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Kultur - 17.05.2019

Mama ist die Beste

Der Londoner Rapper Loyle Carner macht in seiner Heimat schon eine Weile von sich reden. Jetzt erscheint sein starkes Debütalbum „Yesterday’s Gone“. Ein Treffen.

Der Londoner Rapper Loyle Carner.

Ein Backsteinhaus irgendwo im Süden Londons. Der Garten dahinter wuchert wild. Auf dem Rasen stehen rund zwei Dutzend Leute. Jung und alt, mehr Weiße als Schwarze. Sie schauen freundlich in die Kamera. Am breitesten grinst ein junger Mann in der ersten Reihe. Ben Coyle Larner heißt er, und die Leute um hin herum sind gekommen, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Das Bild wird auf dem Cover seines am Freitag erscheinenden Debütalbums zu sehen sein.

Einige Wochen vor dessen Veröffentlichung sitzt der 22-Jährige, der sich als Rapper Loyle Carner nennt, im Berliner Büro seiner Plattenfirma und erklärt das Foto: „Ich wollte, dass es ein Familienporträt ist. Doch weil meine Familie nur aus meinem Bruder, meiner Mutter und mir besteht, habe ich meine erweiterte Familie hinzugebeten.“ So sind auch alte Freunde, eine einstige Lehrerin, sein Produzent und Leute von der Plattenfirma zu sehen. „Alle, die das Album Wirklichkeit werden ließen. Sie verdienen einen Credit“, sagt Loyle Carner.

Normalerweise drucken Popmusiker die Namen ihrer Lieben im Booklet ab, eine kleines Dankeschön am Rande, leicht zu übersehen und in Zeiten des Streamings sogar gänzlich unsichtbar. Dass Carner das Prinzip umdreht, die Menschen hinter sich nach vorne holt, verdeutlich sehr gut seinen warmherzigen, familienliebenden Charakter.

Familie und Freunde sind das Wichtigste für ihn

Das Thema Familie ist auch auf dem Album „Yesterday’s Gone“ zentral. So trägt der erste Song den Titel „The Isle of Arran“, womit Carner sich auf den Wohnort seines verstorbenen Großvaters bezieht. Er habe auf dieser schottischen Insel als Kind viel Zeit verbracht, erzählt er, und sein Großvater sei dabei zu einem Vorbild für ihn geworden. „Weil er die Familie an erste Stelle gesetzt hat, sich um sie gekümmert hat.“ Das ist für Loyle Carner, dessen leiblicher Vater ihn und seine Mutter verließ, als er noch sehr klein war, der höchste Wert überhaupt. Familie und Freunde, daran glaubt er – nicht an Gott. In „Isle of Arran“ heißt es: „I’ve been holding out for G/ But he was nowhere to be seen/ When I was bleeding“.

Was in krassem Kontrast zu dem Gospel-Chor steht, den Carner für den Song gesampelt hat und der diesen auch eröffnen darf mit seiner jubilierenden Refrainzeile „The Lord will make a way“ aus dem gleichnamigen Stück von 1969, das auch Dr. Dre schon gesampelt hat. Die Klavier- Gitarren-Begleitung des Orginals läuft weiter, Carner hat lediglich die Tamburinakzente durch Handclaps ersetzt, was die Gospel-Anmutung sogar noch verstärkt. Den Widerspruch zwischen seinem Text und der Intention des alten Stücks sieht Loyle Carner dabei gar nicht als so groß: „Der Chor kann natürlich als sehr religiös verstanden werden, doch es geht mir vor allem um die Idee der Hoffnung, die er transportiert – und die ist unabhängig von Bekenntnis, Rasse oder Geschlecht.“

Genau diese Hoffnung habe ihm selbst allerdings gefehlt, als er den Song schrieb. Er sei damals wütend gewesen, wovon er sich durch das Schreiben von „Isle Of Arran“ befreit habe. Im Text benennt er die Quellen seiner Verzweiflung: „I wonder why my dad didn’t want me/ Ex didn’t need me / Half of ’em left“. Zu denen, die gegangen sind, gehört auch Carners Stiefvater, den er als seinen wahren Vater ansieht. Er starb im Februar 2014, was das Londoner Backsteinhaus in einen Ort der Trauer verwandelte.

Loyle Carner reagierte darauf unter anderem mit dem Song „Cantona“, zu dem er auch ein Video drehte. Darin streift er durch das ganze Haus auf der Suche nach einem Trikot des einstigen Manchester-United-Spielers Eric Cantona, dessen Fan sein Vater war. Am Ende zieht er das Shirt über und schaut auf ein Familienfoto. Bei Konzerten hat er das Cantona-Trikot des Vaters immer dabei.

Auch sein jüngerer Bruder Ryan und seine Mutter Jean tauchen in seinen Texten und Videos immer wieder auf. Jean ist sogar zwei Mal auf dem Album zu hören. Sie arbeitet als Lehrerin für Kinder mit Lernschwierigkeiten, weshalb sie einst erkannte, dass ihr Sohn von ADHS und Legasthenie betroffen ist. „Sie war mein glänzender Stern, als es sehr schwierig für mich war“, sagt Loyle Carner, der in der Schule ständig Probleme mit seinen Lehrern hatte, weil er als sehr lautes, störendes Kind wahrgenommen wurde. Allein seine Mutter habe ihm damals vermittelt, dass er etwas wert sei.

Seine Sound ist vom US-Hip-Hop der Neunziger beeinflusst

Nach einer Zeit auf Medikamenten („sie verwandelten mich in einen Zombie“) kann Loyle Carner nun besser mit seiner Aufmerksamkeitsstörung umgehen. Beim Gespräch ist sein schlanker Körper viel in Bewegung, er spielt auch ständig mit den klein gerissenen Mandarinenschalen, doch er bleibt stets fokussiert. Kochen beruhige ihn, erzählt er, weshalb er nun mit einem Freund in London eine Kochschule für Kinder mit ADHS betreibt.

Carner scheut sich nicht, Gefühle offen zu zeigen, verletzlich und melancholisch zu wirken. In einem Genre, das von Prahlerei und Machohaftigkeit geprägt ist, mag diese Haltung zunächst überraschen. Doch vor und neben Gangsta-Rap gab es ja stets auch die etwas klügeren Strömungen. Und diese sind es, auf die sich Loyle Carner hörbar bezieht. So erinnert sein warmer, oft von echten Instrumenten getragener Sound an den US-Hip-Hop der Neunziger, die Produktionen von J Dilla. Dass A Tribe Called Quest, Common und Mos Def seine Idole sind, versteckt er auf „Yesterday’s Gone“ nicht. Carners eindeutig in London zu lokalisierender Akzent gibt den Songs jedoch einen anderen Dreh und lässt durchscheinen, dass er sich ganz wesentlich vom Grime seiner Heimatstadt ermutigt gefühlt hat.

Seinen ersten Text schrieb er mit etwa sieben Jahren: „Mein bester Schulfreund war gestorben. Weil ich ihn vermisste, schrieb ich ein Gedicht über ihn. Eigentlich war es nur für mich, aber dann bat mich jemand, es aufzuführen“, sagt er. Später battlete er sich zum Spaß mit Freunden auf dem Spielplatz. Rap blieb eine Nebenbeschäftigung, als er später am Londoner Drama Center Schauspiel studierte. Doch dann starb sein Stiefvater, die Musik half ihm und er wendete sich ganz ihr zu.

Wobei „Yesterday’s Gone“, das er nach einem am Ende zu hörenden Lied seines Stiefvaters benannt hat, keinesweg nur eine traurige Platte ist. So geht es auch um die Liebe, etwa in „Mrs C“, das mit einem Orgel-Intro, Percussion und Trompeten-Solo eine ebenso feine Lässigkeit entfaltet wie „Mean It In The Morning“. Gastsänger wie Kwes oder Rapper wie Rebel Kleff bringen Melodie und zusätzlichen Zug herein. Ein toller Auftakt für das Hip-Hop-Jahr.

„Yesterday’s Gone“ ercheint am 20. Januar bei Caroline. Am 1. März tritt Loyle Carner im Berliner Gretchen auf.

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