so verschwanden die Bänder des Albums in irgendwelchen Kreuzberger Kellern.

Die Band löste sich 1986 auf

Obwohl er heute noch findet, dass Gedichte aufs Papier gehören, wie der sympathisch aufgeräumte Wolf Wondratschek an diesem Freitagabend sagt, hat er nun, vierzig Jahre später, nichts mehr gegen eine Veröffentlichung des Albums einzuwenden gehabt. Nicht zuletzt auf Jim Raketes Betreiben wurden die Demobänder gesucht und digital remastert. Man kann also sagen: Nun ist das Interzone-Werk komplett. Das Werk einer Band, die in der hohen Zeit des Punk und des New Wave standhaft einen knarzig-simplen Bluesrock spielte und es damit zwar zu einem gewissen Kultstatus brachte, aber nicht zu größerem Ruhm. 1986 löste die Band sich auf, und Heiner Pudelko erlag 1995 im Alter von nur 46 Jahren einer Krebserkrankung.

Markenzeichen von Interzone waren Pudelkos falsett- und sirenenhafter Gesang sowie seine exzentrische, leicht wahnhafte Erscheinung. Am erstaunlichsten beim Hören von „Letzte Ausfahrt“ ist vielleicht, wie perfekt und auch fast originalgetreu Pudelko die Gedichte intoniert, er sich ihrem Rhythmus angeschmiegt hat. Ja, es macht den Eindruck, als hätte Wondratschek sie extra für diese Songs geschrieben. „Chuck’s Zimmer“ versammelt bukowskihafte Rock-’n’-Roll- Gedichte, Szenen aus dem Leben eines in den Tag lebenden Außenseiters. Fünf Jahre nach seinem Debütgedichtband „Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“ wurde Wondratschek mit „Chuck’s Zimmer“ endgültig zu einem Dichter-Popstar.

„Super, dass das Zeugs da jetzt liegt“, sagt Schulz

„Was soll ein Typ wie du schon machen außer weitermachen“, steht in einem der Gedichte, „too late/ to be legal“ in einem anderen. Viele Zeilen davon klingen auch heute noch nach: „Die Show ist restlos ausverkauft“, heißt es in „Henry Miller geht wieder auf den Strich“, das Pudelko und Interzone vertont haben, „die toten Typen tanzen Rock ’n’ Roll/ 2001 steht an der Wand in Kreide/ Ein Raumschiff wird nach dir getauft.“ Ob aber die Geschichte und die Karriere der Band sich anders dargestellt hätten, wäre Wondratschek damals nicht so starrsinnig gewesen?

„Geärgert haben wir uns schon, das war gut, was wir da gemacht haben“, erinnert sich Interzone-Schlagzeuger Hans Wallbaum. Vor allem sei es aber ein Signal gewesen, als Pudelko mit der Lyrik von Wondratschek ankam: „Das war eine Sprache der Straße, die wir auch verstanden haben, ganz ohne Anglizismen.“ Von einer sentimentalen Erinnerung sind die drei Interzone-Musikern im Übrigen weit weg, bei aller Nostalgie, die so eine späte Lost-Album-Veröffentlichung mit sich bringt. Wie sagt es Gitarrist Mario Bibi Schulz schön lakonisch: „Ich finde einfach nur super, dass das Zeugs da jetzt liegt und man es sich anhören kann.“

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