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Kultur - 14.05.2019

„Nur ein Angriff kann uns retten“

Kurz vor der Deportation ins KZ kam für Henny Brenner die Rettung: Bomben der Alliierten fielen auf Dresden. Ihr Erinnerungsbuch offenbart die Widersprüche und Absurditäten des NS-Alltags.

Zeitzeugin Henny Brenner um 1945 in Dresden.

Die Luftangriffe der Alliierten auf Dresden zwischen dem 13. und 16. Februar bedeuteten für bis zu 25.000 Menschen den Tod, für zahllose weitere den Verlust von Angehörigen und ihres Zuhauses. Für die damals zwanzigjährige Henny Brenner und ihre Familie bedeuteten sie dagegen das Leben. Denn inmitten des flammenden Infernos konnten sie sich endlich den gelben Stern von der Kleidung reißen, konnten erstmals seit Jahren wieder „innerlich aufatmen“ und untertauchen.

Es war eine Rettung im buchstäblich letzten Moment. Just tags zuvor hatten die junge Frau und ihre Mutter den Befehl zur Deportation ins KZ erhalten. „Nur ein Angriff kann uns retten“, erinnert die heute 92-jährige Henny Brenner einen Ausspruch ihres Vaters, der nicht habe ahnen können, auf welche Weise sich seine „letzte verzweifelte Hoffnung“ erfüllen würde. Am Vater, einem Protestanten, lag es auch, dass Mutter und Tochter überhaupt so lange in Dresden bleiben konnten, zusammen mit zu diesem Zeitpunkt noch etwa 170 anderen jüdischen Mitbürgern (von einst 6.000).

Weil alle Versuche der Nazis, durch Einschüchterung oder Erpressung den Vater dazu zu bringen, die „Mischehe“ zu beenden, fehlschlugen, sollte der bis zur NS-Zeit stolze Eigentümer eines Kinos zum Schluss den Tod bei einer Fronteinheit finden. Ein Schicksal, vor dem ihn ein Gutachten des antifaschistischen Arztes (aber auch Eugenikers) Rainer Fetscher bewahrte.

Spießrutenlauf durch Dresden

Henny Brenners Erinnerungen an „ein jüdisches Schicksal in Dresden“ erschienen erstmals 2001, eine Neuausgabe im Wallstein Verlag macht sie nun dankenswerterweise wieder erhältlich. Der Sohn der Autorin, der Münchner Historiker Michael Brenner, weist in seinem Nachwort auf das Besondere dieses Zeitzeugenberichtes hin, der nach und nach aus mündlichen Vorträgen für Schulen entstand: Mit Henny Brenner wurde eine junge Frau dreieinhalb Jahre lang, fast bis Kriegsende, mit dem gelben Stern auf der Brust „als offen Gebrandmarkte zu einer Art Spießrutenlauf durch die Straßen Dresdens gezwungen“, vor den Augen unzähliger deutscher Durchschnittsbürger.

Henny Wolf, heute Brenner, verließ ihre Heimatstadt Dresden im Jahr 1980 gen Westen.

„Manche Leute haben uns angepöbelt und angespuckt“, schreibt sie über ihren sieben Kilometer langen Weg zu Fuß zu den Fabriken, wo sie Zwangsarbeit verrichten musste, erst bei Zeiss-Ikon zur Herstellung von Zeitzündern für U- Boote, später in einem Kartonagenwerk. „Oft liefen mir Kinder hinterher und riefen: ,Judenschwein, Judenschwein, runter vom Gehsteig! Ich habe aber auch erlebt, dass Menschen gesagt haben: ,Kopf hoch, durchhalten!“ Die meisten, denen das Mädchen aus gutbürgerlichem Haus Tag für Tag begegnete, hätten jedoch einfach nur feige weggesehen.

Widersprüche und Absurditäten des NS-Alltags

Es ist freilich auch Brenners Blick für die Widersprüche und Absurditäten des NS-Alltags, gerade in den Anfangsjahren, der ihre Erinnerungen lesenswert macht: ob es der Moment ist, als ihre neue Biologielehrerin sie mit ihren blauen Augen und blonden Locken im Rassekundeunterricht als Beispiel für ein typisch arisches Mädel nach vorne holte, oder ob die Autorin das Gefühl der Ausgrenzung erinnert, das sie empfand, als alle nichtjüdischen Mitschüler morgens dem Lehrer „Heil Hitler!“ entgegenbrüllten, während sie und die anderen jüdischen Schüler schweigend danebenstanden.

Dem Schrecken zum Trotz erinnert sich Henny Brenner aber auch ausführlich an „erheiternde Episoden“, selbst bei der Zwangsarbeit, zu denen wohl auch die Begegnung mit einem „zerstreuten Professor“ zu zählen ist, der bei Fliegeralarm regelmäßig vergaß, sein Gebiss mit in den Luftschutzkeller zu nehmen: Victor Klemperer, zu dessen Tagebuchaufzeichnungen Henny Brenners schmale Erinnerungen ein eindrucksvolles Seitenstück darstellen.

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