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Kultur - 17.01.2019

Seesturm an der Saale

Ein auf maximalen Schauwert hin angelegtes Spektakel: Deutschlands jüngster Opernintendant Florian Lutz inszeniert in Halle Wagners „Fliegenden Holländer“.

Maximaler Schauwert. Florian Lutz Inszenierung des „Holländers“

Die Zeit arbeitet für das Theater. Davon ist Florian Lutz überzeugt. Je mehr nämlich unser Alltag vom Smartphone diktiert wird, desto wertvoller werden Live- Erlebnisse, findet der neue Intendant des Opernhauses in Halle an der Saale. Weil dem Publikum auf der Bühne eben echte Menschen begegnen. Wer sich mit Gleichgesinnten im Zuschauerraum versammelt, erlebt nicht nur handgemachte Kunst, sondern schärft auch sein Bewusstsein dafür, „als Teil eines sozialen Zusammenhangs immer zugleich auch zu agieren und nicht nur zu reagieren“.

Florian Lutz ist 36 Jahre alt, er wuchs in Köln auf und hat in Berlin studiert. In der Off-Szene der Hauptstadt konnte er seine ersten Inszenierungen realisieren, früh bekam er aber auch in Gera die Chance, an einem Stadttheater zu arbeiten, und erhielt dafür bei der Kritiker-Umfrage der „Opernwelt“ Nominierungen als bester Newcomer. Was ihm weitere Türen öffnete. Jetzt sitzt er als Deutschlands jüngster Intendant auf der Terrasse des prächtigen Musentempels, den sich das wirtschaftlich florierende Halle 1886 errichten ließ, nach dem Gusto der italienischen Renaissance. Seine Lockenmähne hat er zum Pferdeschwanz gebändigt. Den Musiktheaterbetrieb an der Saale dagegen will er jetzt kräftig durchschütteln.

Studierende als Zielgruppe

In den vergangenen Jahren ist das Stammpublikum des Hauses auf ein deutlich zu kleines Häuflein zusammengeschnurrt, erzählt er. Obwohl die Universität nur wenige Schritte vom Theater entfernt liegt, gelang es seinen Vorgängern nicht, die angehenden Akademiker als Besucher zu gewinnen. 20 000 Studierende gibt es in der Stadt, eine gewichtige Zielgruppe. Die der neue Bühnenchef nun gezielt umwirbt, mit einem großen, alle Genregrenzen sprengenden Eröffnungsfest zum Spielzeitbeginn. Mit sieben Neuproduktionen in zwei Wochen will Florian Lutz die Oper Halle endlich wieder zum Stadtgespräch machen.

Dafür hat er sich von Sebastian Hannak gleich den Zuschauersaal mit einer variabel bespielbaren Installation überbauen lassen. „Heterotopia“ nennt sich die Raumbühne etwas prätentiös, zur ersten Premiere, Wagners „Fliegendem Holländer“, wird das Publikum über verschiedene Decks eingelassen. Stewards und Stewardessen führen die Besucher zur Bühne, verteilen dort Schlafbrillen, die man aufsetzten muss, um dann, gruppenweise geklammert an ein Tau, auf die dunkle Szene geführt zu werden. Im Stehen ist dort die Ouvertüre anzuhören – „machen Sie sich Ihre eigenen Bilder dazu!“, mahnen die Crewmitglieder –, dann geht das Licht an und es gilt, sich auf die Plätze zu verteilen.

Er hat gut Lachen. Intendant Florian Lutz vor dem Opernhaus in Halle, gerahmt von den Regisseuren Veit Güssow (links) und Michael…

Lutz drückt aufs Tempo

Wer Pech hat, landet hinter einem Stacheldrahtverhau auf der Seitenbühne, von dem aus sich das Geschehen oft nur über die Live-Cam-Bilder auf Videoleinwänden verfolgen lässt. Wer eine Sitzgelegenheit im dreistöckigen Haus ergattert, das die Szene dominiert, wird im Laufe des Abends von den Chordamen mit Kuchen und Cocktails versorgt. Dafür sieht er die Solisten meist nur von hinten. Mitten im Geschehen sind all jene Zuschauer auf den Bänken rund um die Spielfläche. Dafür werden sie wiederum genötigt, Bauarbeiterhelme und Warnwesten zu tragen. Weil Daland, Sentas geschäftstüchtiger Vater, hier kein Seemann ist, sondern Chef einer Baufirma.

Es ist kein verkopftes Dekonstruktionstheater, das Florian Lutz hier anbietet, sondern ein höchst vitales, auf maximalen Schauwert hin angelegtes Spektakel. Er drückt mächtig aufs Tempo, pausenlos gehen die Szenen und Akte ineinander über, sämtliche Solisten sind ständig in Bewegung, treppauf, treppab. Keine Atempause: Theater wird gemacht! Dass es Generalmusikdirektor Josep Caballé-Domenech dennoch gelingt, das wilde Treiben aus seiner Position im Orchestergraben heraus reibungslos zu koordinieren, ist eine große Leistung.

Szenischer Heimatliedabend geplant

Neue interpretatorische Erkenntnisse hat der Abend zwar nicht zu bieten, warum der Holländer hier als Kapitän eines Flüchtlingsschiffs auftritt, bleibt unklar, die in heutigen Outfits auftretenden Charaktere agieren holzschnittartig. Sein Ziel aber, Musiktheater als eine quicklebendige Kunstform darzustellen, die den Zuschauer emotional förmlich anspringt, hat der neue Intendant dennoch erreicht.

Mit einem szenischen Heimatliederabend, der völkischen AfD-Parolen einen differenzierten Blick auf die Kulturnation entgegensetzt, will er im Saisonverlauf talk of the town bleiben – sowie mit der Uraufführung einer Oper von Sarah Nemtsov, in der es um zwei deutsche Frauen geht, die IS-Kämpferinnen werden wollen. Weitere Pläne sind Weills „Mahagonny“-Songspiel, Béla Bartóks „Herzog Blaubart“, „Jephta“ von Georg Friedrich Händel und Puccinis „Tosca“. „Theater ist ein sich laufend änderndes System“, schreibt Bühnenbildner Sebastian Hannak im neuen Publikumsmagazin, „man muss daran rühren, um es am Laufen zu erhalten.“

Der „Holländer“ läuft wieder am 28./30.September sowie am 8./30. Oktober.

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