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Kultur - 13.03.2019

Nimmerland ist abgebrannt

Das Image von Michael Jackson und die Missbrauchsvorwürfe: Warum es so schwer fällt, Person und Werk zu trennen.

Michael Jackson 1996 bei den 8th World Music Awards in Monaco.

Flammen verzehren das Gesicht. Gerade noch sind die Züge von Michael Jackson zu erkennen, abgebildet auf CD-Covern und Postern. Sie brennen neben Devotionalien wie einer roten Lederjacke oder einem Strass-Handschuh. Diese Dinge gehören Wade Robson, der sie vom King of Pop geschenkt bekam, als er noch ein Kind war. Heute ist Robson 36 Jahre alt und will nichts mehr von seinem einstigen Freund und Förderer wissen.

Seit 2013 erzählt er öffentlich, was ihm Jackson in den achtziger und neunziger Jahren mutmaßlich angetan hat: wiederholten sexuellen Missbrauch. Jetzt äußert er sich auch in Dan Reeds Dokumentation „Leaving Neverland“, in der überdies der 41-jährige James Safechuck aussagt. Seit die vierstündige Produktion vergangene Woche in den USA ausgestrahlt wurde, tobt ein Streit um die Glaubwürdigkeit der beiden. Und um das Erbe des King of Pop.

Die Vernichtungsaktion von Robson – festgehalten in einer Serie von Fotos, die im Abspann der Doku zu sehen sind – mag wie ein etwas plumper Vorschlag für den künftigen Umgang mit Jacksons Werken aussehen, ist letztlich aber vor allem als persönliche Dämonenaustreibung zu deuten. Massenhafte Zerstörungsorgien hat „Leaving Neverland“ – am 6. April zeigt Pro Sieben die Doku zur Primetime – jedenfalls nicht ausgelöst. Auch keinen größeren Boykott. Lediglich in Kanada und den Niederlanden kündigten einige Radiostationen an, dass sie Jacksons Songs aus dem Programm nehmen.

Pro Sieben zeigt „Leaving Neverland“ am 6. April

Von deutschen Sendern ist Derartiges bisher nicht bekannt. Auch auf den Streamingplattformen sind die Titel des 2009 verstorbenen Stars weiterhin erhältlich. Spotify Deutschland sagt „kein Kommentar“ zu alldem. Den Unmut der Jacko-Fans, die ihrem Idol beziehungsweise seinen Erben posthum noch immer große Umsätze bescheren, will offenbar niemand auf sich ziehen. Schließlich hat die Anhängerschaft bereits online und auf der Straße gegen den Film mobilgemacht, etwa vor dem Sender, der „Leaving Neverland“ in Großbritannien ausstrahlte. Regisseur Reed hat laut eigener Aussage etliche hasserfüllte Mails und Social-Media-Kommentare erhalten.

Die Leidenschaft, die Michael Jackson immer noch entgegengebracht wird, spiegelt seine Vergötterung, die ihren Ursprung in seiner genialischen Kunst hat. Der 1958 geborene Sänger und Tänzer steht längst in einer Reihe mit Elvis, den Beatles und James Brown. Alben wie „Thriller“ und „Bad“ sind Meisterwerke, die bis heute Musikerinnen und Musiker beeinflussen und Fans mehrerer Generationen begeistern. Viele sind nicht bereit, sich das Vergnügen an den großartigen Songs nehmen zu lassen. Und so spult man nun die schon bei diversen MeToo-Fällen (Kevin Spacey, Dieter Wedel, James Levine) bekannte Verteidigungsargumentation ab, dass die Kunst vom Künstler zu unterscheiden sei, das Werk von der Person. Schließlich besinge Michael Jackson ja nicht den Kindesmissbrauch.

Der unbeschwerte Genuss der Songs wird künftig schwerfallen

Nein, das tut er nicht, doch es fällt ein Schatten auf sein Image und sein Werk. Es sickert etwas ein, ein Kopfkino beginnt. Sicher nicht bei allen Hörerinnen und Hörern. Doch wer vier Stunden lang die Schilderungen von Wade Robson und James Safechuck sowie ihren Familien verfolgt hat, dem wird der unbeschwerte Genuss von Jacksons Kunst in Zukunft nicht leichtfallen. Wer den beiden glaubt, wird beim Video von „Smooth Criminal“ an die Bilder von Robson denken, der mit sieben Jahren im gleichen Outfit tanzte wie sein Idol und der als Erwachsener erzählt, wie Jackson ihn dazu brachte, seinen erigierten Penis in den Mund zu nehmen. Wer den beiden glaubt, wird bei „Bad“ an den zehnjährigen Safechuck denken, der als kleines Jackson-Double mit dem Star über die Bühnen der Welt tanzte und jetzt berichtet, wie der Sänger ihn in die Masturbation einführte und regelmäßig Sex mit ihm hatte.

Wer das alles als Lügengebilde missgünstiger Männer abtun möchte, dem sei das unbenommen. Es gibt keinen neuen juristischen Stand in der Causa Jackson. Alle Fans, die ihn weiterhin anhimmeln und zu seinen Songs feiern möchten, können das tun. Sie sollten aber auch akzeptieren, dass das für andere nicht mehr möglich ist. Aus Respekt vor seinen mutmaßlichen Opfern, aber auch weil sich hier einiges summiert.

Die Vorwürfe kommen ja nicht aus dem Nichts. Michael Jackson hat zu Lebzeiten bereits mächtig zum Verdacht der Pädokriminalität beigetragen. Lange schon ist bekannt, dass seine beiden Kurzzeit-Ehen reine Show waren und er enge Verbindungen nur mit Kindern aufbauen konnte. Vor allem mit präpubertären Jungen, die er auf sein Neverland Anwesen in Kalifornien einlud und häufig in seinem Bett schlafen ließ. Auch die Prozesse wegen sexueller Übergriffe auf Minderjährige von 1993 und 2005 hinterließen Fragezeichen, selbst wenn sie nicht mit Verurteilungen endeten.

Jackson war ein Meister der Manipulation

Robson und Safechuck haben beide im ersten Verfahren zugunsten von Jackson ausgesagt und bestritten, dass der Sänger sie belästigt habe. Robson hat das im zweiten Prozess wiederholt. Warum sie sich damals auf die Seite des Sängers stellten, wird in „Leaving Neverland“ nachvollziehbar. Die Jungen wollten ihre Verbindung zu Jackson nicht verlieren, sie waren emotional tief verstrickt und glaubten, was er ihnen immer wieder eingeschärft hatte: dass sein und ihr Leben zu Ende sei, wenn jemals herauskäme, was sie im Bett taten.

Michael Jackson war ein Meister der Manipulation. Sein kindlich-naives Auftreten, das Sprechen mit sanfter Stimme, sein finanzieller Einsatz für Kinder, seine Traumwelt Neverland – das ließ ihn wie einen harmlosen liebenswerten Freak erscheinen. Er gab sich damit auch den Anschein der Asexualität. Dem saßen die Familien von Robson und Safechuck auf, andere auch – so könnte es jedenfalls gewesen sein. Wobei zu dem Vertrauen, das sie dem Star entgegenbrachten, auch die Verblendung durch seinen Ruhm und sein Geld beitrugen. Safechuck nennt seine Eltern in „Finding Neverland“ einmal starstruck – ehrfürchtig erstarrt vor der Größe des Stars.

Das trifft es ziemlich gut und dürfte einer der Gründe dafür sein, warum in der Öffentlichkeit jahrzehntelang so viel Verdrängung, so viel Wegschauen bezüglich Michael Jacksons sexuellen Präferenzen herrschte – und warum sich das jetzt ändert. Symptomatisch ist der Kommentar von Rein Wolfs, dem Leiter der Bonner Kunsthalle, in der kommende Woche die Schau „Michael Jackson: On The Wall“ eröffnet wird, eine Wanderausstellung, die bereits in London und Paris zu sehen war und den Einfluss des Sängers auf die Kunst untersucht, die künstlerische Auseinandersetzung mit der Ikone. „Die Vorwürfe sind schockierend und wir nehmen sie ernst. Sie werfen ein anderes Licht auf die Person, mit der sich die ausgestellte Kunst beschäftigt“, sagte er jetzt im „FAZ“-Interview.

Jackson hat oft über seine eigene harte Kindheit gesprochen

Ist das Licht wirklich neu? Oder hielten vielmehr alle an einem Bild fest, bei dem man sich von kleinen Jungs nicht das Image eines großen Stars verderben lassen wollte? Eine ähnliche Dynamik war lange auch beim R-’n’-B-Sänger R. Kelly am Werk, wo die Aussagen kleiner Mädchen und junger Frauen nicht gegen die des Stars ankamen. Inzwischen wird wieder gegen ihn ermittelt.

Was bei Michael Jackson zum Nicht-sogenau-wissen-Wollen beigetragen haben dürfte, ist ein kollektives schlechtes Gewissen ihm gegenüber. Denn er wurde seiner Kindheit beraubt, vor aller Augen. Schon als Fünfjähriger stand er auf der Bühne, um dann mit elf Jahren die Jackson 5 als Leadsänger zu Weltruhm zu führen. Und er musste die Schläge und Demütigungen seines Vaters ertragen.

Auf vielen Ebenen durchlebte das Wunderkind Michael eine höchst ungewöhnliche Kindheit. Wie die Pulitzerpreisträgerin Margo Jefferson in ihrem 2006 veröffentlichten Essay „Über Michael Jackson“ anhand von frühen Jackson-5-Songs wie „ABC“ analysiert, wurde er dabei auch zum Performer eines sexuellen Selbstbewusstseins, das er unmöglich schon gehabt haben konnte. „Mit diesen Hits wurde Michael Jackson zum Sexobjekt – zu einem richtigen Sexspielzeug. Und erst die Art, wie er tanzte! (…) Seine älteren Brüder unterstützten ihn, ihre synchronen Bewegungen verdeutlichten, dass das alles eine einzige Flirtnummer war“, schreibt Jefferson. Solche öffentlichen Rollenspiele und die damit verbundenen Projektionen müssen einen Elfjährigen Ende der Sechziger überfordert und verstört haben.

Jackson hat später oft über seine harte Kindheit gesprochen und 1995 die Ballade „Childhood“ veröffentlicht, in der er singt: „Before you judge me/ Try hard to love me/ Look within your heart then ask/ Have you seen my childhood?“ Ein von Streichern getragenes Flehen um Liebe und Verständnis angesichts seiner Kindheit. Im Video sitzt Jackson allein in einem dunklen Wald, über ihm ziehen weiße Schiffe mit unbeschwerten Kindern hinweg – unerreichbar. Eine große Kitschnummer ist das, deren Narrativ sein Publikum lange umnebelt hat. Es ist Zeit, sich einzugestehen, wie sehr man sich selber hat umnebeln lassen.

Eine unglückliche Kindheit berechtigt niemanden dazu, die Kindheit anderer zu zerstören.

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