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Kultur - 11.12.2018

Sprit und Spirit

Sangesfreudige Trinker im Renaissance-Theater: Die Raststätten-Revue „Tanke Sehnsucht“ von Antoine Uitdehaag und Guntbert Warns

Schicksalsgemeinschaft. Szene aus „Tanke Sehnsucht“.

Die Tankstelle ist ein viel zu selten gepriesener Ort. Gut, es gab diesen Heinz-Rühmann-Film anno 1930, Edward Hopper kann man auch keine Vorwürfe machen, aber gerade in der jüngeren Vergangenheit haben sich nur wenige Kunstschaffende bemüht, diese unsterbliche Tag- und-Nacht-Institution von ihrem Image als Benzin- und Bockwurst-Klitsche zu befreien. Funfact am Rande: Viele Leute finden es okay, an der Tankstelle Blumen für die Schwiegermutter zu kaufen – aber nicht für die Geliebte. Man erfährt das aus dem wie üblich schön gestalteten Programmheft zu „Tanke Sehnsucht“ am Renaissance-Theater, die jetzt die überfällige Würdigung der Zapfstation unternimmt. Als Ort, wo Menschen nicht nur Zigaretten und Schnaps kaufen, wenn alle anderen Läden schon geschlossen sind, sondern wo sie auch der Einsamkeit zu entfliehen suchen, bevor endgültig die Lichter ausgehen.

Tankstellenbesitzer Lollo hat skurrile Gäste

Der Abend – im Untertitel: „Eine musikalische Suche der großen Liebe von Antoine Uitdehaag und Guntbert Warns“ – beginnt mit einer ironischen Schöpfungsgeschichte. Erzähler Andreas Fröhlich berichtet von Bernd, dem einsamen Wolf auf dem Roller, der im Nirgendwo strandete und beschloss, mitten auf dem Acker eine Tanke zu errichten. Und er sah, dass es gut war. Der Spirit des wahren Sprit-Gläubigen eben. Bernd, der sich heute Lollo nennt und von Martin Schneider gespielt wird, führt seine Zapfstation als letzte Trutzburg des ungezähmten Mannes mit Gesichtsbehaarung. Entsprechend schlägt hier auch regelmäßig der Trucker Roadhammer auf, verkörpert vom Schauspieler, Ex-Seefahrer und „Törner Stier Crew“-Gründer Hans-Martin Stier, der seine stolze Wampe unter durchsichtigem Netzhemd und Lederweste spazieren führt und adäquate Vorbestellungen über Funk aufgibt: „Pommes Schranke und bitte was vom Tier“. Geht klar.

Weil eine echte Tankstelle aber eben auch ein Ort ohne soziale Schranken ist, verirren sich bald noch ganz andere Drifter in Lollos Transit-Laden, den der Bühnenbildner Manfred Gruber mit einem Touch American Diner ausgestattet hat. Zum Beispiel die Witwe Selfmaid (Anika Mauer), die just ihren Mann beerdigt hat und deren Elektroauto mit leerem Akku liegen geblieben ist. Oder der Herr Professor-Doktor (Guntbert Warns), ein alleinerziehender Sonderling, der mit seinem feinen Zwirn zwar heraussticht, sich aber als ebenso trinkfest erweist wie die übrige Belegschaft. Und schließlich stößt – im Brautkleid – noch Princess-Bride (Kiara Brunken) zu diesem stets sangesfreudigen Club der einsamen Herzen. Die hat vor dem Altar Reißaus genommen und sucht ihr Heil jetzt an der Tanke. Dort, wo der Roadhammer zum Besten gibt, dass er viele Jahre für die Brustvergrößerung seiner Frau gespart hat – und dann wollte sie die gar nicht. So was auch.

Song reiht sich an Song

Zum Glück trotzen Kiara Brunken (die im kommenden Jahr wieder als Mausi im Tipi-„Cabaret“ zu sehen sein wird) und Anika Mauer diesen etwas irrlichternden Rocker-Rülpsern mit natürlicher Stimmkraft. Auch die großartige Schlagzeugerin Annette Kluge – die mit Harry Ermer und Jan Terstegen die Bühnenband bildet – befeuert die Frauenpower. Anfangs spielt sie einen trommelnden Hund namens Fluffy, später verwandelt sie sich dann in eine Lady. Warum auch immer.

Das spielt aber sowieso kaum eine Rolle, weil es in „Tanke Sehnsucht“ um Musik geht, nicht um Sinn. Klar, die verlorenen Gestalten hauen sich gern mal Shakespeare-Sonette, Gottfried-Benn-Gedichte und Liebeskummer-Anekdoten um die Ohren. Aber vor allem reihen sie Song an Song. Und als Revue funktioniert dieser Abend in der Regie von Antoine Uitdehaag glänzend.

Band und Ensemble harmonieren klasse

Das Repertoire reicht vom „Zug nach Nirgendwo“ über Udo Lindenberg („Frau Schmitz“), Tom Waits („Never Talk To Strangers“) bis zu Bob Dylan, Zappa und Randy Newman. Es gibt ein tolles Trinker-Medley, das unter anderem Nial Diamonds „Red Wine“, Amy Winehouses „Rehab“ und Janis Joplins „What Good Can Drinkin‘ Do“ verquirlt. Katerstimmung wird herrlich mit dem Song „Too Tired“ illustriert, und die Lebensbilanz-Ballade „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ ist ein echtes Highlight. Band und Ensemble harmonieren klasse, gerade weil nicht alles perfekt sitzt. Sicher, so eine Art Geschichte hätte dem Unternehmen auch gutgetan. Aber ganz ohne bereichernde Erkenntnis verlässt man diesen Pit-Stop der Schicksale immerhin nicht: „Liebe ist wie ein Auto. Wenn man nicht rechtzeitig tankt, läuft gar nichts.“

Nächste Vorstellungen: 11. bis 13. sowie 25. bis 31. 12., weitere bis März 2019

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