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Kultur - 17.05.2019

Politische Filme bestimmen den zweiten Festivaltag

Das französische Regiedebüt „Les Misérables“ zeigt das Leben im Banlieue, in „Bacurau“ gerät ein brasilianisches Dorf unter Beschuss.

Udo Kier als Menschenjäger in „Bacurau“.

Nach dem deutschen Kino sucht man dieser Tage in Cannes vergeblich. Ein wenig muss man sich an diesen Umstand erst (wieder) gewöhnen. Erstmals seit drei Jahren hat es keine deutsche Produktion in den Wettbewerb oder in die zweite Hauptreihe “Un Certain Regard” geschafft. Werner Herzog läuft mit seinem auf Japanisch gedrehten Familiendrama “A Family Romance” nur außer Konkurrenz, die Dauergäste von der Berliner Produktionsfirma Komplizenfilm (“Toni Erdmann”) konkurrieren mit der rumänischen Satire “The Whistlers” von Corneliu Porumboiu um die Goldene Palme.

Einem deutschen Wettbewerbsbeitrag am nächsten kommt da wohl noch Terrence Malicks Weltkriegsdrama “The Hidden Life” (Premiere am Sonntag) über den österreichischen Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstätter mit August Diehl, Jürgen Prochnow, Alexander Fehling, dem neuen Filmakademie-Präsidenten Ulrich Matthes, Franz Rogowski sowie Bruno Ganz in seiner letzten Rolle. Malicks Rückkehr an die Croisette ist auch in cineastischer Hinsicht ein Programmhöhepunkt.

Dafür haben die Deutschen gerade den Filmmarkt in Cannes mit einem Knall eröffnet. Für eine achtstellige Rekordsumme gingen am Mittwoch die deutschen Rechte an Roland Emmerichs angekündigtem Science-Fiction-Spektakel “Moonfall” über den Tisch. Zugeschlagen hat ein neues Medienkonglomerat bestehend aus einem großen US-Finanzinvestor, der Tele München Gruppe und dem Verleih Universum Film. Das Ziel des Mergers ist langfristig eine konkurrenzfähige deutsche Content-Plattform. Eine zeitige Erinnerung daran, dass sich in Cannes längst nicht alles um die Filmkunst dreht; auch der fünfte Teil von “Rambo” wird auf der Croisette gerade heftig beworben. Sylvester Stallone gehört dieses Jahr zu den Stargästen des Festivals.

Auf der Suche nach dem Baby-Schwein

Der Wettbewerb kommt derweil noch schwergängig auf Betriebstemperatur, nach dem eher unambitionierten Auftakt mit Jim Jarmuschs Zombiekomödie “The Dead Don’t Die”. Während Venedig sein Pulver neuerdings gleich in den ersten Tagen verschießt, ist die Programmierung in Cannes klimaktischer angelegt. Immerhin verfügt der erste französische Beitrag “Les Misérables” von Ladj Ly über eine ungebremste Energie, der in den besten Momenten nicht einmal das arg konventionelle Drehbuch etwas anhaben kann. Provinzpolizist Stephane stößt zu einer dreiköpfigen Task Force, die mit rabiaten Methoden im Pariser “Problembezirk” Montfermeil (wo Victor Hugo in den 1860ern an seinem gleichnamigen Roman arbeitete) für Recht und Ordnung sorgt.

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Der Film folgt den drei Cops bei der Arbeit, die im Großen und Ganzen darin besteht, auf den Patrouillenfahrten durch die Banlieue die Kräfteverhältnisse innerhalb des Miniatur-Melting-Pots zu moderieren. Als ein Babyschwein (kein Witz!) aus dem Zirkus der Gypsy-Community verschwindet, beginnt der Druck im Kessel zu steigen. “Les Misérables” ist slick gefilmt und ist dynamisch erzählt, womit sich Ladj Ly als kommendes Netflix-Talent empfehlen könnte. Für einen politischen Kommentar legt der Kinodebütant aber zu sehr Augenmerk auf Schauwerte und griffiges Lokalkolorit.

Zwischen Politparabel und Gewaltexzessen

Ganz anders der brasilianische Regisseur Kleber Mendonça Filho, der mit “Bacurau” an die Croisette zurückkehrt. Sein Neo-Western (angesiedelt einige Jahre in der Zukunft) beginnt mit einem Zoom aus dem Weltall bis hinunter in das abgelegene Kaff Bacurau in der Wüstenregion Sertão. Die hat nach dem Tod ihrer Matriarchin nicht nur ihr Dorfoberhaupt verloren, sie verschwindet sukzessive auch von allen GPS-gestützten Landkarten. Und der korrupte Bürgermeister hat die Wasserversorgung gekappt. Eine Reihe mysteriöser Morde versetzt die Menschen in Panik. Die Enkelin der Matriarchin (Bárbara Colen) und die Ärztin (der brasilianische Filmstar Sonia Braga) bitten den lokalen Outlaw um Hilfe, als das Dorf unter Beschuss gerät. Ein amerikanischer Geschäftsmann, gespielt von Udo Kier, veranstaltet für solvente Hobbyjäger Safaris in der Sertão. Die Beute: die Bewohner von Bacurau.

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Mendonça kommt nach seinem Palmen-Kandidaten “Aquarius” (2016) mit einigen Vorschusslorbeeren nach Cannes, doch der Nachfolger kann die Hoffnungen nicht ganz einlösen. Zu unentschieden zwischen Politparabel und den Gewaltexzessen eines Quentin Tarantino entwickelt “Bacurau” selten ein Gefühl für seine Figuren oder den richtigen Rhythmus eines Thrillers. Cannes-Chef Thierry Frémaux hat wenig übrig für ein Kino, dass die Kunst als Gefäß für politische Botschaften benutzt. Auch die Goldene Palme für Ken Loach – und gegen Maren Ade – war 2016 nur eine Kompromissentscheidung. Etwas mehr Kontur hätte die Geschichte von “Bacurau” allerdings vertragen können. Im Wettbewerb um den schönsten geplatzten Kopf immerhin kann ihm auch Jarmuschs Zombiefilm nicht das Wasser reichen.

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