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Kultur - 13.05.2019

Leonardo da Vinci – der Meister, der nicht fertig wird

Vor 500 Jahren starb Leonardo da Vinci. Er war ein Visionär – und ein Meister des Nicht-Vollendens. Vieles blieb unfertig. Ein Blick auf Mensch und Mythos.

Meisterwerk und Mysterium. Die „Mona Lisa“, entstanden um 1506.

Nachdem Leonardo da Vinci im Oktober 1517 sein berühmtestes Gemälde, das die Welt heute als „Mona Lisa“ kennt, dem Kardinal von Aragon gezeigt hatte, notierte dessen Sekretär: „ein Bild einer gewissen florentinischen Frau, von höchster Vollendung“. Schwingt da leise Ironie mit, ein Seitenhieb gegen den Maler, der ein Meister des Nicht-Vollendens war? Kaum zwanzig Gemälde von ihm sind überliefert, einige davon nicht einmal fertiggestellt. Als Architekt und Bildhauer fällt die Bilanz noch niederschmetternder aus, da hat es keines seiner zahlreichen Projekte übers Planungsstadium hinaus gebracht.

Leonardo scheint das nicht bekümmert zu haben, auch juristische Auseinandersetzungen, bei denen es um von ihm nicht eingehaltene Liefertermine ging, scherten ihn wenig. Vielleicht, weil es ihm wichtiger war, eine Idee zu haben als sie auszuführen. Früh galt er als Hallodri, ihm wurde leggiadria vorgeworfen, Leichtfertigkeit. Zu seinen größten Vorhaben zählte das monumentale, sieben Meter hohe und 75 Tonnen schwere Reiterstandbild des Mailänder Potentaten Francesco Sforza, das er im Auftrag von dessen Sohn Ludovico schaffen sollte.

Fast zehn Jahre arbeitete Leonardo daran, er fertige akribische anatomische Pferdestudien an, wildbewegte Skizzen von Mensch und Tier und wohl auch ein Tonmodell, das bei der Hochzeitsfeier von Ludovicos Nichte Bianca Sforza mit dem künftigen deutschen Kaiser Maximilian I. präsentiert worden sein soll. Mehr kam nicht. Am Ende stellte Ludovico die zum Guss des Denkmals bestimmte Bronze dem mit ihm verbündeten Herzog von Ferrara für die Herstellung von Kanonen zur Verfügung. Der Künstler dürfte erleichtert gewesen sein.

Streng genommen blieb auch die „Mona Lisa“ unfertig

Aber der Sekretär des Kardinals von Aragon meinte es natürlich todernst, und die nachfolgenden Generationen haben ihm Recht gegeben: die „Mona Lisa“ ist ein Kunstwerk von geradezu göttlicher Vollkommenheit. Weil kaum gesicherte Dokumente über die Entstehung des Bildes existieren, wurde lange über die Identität der dargestellten Dame spekuliert. Man hielt sie für eine früh verstorbene Geliebte von Giuliano de’ Medici oder für die Markgräfin Isabella d’Este, die Leonardo unbedingt, aber vergeblich als Maler gewinnen wollte. Doch Giorgio Vasari nannte bereits 1568 in seiner Leonardo-Vita den Namen Lisa del Giocondo, der Gattin eines reichen Seidenhändlers aus Florenz.

„Mona“ steht für Ehefrau, „Gioconda“, wie das Gemälde auch genannt wird, heißt die Heitere. 2005 fand sich in Heidelberg ein Beleg dafür, dass Leonardo zweifelsfrei 1503 ihr Porträt begonnen hatte. Vasari hat das Gemälde nie gesehen, Leonardo nahm es mit sich, als er Florenz verließ, und hatte es bei sich, als er 1517 an den Hof des französischen Königs Franz I. in Cloux bei Amboise kam. Bis zuletzt überarbeitete der Maler seine „Mona Lisa“ immer wieder, streng genommen blieb sie bis heute unfertig.

Stolze Schönheit. Um 1490 porträtierte Leonardo Cecilia Gallerani.

Leonardo starb am 2. Mai 1519 auf Schloss Cloux, sein 500. Todestag wird mit einem knappen Dutzend neuer Bücher gefeiert. Der Pariser Louvre eröffnet am 24. Oktober eine große Retrospektive, 144 Zeichnungen sind ab dem 24. Mai in der „Queen’s Gallery“ des Londoner Buckingham-Palastes zu sehen. Der Künstler, gern stereotyp als „Universalgelehrter“ oder „Universalgenie der Renaissance“ tituliert, gilt als rätselhaft, über die Deutung der Mona Lisa wird eifrig gestritten. Im Hintergrund erstreckt sich eine bizarre, urzeitlich anmutende Felslandschaft.

Leonardos Biograf Volker Reinhardt hält das Gemälde für eine „Studie über die Natur und den Platz des Menschen in ihr“. Mit ihrem Lächeln zeige die Gioconda ihre Naturerkenntnis an. Jeder Maler male sich selbst, hat Leonardo in seinem Kunsttraktat festgestellt. Die Mona Lisa, so Kia Vahland in ihrer Monografie über den Maler und die Frauen, anfangs das Porträt einer konkreten Person, sei ihm bald „zur Weltenfrau, zur großen Erzählerin seiner persönlichen Philosophie“ geworden, der Einheit von Mensch und Natur.

Leonardo, 1452 in der toskanischen Gemeinde Vinci geboren, war der uneheliche Sohn eines Notars aus Florenz. Ein Makel, unter dem er lange litt. Mit einer gewissen Bitterkeit bezeichnete er sich als „Mann ohne höhere Bildung“. Latein beherrscht er schlecht oder gar nicht. Der Zugang zur humanistischen Kulturelite war ihm versperrt, wenn er später als „Meister Leonardo“ angeredet wird, gilt das dem Status eines Handwerksmeisters. Als der Sohn 14 ist, bringt ihn sein Vater als Lehrling in der florentinischen Werkstatt des Malers und Bildhauers Andrea del Verrocchio unter, der zu seinen Klienten gehört.

Leonardo war Vegetarier und wohl auch homosexuell

Leonardo macht sich 1472 selbstständig, er ist brillant und eigensinnig. Für ein Altarbild, das den Stadtpalast, das politische Heiligtum der Kommune schmücken soll, nimmt er eine Anzahlung an, ohne jemals mit der Arbeit zu beginnen. Damit brüskiert er die Herrscherfamilie der Medici. Nicht viel besser geht er mit den Mönchen des Klosters San Donato um, die ihn mit dem Auftrag für eine Anbetung der Heiligen drei Könige betrauen. Es folgt ein Streit um Geld und Termine, schließlich hinterlässt der Künstler eine unfertige Komposition, die mit allen Traditionen bricht. Unter den fünfzig Figuren kommt Joseph nicht vor, auch Ochse, Esel und Krippe fehlen.

Vasari hat Leonardo in seiner Lebensbeschreibung vorgeworfen, im Laufe seiner naturwissenschaftlichen Forschungen „ketzerische Vorstellungen“ entwickelt und „jegliche Religiosität“ verloren zu haben. In seiner Verwegenheit schätze es der Künstler höher, „Philosoph als Christ“ zu sein. Leonardo mied das Abendmahl, er war Vegetarier und wohl auch homosexuell.

Das Bildnis der Lucrezia Crivelli entstand nach 1495. Es befindet sich im Pariser Louvre.

Wegen „Sodomie“ mit einem männlichen Prostituierten wurde er 1476 für einen Tag inhaftiert. Sein Ruf in der Medici-Stadt Florenz war ohnehin ruiniert, die Übersiedlung nach Mailand 1482 gleicht einer Flucht. In einem pompösen Bewerbungsschreiben an Ludovico Sforza behauptet er, Wasser umleiten zu können, ein versierter Baumeister zu sein und Wunderwaffen wie „Bombarden, Mörser und Steinwerfer“ liefern zu können. Dass er auch malt, erwähnt er erst ganz unten.

Leonardo wird zum Zeremonienmeister, arrangiert höfische Feste, entwirft Kulissen. Ab 1495 malt er im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie, das als Grablege der Sforzas vorgesehen ist, sein epochales, 8,80 Meter breites und 4,60 Meter hohes „Letztes Abendmahl“. Das Wandbild macht ihn zur Berühmtheit. Allerdings arbeitet er nicht in der bewährten Fresko-Technik, die Farbe auf den noch feuchten Kalk auftragend, sondern benutzt ein schnell trocknendes Tempera-Ölgemisch. Bereits 1517 klagen Klosterbesucher, dass das Werk anfange, sich zu zersetzen.

Er schätzte eigene Erfahrung mehr als Buchwissen

„Wer Zugang zur Quelle hat, geht nicht zum Wasserkrug“, lautete Leonardos Credo. Die eigene Anschauung, die eigene Erfahrung zog er dem Buchwissen der Gelehrten vor. Unablässig hat er beobachtet, gezeichnet, notiert. Nach eigenen Angaben sezierte er mehr als dreißig menschliche Körper. Der Begriff impressiva, eindrucksvoll, stammt von ihm. In Mailand begann er damit, „Hefte“ anzulegen, später spricht er von 120 Bänden.

Zu den ersten Entwürfen gehören ein pyramidal geformter Fallschirm, ein nach den Gesetzen des Vogelflugs konstruierter Flugapparat und eine Flugschraube, die an einen Helikopter erinnert. Heute gilt Leonardo aufgrund dieser Tüfteleien als Urvater aller Ingenieure. Doch um Funktionalität und Nützlichkeit hat er sich nicht gekümmert, manche Zeichnung wirkt wie eine Karikatur. Im Flugapparat ist der „Pilot“ hinter Kurbeln und Zahnrädern eingeklemmt, passiv dem Kommenden ausgeliefert, ein Symbol der Sinnlosigkeit menschlichen Strebens.

Video16.11.2017, 11:09 Uhr01:13 Min.450 Millionen US-Dollar für einen Da Vinci

Das Auge, so formuliert es Volker Reinhardt, sei für Leonardo „das maßgebliche Organ“ gewesen, mit dem er die Welt erforschte und „der Sinn, über den sich die Seele des Menschen beherrschen lässt“. Seine Forschungen, angetrieben von unstillbarer Neugier, waren unsystematisch, die Abstraktion mathematischer Formeln lag ihm fern. 7200 Seiten mit Notizen und Skizzen des Künstlers haben sich erhalten, schätzungsweise ein Viertel seiner Produktion.

Ein kleiner Teil dieses Schatzes gehört heute Bill Gates, er hat 1994 den Codex Leicester mit 72 Blättern für 30,8 Millionen Dollar ersteigert. Gern sehen sich die heutigen Tech-Magnaten als Leonardos Nachfolger, als neue „Renaissance-Menschen“. So, als würde von den Visionen des Künstler-Philosophen ein direkter Weg zu den Garagen des Silicon Valley führen, wo Computer und Businesspläne zusammengezimmert wurden. Doch Leonardo wollte nicht die Welt verändern. Er wollte sie bloß beobachten. „Sag mir. Sag mir, ob ich jemals etwas tat. Sag mir, ob jemals etwas getan wurde“, schrieb er skeptisch in seine Notizbücher. Wahrscheinlich hat Leonardo sich nicht als Genie verstanden.

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