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Kultur - 12.07.2019

Mama, ich bin ein reicher Mann

Zwischen Emotionen und Eskapismus: Christina Aguilera singt in Berlin Songs aus ihrer gesamten Karriere – und wird unerwartet politisch.

Christina Aguilera, die 1980 in Staten Island, New York geboren wurde.

Christina Aguilera kann es noch. Das wird deutlich, als sie in Berlin beginnt ihren Hit „Ain’t No Other Man“ zu singen. „Hey“, lautet die erste Zeile des Songs. Eigentlich simpel, doch bei Aguilera gibt es kein einfaches „Hey“. Gefühlt eine Minute zieht die Sängerin das Wort in die Länge und betreibt dabei die Art von Stimmakrobatik, die zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Warum eine Note singen, wenn man daraus auch zwanzig machen kann?

Auf dieses berühmte „Hey“ mussten Christina Aguileras Fans lange warten. 2006 war sie zuletzt auf Europa-Tour mit ihrem „Back to Basics“-Album. Jetzt also die „X-Tour“, eine leicht abgewandelte Version ihrer Residenzshow in Las Vegas. Das Konzert in der Mercedes-Benz-Arena ist ein Best-of von Aguileras langer Karriere, die 1999 mit „Genie in a Bottle“ begann. Zwar hat sie 2018 mit „Liberation“ das erste Mal seit vielen Jahren ein neues Album herausgebracht, doch das fand weder bei der Kritik noch in den Charts viel Beachtung. So wird schon im Ankündigungstext des Berliner Konzerts beteuert, dass der Popstar hauptsächlich ihre alten Hits singen würde.  Die Show reiht sich damit ein in den derzeitigen Trend der 90s-Retro-Konzerte. Britney Spears, Take That und die Backstreet Boys waren schon im Land, im Frühsommer sorgten die Spice Girls bei ihrer England-Tour für Begeisterung.

Woher kommt diese Faszination mit den Neunzigern und frühen Nuller Jahren? Sind die Fans von damals einfach erwachsen geworden und sehnen sich zurück nach ihrer Jugend – oder fliehen sie vor schwierigen Zeiten in eine Ära, die als notorisch unpolitisch gilt? Feelgood-Pop vor AfD, Brexit und Donald Trump. Zunächst scheint es so: Die platinblonde Sängerin kommt in wahrer Vegas-Manier im silbernen Bodysuit mit blinkenden LED-Lämpchen auf die Bühne und liefert Hits wie „Genie in a Bottle“, „Dirrty“ und „Lady Marmalade“ ab. Sie ist dabei bestens gelaunt und gut bei Stimme. Das Konzert ist in thematische Segmente geteilt, auf Leinwänden laufen dazwischen Videos von Aguilera, die jedes Mal in einem anderen Kostüm zurückkommt.  Immer wieder bedankt sie sich bei ihren Fans für die Treue und liefert Liebesbekundungen ab. Die Arena ist nicht ausverkauft, die oberen Ränge sind abgehängt. Doch die Fans, die vor Ort sind, singen begeistert „Voulez-vous coucher avec moi?“ mit und lassen sich mit goldenem Konfetti berieseln. So weit, so erwartbar.

Ein Song über die sexistische Musikindustrie

Doch plötzlich wird Christina Aguileras Show ein bisschen politisch. Zwar ruft sie nicht dazu auf, Trump zu stürzen, wie es die Popstars Lizzo und Janelle Monáe bei ihren Berliner Konzerten diese Woche getan haben – aber eines ihrer Showsegmente ist dem Feminismus gewidmet. Auf den riesigen Videoleinwänden laufen Bilder des Women’s March, während der Song „Fall in Line“ abgespielt wird. In dem Duett mit Demi Lovato besingen die Stars, die beide als Kinder durch Disney berühmt geworden sind, die sexistische Maschinerie des Musikbusiness. „One, two, three / one, two, three / Shut your mouth / Stick your ass out for me / one, two, three / one, two, three / Who told you you’re allowed to think?” ertönt eine militärisch anmutende Stimme im Hintergrund. Der Song ist einer der stärksten von Aguileras „Liberation“-Album – schade, dass er nur vom Band ertönt.

Nach den Bildern vom Frauenmarsch erscheint der Ausschnitt eines ikonischen Cher-Interviews von 1996. „Meine Mutter sagte mir, ich solle mich eines Tages niederlassen und einen reichen Mann heiraten“, erzählt Cher in dem Clip. „Ich habe gesagt: Mama, ich bin ein reicher Mann“. Auftritt Christina Aguilera, die im schwarzen Ledermantel à la Matrix auf die Bühne kommt und ihre Frauen-Hymne „Can’t Hold Us Down“ singt. Umgeben ist sie dabei von Tänzerinnen in schwarzen Anzügen. Das Segment endet mit einigen Versen des Kanye-West-Songs „Ghost Town“ – der Rapper produzierte auch Teile von Aguileras „Liberation“-Album. „I feel kinda free“, singt sie, und man glaubt es ihr. Aguilera wirkt entspannt, so, als müsste sie niemanden mehr etwas beweisen. Schade nur, dass die Gitarrensoli am Ende des Feminismus-Teils der Show von zwei Männern gespielt werden.

Christina Aguilera wird in Berlin auch ihrem Status als Schwulen-Ikone gerecht und lässt halbnackte Tänzer zu Videos von Drag Queens über die Bühne wirbeln. Die stärksten Momente ihrer Show sind aber eindeutig die Balladen. Auch wenn Aguileras Hang zu endlosen melodischen Verzierungen nerven kann, sind ihre Wechsel zwischen kräftigen tiefen Lagen in ein zartes Falsett beindruckend. Besonders gut kommt ihre Stimme bei einem ihrer größten Hits zur Geltung, „Beautiful“.  Wie Aguilera gemeinsam mit ihren Fans „Words can’t bring me down“ schmettert und dabei sichtlich emotional wird, ist der schönste Moment des Abends und wäre ein würdiger Abschluss gewesen. Doch ein Ende ohne Konfetti-Kanonen ist kein richtiges Ende und so hängt Aguilera noch „Fighter“ und den beliebigen EDM-Banger „Let There Be Love“ hintendran. Im bunten Glitzeranzug springt sie dabei mit ihren Tänzern auf der Bühne herum und schießt Beach-Bälle in die Menge. Es ist ein schmaler Grat zwischen echten Emotionen und Eskapismus-Trash, auf dem Christina Aguilera an diesem Abend wandelt.

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