Home Kultur Schicksals- und Notheim: Thomas Manns Leben in Amerika
Kultur - 11.01.2019

Schicksals- und Notheim: Thomas Manns Leben in Amerika

Ulrich Raulff verabschiedet sich vom Literaturarchiv Marbach mit einer Ausstellung über Thomas Manns amerikanische Jahre.

Thomas Mann, aufgenommen in den USA 1947

2004 wurde der Kulturwissenschaftler und Journalist Ulrich Raulff zum Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach berufen, jetzt ist er zum Jahresende 2018 in den Ruhestand verabschiedet worden und übernimmt in Berlin die Präsidentschaft des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) . Die 14 Jahre seiner Zeit auf der Schillerhöhe kann man getrost eine Ära nennen, denn sie waren mit wichtigen Neupositionierungen des Archivs verbunden, das 1955 aus dem altehrwürdigen Schiller-Nationalmuseum hervorgegangen war.

Zwei Jahre nach Raulffs Amtsantritt wurde auf der Schillerhöhe das Literaturmuseum der Moderne eröffnet, in dessen Räumen seither nicht nur eine Dauerausstellung zur deutschen Literatur seit 1900 gezeigt wird, sondern auch wechselnde Ausstellungen zu Autoren und Themen zu sehen sind. In die Ära Raulff fielen einige spektakuläre Erwerbungen des Archivs: 2008 kam das Manuskript von Walter Benjamins „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“ nach Marbach, 2009 übernahm man die Archive der Verlage Insel und Suhrkamp, 2011 konnte man sich die Briefe von Franz Kafka an seine Schwester Ottla sichern.

Nebenbei hat Raulff viel beachtete Bücher geschrieben

Letzteres geschah gemeinsam mit der Bodleian Library in Oxford, womit zugleich eine weiterer Schwerpunkt in Raulffs Amtszeit angesprochen wäre: die Ausweitung der internationalen Zusammenarbeit mit Partnern in England, Frankreich, den USA oder Russland. Die schon unter Raulffs Vorgängern Bernhard Zeller und Ulrich Ott eingeleitete Erweiterung über den Horizont der schwäbischen Literaturgeschichte hinaus wurde 2013 durch den nationalen Forschungsverbund des Marbacher Archivs mit der Klassik Stiftung Weimar und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel bekräftigt. Die drei Institutionen geben seit 2007 gemeinsam die vierteljährlich erscheinende „Zeitschrift für Ideengeschichte“ heraus.

Ganz nebenbei hat Raulff während seiner Direktorenzeit noch drei viel beachtete Bücher geschrieben: über den Stefan-George-Kreis, über die 1970er Jahre und über die jahrtausendealte Symbiose von Mensch und Pferd. Die bisher an der Universität Stuttgart lehrende Literaturwissenschaftlerin Sandra Richter, die im jetzigen Januar als neue Direktorin auf der Marbacher Schillerhöhe antritt, wird sich an alldem messen lassen müssen.

Wer an Zahlensymbolik glaubt, der mag es bemerkenswert finden, dass die 14-jährige Ära Raulff mit einer Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne endet, die den 14 Jahren gewidmet ist, die Thomas Mann in den USA verbracht hat. Manns Nachlass befindet sich zum größten Teil im Archiv der ETH in Zürich. Dass Marbach trotz dieser Umstände die Ausstellung „Thomas Mann in Amerika“ in Angriff genommen hat (mit vielen Leihgaben aus Zürich), dürfte aktuelle politische Gründe haben: die Irritation über die politischen Verhältnisse in den USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump. Die von Ellen Strittmatter und Marc Wurich konzipierte Schau will nämlich die folgende These beweisen: Die Jahre in den USA von 1938 bis 1952 haben die Poetik und den geistigen Horizont des Verfassers der „Buddenbrooks“ und des „Zauberbergs“ hin zu einer „politischen Poetik“ verändert.

Die Hexenjagd unter Senator McCarthy beginnt

Das wird zum einen an den Romanen gezeigt, die während dieser Jahre entstanden: „Joseph der Ernährer“, „Doktor Faustus“ und „Der Erwählte“. Zum anderen anhand der Beziehungen, die Thomas Mann als wichtigster Repräsentant des antifaschistischen Deutschland im Exil zur US-Politik, zur amerikanischen Öffentlichkeit und zu den exilierten Schriftstellerkollegen hatte. Die Ausstellung präsentiert Manuskriptseiten aus Manns Tagebüchern und den in den USA verfassten Werken, aber auch zahlreiche Fotos, auf denen man den Autor im Talar bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch eine amerikanische Universität oder im Kreis seiner Familie im neu erbauten komfortablen Eigenheim in Pacific Palisades in Kalifornien sehen kann.

Dorothy Thompson verneigt sich in der New York Herald Tribune vom 10. Juni 1934 vor dem „bedeutendsten lebenden Literaten“.

Die 14 Jahre in den USA zerfallen für Thomas Mann in zwei Hälften. „Amerika Schicksals- und Notheim vielleicht für den Rest meines Lebens“, lautet eine Tagebucheintragung Manns vom 19. September 1939 kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Bis 1945 waren die USA unter dem Präsidenten Franklin D. Roosevelt für den Autor die positive demokratische Alternative zur faschistischen Barbarei in Deutschland. Doch dann schlägt das politische Klima um, die Hexenjagd unter Senator McCarthy beginnt und Thomas Manns Porträt erscheint 1949 im Magazin „Life“ zusammen mit denen von Albert Einstein, Charlie Chaplin oder Leonard Bernstein auf einer Liste von kommunistischen „Fellow Travellers“. Diese Liste gleicht in ihrem Design auf bestürzende Weise einer Seite im NS-Wochenblatt „Illustrierter Beobachter“ vom September 1933, das die Fotos von durch das NS-Regime ausgebürgerten deutschen Intellektuellen zeigt. Deshalb emigriert 1952 Thomas Mann ein zweites Mal, verlässt die USA und lässt sich bis zu seinem Tod 1955 in der Schweiz nieder.

Marbach, Literaturmuseum der Moderne, bis 30. Juni. Katalog 20 €. Zum Abschied von Ulrich Raulff ist außerdem erschienen: Von großen Tieren und Papieren. Nachrichten aus dem Deutschen Literaturgestüt. Reihe ADA, Heft 11, 76 Seiten, 14 €.

Mehr Kultur? Jeden Monat Freikarten sichern!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Check Also

Kim bettelt um Spenden für Papa und Opa

Die Sanktionen drücken und Kim scheint kaum noch Geld zu haben. Alles fließt in sein Raket…