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Kultur - 11.01.2019

Lizenz zum Tröten

Monsieur Sax und die Patentierung seiner „Freiluftgeige“ – ein Musikinstrument, das den Missklang aus der Welt schaffen sollte.

Ideales Instrument für Open-Air-Auftritte. Der Jazz-Saxophonist und Straßenmusiker Milo Lombardi spielt an der Berliner…

Er habe eine Art „Freiluftgeige“ erfunden, ulken Musiker heute. Voller Respekt allerdings, denn das Instrument von Adolphe Sax hat eine große Fangemeinde. Nicht nur Profis wie Coleman Hawkins, Charlie Parker und Charlie Ventura sind seinem Sax-Appeal erlegen. Bill Clinton, einst Präsident der USA, spielte damit vor Jahren im New Yorker Apollo-Theater. Auch der Komiker und Entertainer Jürgen von der Lippe ist ein Fan jenes Blasinstruments, das von Sax erfunden wurde.

Dabei wollte der Sohn eines Instrumentenbauers aus dem wallonischen Städtchen Dinant eigentlich bloß ein Problem lösen. Gerade im Freien klängen die meisten Instrumente zu grob oder zu schwach, schrieb er später in seinem Patentantrag. „Mein Instrument soll im Charakter seiner Stimme den Streichinstrumenten nahekommen, aber mehr Kraft und Intensität besitzen.“ Der leidenschaftliche Klarinettist erfand das Saxofon, weil er nach einem Bassinstrument suchte, das auch in tiefen Lagen noch gut klang und sich bei Konzerten unter freiem Himmel durchsetzen konnte.

Heute ist er der berühmteste Sohn Dinants, wo Sax vor 200 Jahren auf die Welt kam. Dabei lebte er in der Stadt mit der imposanten Zitadelle nur kurz. Sein Vater zog mit der Familie wenige Monate nach seiner Geburt nach Brüssel um und gründete dort als Instrumentenbauer eine Werkstatt. „Sax“ heißt dennoch ein Kreuzfahrtschiff in Dinant, das vor grandioser Felskulisse an einem Steg auf der Maas dümpelt. „Adolphe-Sax-Straße“ heißt auch die Hauptstraße, über der Saxofon-Lichterketten leuchten. Und selbst der Chef der örtlichen Versicherungsfiliale platzt vor Stolz: „Wir versichern auch Saxofone!“, hat er mit bunten Klebelettern auf das Schaufenster geschrieben.

„Es sind die Proportionen“

Sax’ Geburtshaus stünde, wäre es im Ersten Weltkrieg nicht zerstört worden, hundert Meter südlich der Versicherung. Heute befindet sich an der Stelle ein Interpretationszentrum – kein Museum, wie die Broschüre des Touristenbüros betont –, in dem Sax’ Leben und seine Erfindung illustriert werden. Adolphe war das älteste von elf Kindern und ein Grund ständiger Sorge. Er fiel vom dritten Stock aus dem Fenster, trank Vitriolwasser, vergiftete sich mit Lackdämpfen. Er verletzte sich bei einer Explosion, fiel auf eine heiße Pfanne und bekam einen Dachziegel auf den Kopf. „Dieses Kind wird nicht lange leben“, klagte die Mutter.

Doch Adolphe war nicht nur neugierig und kühn, sondern hatte auch jedes Mal Glück im Unglück. Er überlebte alle Missgeschicke. Bald erkannte der Vater, der in Brüssel zum königlichen Hoflieferanten avancierte, das musikalische und handwerkliche Talent seines Sohnes. Er förderte den Jungen nach Kräften. Von früh bis spät hatte der junge Adolphe mit Instrumenten zu tun, spielte darauf und tüftelte an ihnen herum. Viele Instrumentenbauer jener Zeit glaubten, dass ein Instrument seinen Klang vor allem aufgrund seines Materials erhalte. Adolphe hielt das für falsch. „Es sind die Proportionen“, sagte er, „die Proportionen des Instruments und damit auch die der Luftsäulen.“ Mit 16 Jahren besuchte er die Industriemesse in Brüssel, um Flöten und Elfenbeinklarinetten vorzustellen. Mit Anfang 20 erfand er zwei eigene Klarinetten. „Alle anderen Klarinetten sind barbarisch“, rief der Orchesterleiter der Pariser Oper aus, als er Sax spielen hörte.

Weit weniger Anklang fand in Brüssel dann allerdings seine nächste Erfindung. Sax präsentierte sie erstmals während der belgischen Industrieausstellung 1841. Zu ihrer Verblüffung durften die Zuhörer das Instrument nicht sehen – aus Sorge vor Plagiaten versteckte Sax sich hinter einem Vorhang. Zu Gesicht bekamen es dann schließlich die Bürger von Paris, wohin Sax 1843 umzog, eine Werkstatt gründete und 1846 das Instrument patentieren ließ.

Jazzmusiker griffen begeistert zu

Diesmal machte das neue „Saxophone“ gewaltig Furore, vor allem dank des Komponisten Hector Berlioz. Berlioz war ein bedeutender Musikkritiker und wurde zum Saxofon-Liebhaber der ersten Stunde. Ihn begeisterten die Klangvielfalt und vor allem die „seltsamen“, leisen Töne des Instruments: „Das zarte Echo eines Echos.., das mysteriöse Vibrieren einer Glocke, lange, nachdem sie geschlagen hat.“ Doch es war nicht die romantische Seite des Saxofons, die dessen Karriere begründete. Den größten Bedarf an musikalischer Revolution gab es in Militärkapellen. Deren Darbietungen hörten sich unter freiem Himmel stumpf und unschön an. Sax begann, die Kapellen mit Saxofonen und anderen Sax-Instrumenten auszustatten. Das brachte ihm Geld – und den Hass sämtlicher Instrumentenbauer von Paris.

Die Feindschaften sollten ihn für den Rest seines Lebens begleiten. Er wurde bekämpft und hintergangen. Dreimal musste er Konkurs anmelden. Aber das Militär rettete Sax‘ Erfindung ins 20. Jahrhundert. Zunächst von amerikanischen Armeekapellen genutzt, kamen viele Instrumente nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu Spottpreisen auf den Markt. Jazzmusiker griffen begeistert zu.

Und auch Sax‘ großer Traum erfüllte sich, wenn auch erst ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod 1894: Das Saxofon setzte sich als seriöses Instrument für Kammermusik- und Orchesterwerke durch. Eine Hommage an ihn ist die aktuelle Ausstellung „Sax200“ im Instrumentenmuseum Brüssel. Über 100 Saxofone in allen Größen und Tonlagen sind dort noch bis zum 11. Januar zu sehen – angefangen von Alt- und Tenorsaxofonen bis hin zum Soprillo, der kleinsten Baugröße des Musikinstruments aus Messing.

(dpa)

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