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Kultur - 23.06.2019

Rammstein zelebrieren Silvester im Sommer

Heimspiel für Rammstein: Die Berliner präsentieren ihr neues Album gewohnt brachial, provokant und begleitet von Feuerspielen.

Rammstein-Frontmann Till Lindemann am Samstagabend auf der Bühne im Berliner Olympiastadion.

Geliebt, gehasst, mit Absicht ignoriert: Rammstein weckt viele Gefühle, meist sind es heftige. Ein Konzert der Band ist ebenso schwer einzuordnen: Eine Mischung aus Kirmes, Gottesdienst, Pyronale. Das elfte Konzert ihrer Stadion-Tour am Samstagabend macht da keine Ausnahme. Nach zwei Stunden verließen die Fans das ausverkaufte Berliner Olympiastadion mit vollem Kopf und heißen Ohren. Fünf Beobachtungen zur Show:

Rammstein-Konzerte sind nur nach Einbruch der Dunkelheit genießbar. Wirkten Bühnenpräsenz und Sound anfangs noch dünn und blechern, gelingt es Till Lindemann und seiner Band im Laufe der Dämmerung immer mehr, das Publikum einzufangen. Kein Wunder, spielen viele Lieder doch mit dem Dunklen im Menschen, mit Gewaltfantasien und albtraumhaften Geschichten. “Mein Herz brennt” etwa, in der ein dunkler Nachtmahr kleinen Kindern schaurige Worte ins Ohr flüstert. Passend dazu hüpft Gitarrist Bassist Oliver Riedel mit schwarz verhülltem Kopf wie ein Henker über die Bühne. Und mal ehrlich: Das dramatische pinke Feuerwerk auf Till Lindemanns Brust hätte bei Sonnenschein nicht halb so gut gewirkt.

Denn: Rammstein-Shows sind Silvester im Sommer. Irgendwie passend, dass am Abend zuvor die längste Nacht des Jahres gewesen war, die vor allem in Skandinavien mit Tanz und Feuer gefeiert wird. Beim rammsteinschen Mittsommerfest kam das Mittsommerfeuer natürlich aus Flammendüsen an der Bühne und -besonders beeindruckend- aus Gerüsttürmen überall im Stadion.

Immer wieder schossen Flammensäulen empor, etwa bei “Du hast” im Takt mit jedem “Nein” auf die Frage, ob man denn treu sein wolle, und das bis ans Ende aller Tage.

Was bei der Bravo Supershow 1998 wirkte, bringt auch 2019 die Menschen zum Kreischen, nur dass das Publikum eben in der Zwischenzeit auch ein Stück älter geworden ist.

Feuer aber zieht sie immer noch an, das ist eine anthropologische Konstante: Gleich beim ersten Lied “Was ich liebe” aus ihrem aktuellen titellosen Album steigen aus den Türmen Flammen und schwarzer Rauch auf wie aus einer Ölplattform. Es hätte weißer Rauch sein sollen: Das Publikum feierte Till Lindemann, in Schlangenledermusteranzug und goldenen Stiefeln, wie einen Papst. Er dirigierte zehntausende Fans ohne Zwischenansagen, füllte das Stadion mit seiner tiefen Stimme aus und rockte immer wieder mit seiner typischen Mischung aus Schenkelklopfen und Kopfschütteln mit.

Dichter Rauch und Flammen beim Konzert von Rammstein über dem Olympiastadion

Kalkulierter Tabubruch

Rammstein-Shows sind Rituale. Zwar stammten acht von 21 Liedern vom neuen Album, einige Songs und dazugehörige Showelemente haben sich in 25 Jahren Bandgeschichte aber etabliert. Schon vor 14 Jahren musste Keyboarder Flake Lorenz zu “Mein Teil” in den Kochtopf steigen und sich von Till Lindemann in Kochmütze und Schürze mit einem Flammenwerfer beschießen lassen. Mittlerweile richtet Lindemann die Flammen nur noch auf die Unterseite des Riesenkessels, zu oft hat sich Flake beim Flammen-über-den-Kopf-Schießen den Schopf verbrannt. Zur ausgleichenden Gerechtigkeit schubst der Keyboarder seinen Frontmann anschließend von der Bühne auf eine Luftmatratze.

Rammstein können Geschmacklosigkeit und Witz zugleich. Gegen Ende der Show spielen Rammstein ihren Aufregersong “Pussy”, aus dem Zeilen wie “Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr” stammen. Lindemann hält eine etwa drei Meter lange phallusartige Kanone ins Publikum, daraus kommt weißes Konfetti geschossen, kurz darauf spritzt es aus allen Düsen ins Publikum, regnet auf die Menschen herab. Ein Gangbang mit allen Anwesenden. Und die scheinen es zu genießen.

Besser könnte man die Band wohl kaum in einer Szene beschreiben: Kreativer Tabubruch mit Hang zum Spielkind. Vor der der Kulisse des von den Nazis erbauten Olympiastadions hätte das Konzert mit all den Marschiereinlagen und den brachialen Liedern leicht ins Martialische ausarten können. Konfetti, ein Tanz als leuchtende Strichmännchen zu den Rufen “Deutschland” als Einleitung zu “Germania” und eine Pianoeinlage verhinderten das.

Denn: Rammstein können auch leise – und das verdammt gut. Das zeigt sie zuerst bei “Diamant”, einer anbetenden Ballade, die ausnahmsweise mal kein verstörendes Ende nimmt. Richard Kruspe und Flake im Goldanzug sitzen wie kleine Jungen auf der Treppe der Bühne, die mit Scheinwerferscheiben, Stelen mit ineinandergelegten Kreisen und Bannern monumental in den Abendhimmel vor dem Marathontor ragen. Till Lindemann tiefe Stimme füllt das Stadion und in diesem Moment versteht man, warum Rammstein eigentlich Meister der Romantik sind – nur dass sie eben meistens in der Welt eines E.A. Poe unterwegs sind und seltener den Werther geben. In diesem Moment aber gelingt ihnen das.

Im Gummiboot unterwegs

Der Höhepunkt des Abend aber findet mitten im Publikum statt, auf einer kastenförmigen Bühne im Zuschauerraum. Das Duo Jatekok, das als Vorgruppe das Album “Klavier” auf dem Piano spielte, sitzt auf dieser Bühne an den Tasten, die Band stellt sich mit dem Gesicht in alle Himmelsrichtungen auf und singt mit dem Publikum das Lied “Engel” zu tausenden Handylampenlichtern. Danach lassen die Bandmitglieder sich vom Publikum mit dem Gummiboot wieder zurück zur Bühne tragen – denn ohne Gaga geht es nicht.

In diesem letzten Teil des Abends spielen Rammstein mit ”Du riechst so gut”, “Pussy”, “Rammstein” und dem auf das Publikum ausgelegte “Ich will” noch ein paar alte Kracher (natürlich begleitet von viel Knall und Peng und Fackelei) für das wohlige High auf dem Nachhauseweg. Was das jetzt nun wieder war – ob Karneval, Kirchgang, oder Blasphemie – darüber kann man streiten. Ob Rammstein mit ihrer Spielerei mit der Nazi-Ästhetik nun besonders gut in das Olympiastadion passen – egal. Gekonnt bespielt haben sie es jedenfalls.

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