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Kultur - 16.12.2018

Salto zum Halleluja

Drama des Menschseins: Das DSO und der Rias Kammerchor mit Händels „Messiah“ unter der Leitung von Robin Ticciati in der Berliner Philharmonie.

Da liegt er, der Tänzer in Händels „Messiah“ in der Philharmonie.

Über die Beschaffenheit der Hölle gibt es viele Spekulationen. Die einen meinen, sie sei angefüllt mit Amateurmusikern, andere befürchten, dort auf ergraute Lichtkünstler und ihre kaltweißen Neonröhren zu stoßen. Was schlimmer ist, kann die Aufführung von Händels „Messiah“ in der Philharmonie unter der Leitung von Robin Ticciati nicht beantworten. Aus Mangel an Amateurmusikern fehlt der direkte Vergleich. Die Profis des Deutschen Symphonie Orchesters ziehen sich weit zurück bis in den Chorraum und musizieren in umgekehrte Ausrichtung, mit dem Rücken zum Großteil des Saals. Der Rias Kammerchor besetzt aufgeteilt die Flügel, so dass sich in der Podiumsmitte eine Leerstelle auftut. So wie in Händels Oratorium, das zwar um Christus kreist, seinen Namen aber selten nennt. Überall stehen Neonröhren herum, sie umkränzen auch das kleine Podest auf der Spielfeldmitte.

DSO-Chef Robin Ticciati sieht in der Philharmonie eine „Kathedrale der Möglichkeiten“ und hat sie schon in seiner ersten Berliner Saison szenisch zu erobern versucht, mit „L’enfance du Christ“ von Berlioz. „Staubtheater“, urteilte unsere Kritikerin damals über das Krippenspiel unter Scharouns Weinbergterrassen.

„Messiah“ soll nun stilisierter sein, dafür hat Ticciati den britischen Regisseur Frederic Wake-Walker engagiert. Er lässt die Solisten ratlos in die gleißende Ödnis starren, während Händel das Auftauchen des Erlösers in einer Welt voller Leid beschwört. Diese betritt während der Weihnachtsgeschichte der Tänzer Ahmed Soura aus Burkina Faso, wird bestaunt, begehrt, geherzt. Nach der Pause trägt man ihn als Toten herein, während der Passionsgeschichte liegt sein Körper reglos im Blendlicht. Bis sich seine Füße regen, als der Sopran „How beautiful are the feet“ singt. Und zum „Halleluja“ gelingt dem Auferstandenen gar ein Salto rückwärts.

Der Rias Kammerchor singt gewohnt prächtig

Nach der zweiten Pause ist das Neonlicht endlich aus, und alle kehren in Alltagskleidung auf die Bühne zurück. Die Szene erscheint plötzlich wie eine Probe im Gemeindesaal, bei der von der Auferstehung des Fleisches und dem Sieg des Glaubens gesungen werden soll – und niemand so recht weiß, was das eigentlich sein könnte. Klamme Stimmung, Übersprunghandlungen und Rechthaberei breiten sich als. Ein erkennbarer Ansatz, und verklemmt rumstehen können Sänger bis zu einem gewissen Grad auch ganz gut.

Doch als sie sich etwas lockern, öffnen müssten, kehrt Ahmed Soura zurück, will mittun, zuhören – und wird rausgeworfen. Die Einsicht, dass Gott durch Christus zum Mit-Mensch geworden ist, traut Wake-Walker seinen Akteuren nicht zu. Damit lässt er den „Messiah“ schrumpfen. Ein Akt der Notwehr vielleicht – als Brite gegenüber einem Werk, das als nationales Erbauungsoratorium missbraucht wurde.

Der Rias Kammerchor singt davon unberührt gewohnt prächtig, lässt sich aber durch Ticciati und seinen Regisseur auch keinen Jota aus seiner Komfortzone bewegen. Wozu der Aufwand, wenn er musikalisch keine neuen Erkenntnisse bietet?

Das DSO selbst nutzt den „Messiah“ für einen Workshop in Darmsaitenspiel. Die Eigenheiten des Orchesters werden dabei weit zurückgenommen – und vieles klingt durch die Platzierung auch fern. Den Kontakt zu seinen Solisten hält Ticciati meist per Monitor, nicht selten reißt er ab. Magdalena Kozena müht sich mit ihrer Altpartie, kommt nicht in ihre Kraft. Bass Florian Boesch dagegen weiß nicht wohin mit der seinen. Allan Claytons Tenor wünscht man dringend einen Halt im Leben. Louise Adlers Sopran einen Sinn, Tim Meads Countertenor eine Freude. Das Drama des Menschseins, jetzt könnte es beginnen.

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