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Kultur - 14.01.2019

Männerblicke auf Frauenkörper

Akte von Helmut Newton, David Lynch und Saul Leiter: Seit der MeToo-Bewegung tobt ein Bilderstreit über den männlichen Blick auf weibliche Nacktheit.

Helmut Newtons Fotografie „Tied-Up Torso, Ramatuelle“ von 1980

Wie provozierend wirkt Nacktheit heute? Die Reaktionen sind erstaunlich verschieden, manchmal genügt ein Name. Das Ausstellungstrio in der Helmut Newton Foundation mit Werken von Newton, David Lynch und Saul Leiter weist eine in Berlin wohl nie dagewesene Dichte weiblicher Akte auf. Aber nichts passiert. Kurz darauf wird um die Ecke im Amerika-Haus die Soloschau von Nobuyoshi Araki eröffnet. C/O Berlin zeigt wenig nackte Haut und lässt die umstrittenen Fesselbilder des Japaners ganz weg. Trotzdem protestiert eine Gruppe junger Frauen, die sich „Angry Asian Girls“ nennt, draußen vor der Eröffnung. Sie kämpfen gegen sexuelle Ausbeutung im Kunstbetrieb, sagen die Demonstrantinnen.

Ob man will oder nicht, MeToo hat sich längst zu einem Bilderstreit ausgedehnt. Zur Diskussion steht primär die Vorherrschaft des männlichen Blicks. Gekämpft wird mit allen Bandagen. So wird die Entfernung des Gemäldes „Hylas and the Nymphs“ von John William Waterhouse aus der Manchester Art Gallery – wohlgemerkt im Rahmen eines Ausstellungsprojekts der Künstlerin Sonia Boyce im Frühjahr – teilweise noch heute als Akt der Zensur bewertet. Was aber nur funktionieren kann, wenn man die Situation grob verkürzt und die künstlerische Strategie, ja die Künstlerin selbst einfach weglässt! Der Waterhouse hängt längst wieder am angestammten Platz.

Wäre es denkbar, die fünf „Big Nudes“ abzuhängen?

Es wird wohl noch dauern bis feministische Künstlerinnen oder Kuratorinnen sich der Motive Helmut Newtons annehmen. Kurz vor seinem Unfalltod im Januar 2004 hatte der berühmte Fotograf die Helmut-Newton-Stiftung noch selbst gegründet. Wie weit seine Vision reichte, das Museum solle eine „lebendige Institution“ werden, darüber kann man nur spekulieren. Wäre es denkbar, die fünf „Big Nudes“ einmal temporär aus dem Treppenhaus abzuhängen? Wie sexistisch sind diese Schwarzweiß-Amazonen überhaupt? Unübersehbar war Newton ein heterosexueller Fotograf, der aus seinem Faible für schöne Frauen keinen Hehl machte. Diese entwaffnend unverklemmte Art, seine Modelle posieren zu lassen, fasziniert erneut in der eigens für das aktuelle „Nudes“-Projekt zusammengestellten Newton-Sektion.

Neben Ikonen seines Schaffens sind etwa 40 bisher nicht gezeigte Werke aus dem Stiftungsarchiv zu sehen, darunter diverse Polaroids in „June’s Room“, benannt nach June Newton, der Witwe, die unter dem Pseudonym Alice Springs selbst als Fotografin tätig war. Sie ist übrigens die einzige Frau, die bisher in den Stiftungsräumen ausgestellt hat und hätte Carte blanche, Kolleginnen zum Zug kommen zu lassen.

Die großen Newton-Abzüge werden im Ausstellungssaal zur Jebensstraße hin gezeigt. Helmut Newtons Akte sind extrem stilisiert, häufig an kunsthistorischen Vorbildern orientiert. So räkelt sich das Modell Gunilla Bergström auf einem Bett direkt am Fenster, das den Blick auf Pariser Straßenschluchten freigibt (1976). Im Handspiegel, den sie hält, ist ihr Porträt zu sehen. Die Fotografie gleicht dem Velászquez-Gemälde „Die Toilette der Venus“ mit einer ähnlichen Rückenansicht, dort wird das Bild im Bild (der Spiegel) von einem Putto gehalten. Außerdem fällt bei Newton auf, dass er seine Modelle oft in Beziehung zur Umgebung setzt. Mal ist es eine Waschküche, mal ein französischer Schlossgarten (Château d’Aunoy, 1978), in dem sich die Frauen bewegen. Dass sie nichts anhaben, wird fast Nebensache.

Drei konträre Ansätze der Aktfotografie

Aktbilder en masse können langweilen. Im Museum für Fotografie sind allerdings drei konträre Ansätze zu sehen, was für Abwechslung sorgt. Der Filmregisseur David Lynch, dessen fotografisches Werk wenig bekannt ist, geht mit der Fotokamera dicht heran an Frauenkörper. Die Orte spielen keine Rolle. Lynchs Bilder sind derart ausschnitthaft, dass man über anatomische Details mitunter rätselt: Körper als seltsame, manchmal unheimlich verschattete Landschaften. Die Bilder, stilvoll auf samtig-violettem Untergrund gehängt (vielleicht eine Anspielung auf Lynchs „Blue Velvet“-Drama), wirken wie Detailaufnahmen aus den surrealen Filmen des Regisseurs, der bis 28. April auch noch als Maler und Installationskünstler im Bonnefantenmuseum in Maastricht ausstellt. Bei den Schwarzweißfotografien ist man sich – mit Lynch-Klassikern wie „Lost Highway“ oder „Mulholland Drive“ vertraut – nicht sicher, ob die Motive auch ohne den filmischen Thrill im Hinterkopf funktionieren würden. Den gelbstichigen Lynch-Farbfotos fehlt definitiv jedes Geheimnis, sie sind lustlos inszeniert wie schludrig produzierte Werbung.

Abstrahierter Akt von David Lynch, „Untitled“, Los Angeles 1990

Überaus vielschichtig dagegen die Fotografien von Saul Leiter. Der 1923 geborene und 2013 verstorbene US-Amerikaner hat seine Aktfotos eigentlich nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Der intime Rahmen, in dem Leiter die Frauen zeigt, ist anders als bei Newton keine gewählte Location, sondern ein gegebener privater Raum. Barbara, Inez, Jay, Lynn – auf den Bildunterschriften wiederholen sich die Namen der Frauen, die Leiters Geliebte oder Freundinnen waren. Man spürt, dass die Fotos nur ein Nebenprodukt der engen Beziehung zwischen dem Fotografen und den Modellen waren. Ebenso wird das dualistische Prinzip von Voyeurismus und Exhibitionismus aus den Angeln gehoben, denn Leiters Bildwelten sind unübersehbar von einem Zusammenspiel der Akteure geprägt.

Mit der Lupe nach Männerkörpern suchen

Neben einer Reihe kleiner Schwarzweiß-Abzüge sind auch größere Farbbilder zu sehen, die eine halbnackte junge Frau auf einer Terrasse am Meer zeigen, 1958 in Lanesville, Massachusetts aufgenommen. Äußerst subtil arbeitet Leiter mit natürlichem Licht und bei längerer Brennweite mit Silhouetten und Fenster-Rahmungen. Dieser Fotograf war ohne Zweifel auch Maler, der zeitweilig die beiden Medien direkt miteinander kombinierte. So ist in Berlin eine Serie kleinformatiger Schwarzweiß-Prints ausgestellt, die Leiter handkoloriert hat. Die eigenwillig über fotografische Flächen hinauswirbelnden Pinselgesten erinnern an die Malerei von Henri Matisse und anderer französischer Wilder, den farbtrunkenen „Fauves“.

Frauenkörper, Männerblicke. Wer sich mit der Einseitigkeit einer zwar facettenreichen, aber doch auf weibliche Schönheit fixierten Ausstellungstrias nicht abfinden möchte, muss in der Newton Foundation gleichsam mit der Lupe nach Männerkörpern suchen. Es gibt sie – ausgerechnet beim seligen Hausherrn selbst. 1985 fotografierte Newton den Schauspieler Dolph Lundgren (zurzeit als „Aquaman“ im Kino) fast wie Gott und Gym ihn schuf, hätte der Fotograf nicht Grace Jones zwischen Linse und nackten Schauspieler platziert. Ganz frei macht sich Helmut Newton selbst, als er sich 1971 nach einem Herzinfarkt im Spiegel einer New Yorker Klinik fotografiert. Mit EKG-Elektroden, Kamera im Anschlag und allem Drum und Drunter.

Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, bis 19. Mai, Di-So 11-19, Do 11-20 Uhr

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