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Kultur - 20.06.2019

Mein Star und ich

Die Ausstellung „Kino der Moderne“ zeigt zum 100. Gründungsjubiläum der Weimarer Republik den Einfluss der bewegten Bilder in den 1920ern.

Schauspielerinnen wie Liselotte Schaak, hier in „Achtung! Liebe! Lebensgefahr!“ von Ernö Metzner (1930), etablierten im Weimarer…

Die Betonung der Modernität der Weimarer Republik ist in letzter Zeit wieder mal zum beliebten Allgemeinplatz geworden, nicht zuletzt dank eines Pop-Phänomens wie der Serie „Babylon Berlin“. Die Übergänge von den zwanziger in die dreißiger Jahre – ob politisch, gesellschaftlich oder ästhetisch, etwa in den verschiedenen Strömungen der Neuen Sachlichkeit – waren mitunter durchlässig. Dass die Trennlinie zwischen europäischer Hochkultur und antizivilisatorischer Barbarei so eindeutig nicht zu ziehen ist, stand in Nachkriegsdeutschland erst spät im Fokus einer methodischen Forschung.

Die Ausstellung „Kino der Moderne“, die in Zusammenarbeit von Bundeskunsthalle Bonn mit der Deutschen Kinemathek anlässlich des 100. Gründungsjubiläums der Weimarer Republik entstand, kann sich schon im Titel dieser affirmativen Lesart nicht ganz entziehen. Von allen Kunstformen des 20. Jahrhunderts hat das Kino vom Nimbus der Modernität am meisten profitiert, obwohl die Vorbehalte gegenüber der neuen Massenkunst gerade im Bürgertum anfangs groß waren. Der Tonmeister Guido Bagier erkannte aber auch schon die Ambivalenz einer industriellen Kulturproduktion. Im „Film-Kurier“ schrieb er im Januar 1928 unter dem Titel „Der kommende Film“ einen Satz, der durchaus als Warnung hätte verstanden werden können: „Der Film ist in idealer Hinsicht das eindringlichste Mittel, die Produktion der Phantasie anzuregen. Dies ist seine Macht, sein Segen und seine Gefahr.“

Die neuen Bilderwelten beeinflussten den Alltag

Die Ausstellung der Deutschen Kinemathek, die aufgrund der geringeren Fläche im Filmhaus am Potsdamer Platz gegenüber der Bonner Schau um 150 Exponate verkleinert wurde, betrachtet die Weimarer Jahre als einen historisch geschlossenen Kosmos – nach Siegfried Kracauers bekanntestem Satz: „Der Filmkritiker von Rang ist nur als Gesellschaftskritiker denkbar.“ Wie das Kino seinen Platz in der Weimarer Gesellschaft fand und gleichzeitig die neuen Bilderwelten den Alltag der Menschen beeinflussten, zeigt „Kino der Moderne“ zersplittert in Einzelaspekte: Soziales, Mobilität, Mode, Wissenschaft, das unvermeidliche Swingin’-Twenties-Thema Laster, Literatur etc. Die Politik bekommt lediglich ein Kapitel, den Nationalsozialisten nahestehende Figuren wie der Bergfilm-Pionier Arnold Fanck, dessen frühe Entwicklung einer GoPro-Kamera ebenfalls zu sehen ist, und Leni Riefenstahl werden dafür im Kapitel „Sport“ relativ kritiklos gewürdigt. Erhellender ist da der Ausstellungskatalog (Sandstein Verlag, 195 Seiten, € 29), in dem Rolf Aurich die Ausprägung der Filmzensur zu Beginn der zwanziger Jahre beschreibt.

Eine Installation zeigt einen typischen 24-Stunden-Tag

Dass auch Zeitgenossen den Mythos der Weltmetropole Berlin nicht ganz ernst nehmen konnten, kann man in einem der drei Schachtelkinos hören, in dem der Filmkritiker Kracauer anlässlich von „Sinfonie der Großstadt“ über „Provinzler“, seiner Meinung nach ein spezieller Schlag Berliner, spottet, „die sich am Rasen berauschen“. Und das soll Berlin sein?

Herzstück der Ausstellung ist ein Video-Triptych in der zweiten Etage, auf dessen drei Leinwänden Zusammenstellungen aus Filmszenen laufen, die einen typischen 24-Stunden-Tag in der Weimarer Republik rekonstruieren. Die Rückführung auf Alltagserfahrungen in den Zwanzigern nimmt einen großen Teil der Ausstellungsfläche ein. Das Moderne am Weimarer Kino besteht darin, dieser Eindruck drängt sich beim Rundgang durch die drei Etagen auf, dass das Kino den Menschen ein neues Selbstbild auferlegte. Das Thema zieht sich motivisch durch „Kino der Moderne“, die die Besucher im Eingangsbereich mit einem Blick in die Alltagsgesichter der zwanziger Jahre begrüßt: zu sehen sind strahlende, grüblerische, skeptische, fordernde Mienen, Männer und Frauen. Dass sich hinter vielen dieser „neuen“ Physiognomien wieder Stars verbergen, unterschlägt die Ausstellung wohlwissentlich.

Die Menschen begannen sich mit „Selfies“ zu inszenieren

Die Erkenntnis, sich qua Künstleridentifikation überhöhen und inszenieren zu können, ist eine Voraussetzung für die Entstehung einer Kulturindustrie. Das gilt etwa für den Boom von Fotoautomaten in den Zwanzigern, in denen sich die Menschen selbst ablichten konnten. Diese frühen „Selfies“ sind den Ausstellungskapiteln vorangestellt, als Abgleich von Realität und Traumfabrik. Das Sammeln von Starbildchen und Autogrammen ist die Kehrseite dieses Phänomens.

So führt „Kino der Moderne“, ein Novum für die filmlastigen Ausstellungen der Kinemathek, immer wieder von Kinoobjekten und -paraphernalia – viele nie zuvor gezeigt – zu Alltagsgegenständen von eher dokumentarischem Wert. (Max Schmelings Boxhandschuhe stehen irgendwo dazwischen) Eine inhaltliche Ergänzung zu Bonn ist das oft unterschlagene Kapitel der weiblichen Filmschaffenden im Weimarer Kino hinter der Kamera. Ein Aspekt, dem sich die Kritikerin Lucy von Jacobi schon in den Zwanzigern widmete. Auch der Verlust eines großen Teils der frühen deutschen Filmgeschichte scheint die Frauen mehr als die Männer betroffen zu haben. Von Wolfgang Neffs Krimireihe „Das Achtgroschenmädel“ über die Detektivin Miss Madge Henway (Edith Posca) zum Beispiel haben nur Szenenfotos den Krieg überlebt.

– Bis 13. Oktober in der Deutschen Kinemathek, Potsdamer Str. 2, Mittwoch–Montag: 10–18 Uhr, Donnerstag: 10–20 Uhr, Dienstag geschlossen

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