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Kultur - 07.01.2019

Leitfigur einer neuen Weltbetrachtung

Früher Denker der Globalisierung: Vor 250 Jahren wurde Alexander von Humboldt in Berlin geboren. Ein Blick ins prall gefüllte Jubiläumsjahr.

Humboldt hatte gewaltigen Einfluss auf Dichter und Wissenschaftler in den USA. Seine Büste steht heute am Central Park.

Was für eine Wiederkehr! In diesem Jahr feiern wir den 250. Geburtstag Alexander von Humboldts, am 14. September. Es erscheint eine neue Ausgabe seiner Schriften. Das Humboldt Forum wird eröffnet, das größte und reichlich umstrittene Kulturprojekt der Bundesrepublik: Es steht vor der historischen Aufgabe, in der Frage kolonialer Raubkunst Gerechtigkeit zu schaffen – unter einem Namen, der für das Beste der deutsch-europäischen Geistesgeschichte steht. Das Deutsche Historische Museum Berlin bereitet eine Ausstellung über Alexander und Wilhelm vor, die famosen Humboldt-Brüder.

Mit Humboldt-Vorträgen, Symposien, Lesungen, Debatten ist 2019 prall gefüllt, zumal in Berlin. Die Humboldt-Universität lädt zur Konferenz „Navigating the Sustainability Transformation in the 21st Century“, es geht um Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Alexander von Humboldt (1769–1859) gilt als Vordenker der Ökologie, auch wenn dieser Begriff später erst von Ernst Haeckel geprägt wurde.

Weltweit existiert eine hochaktive Humboldt-Wissenschaft

So viel Humboldt war nie. Es dreht sich um ein einmaliges Phänomen. Eine Persönlichkeit, die im 18. Jahrhundert geboren wurde und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts intellektuell dominierte, wird neu erkundet, neu bewertet und für viele Menschen überhaupt erst einmal angemessen dargestellt und gewürdigt. Weltweit existiert eine junge, hochaktive Humboldt-Wissenschaft. Humboldt überall, gehandelt als salvatorische Größe. Woran liegt das?

Seine Publikationsgeschichte ist chaotisch. Humboldt schrieb viele seiner Werke auf Französisch. Zu Lebzeiten international gefeiert, geriet er nach seinem Tod in Vergessenheit. Die Nationalsozialisten wollten ihn zu einem Herrenmenschen und Welteroberer stilisieren. Und dann trennte sich die Forschung in Ost und West, Humboldt war auch ein Opfer der deutschen Teilung.

Was jetzt mit Humboldt passiert, lässt sich als nachholende, überfällige Rezeption beschreiben. Dafür gibt es praktische Gründe. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat 2015 ein auf 18 Jahre angelegtes Langzeitprojekt gestartet mit dem Titel „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“. Ottmar Ette, führender Humboldt-Spezialist von der Universität Potsdam, leitet die gigantische Arbeit. Er verweist auch auf die außergewöhnliche Ausgangslage: „Seit wenigen Jahren sind wir überhaupt erst an dem Punkt der Verfügbarkeit des Nachlasses und damit an einer neuen, breiteren Auseinandersetzung, weil es plötzlich eine ganz andere Materialbasis gibt. “ Es geht um Tausende Dokumente. Sie sind, wie Ette sagt, „die Grundlage für viele Jahre Forschung“.

Unterwegs, immer. Und auf volles Risiko.

Das Interesse an dem frühen Denker der Globalisierung, dem „zweiten Entdecker Amerikas“, wie er häufig bezeichnet wird, wächst sprunghaft – und es nimmt in dem Maße zu, in dem die Weltordnung unter dem Einfluss disruptiver Mächte vor unseren Augen zerfällt. Humboldt hat die Welt als Ganzes gesehen, politisch, ökonomisch, kulturell. Es gab für ihn keine überlegenen Nationen, kein Recht der Europäer, andere Kontinente auszubeuten und zu versklaven. Humboldts Denken wirkt wie ein Antidotum in diesen neoautoritären Zeiten.

Viele Erkenntnisse hat er aus eigener Anschauung gewonnen. Darin unterscheidet er sich maximal von anderen großen Geistern seiner Zeit. Kant oder Goethe und auch Karl Marx, der 2018 sein Jubiläumsjahr hatte, erkundeten die Welt vom Schreibtisch aus, recht bequem und meist ohne Gefahr. Alexander von Humboldt versucht die Weltströme nicht nur theoretisch zu erklären, sondern er geht dahin, wo noch keiner war. Hier muss man an Georg Forster erinnern. Forster hat mit James Cook die Welt umsegelt, er wusste, wovon er sprach und schrieb. Forster war Alexanders großes Vorbild.

Unterwegs, immer. Und auf volles Risiko. Humboldt experimentiert mit dem eigenen Körper, wirft sein Leben in die Waagschale, als hätte er sechs oder sieben davon. Als junger preußischer Oberbergmeister in Franken, mit 24 Jahren, wäre er um ein Haar in einem Stollen erstickt. Wenige Jahre später, bei einer Flussfahrt auf dem Orinoco, droht das Boot des preußischen Kolumbus zu kentern. Humboldt kann nicht schwimmen, und im Wasser sind Krokodile. Mit knapper Not kommt er davon. Nicht anders, als bei einer Vulkanbesteigung in den Anden eine Schneewand unmittelbar neben ihm abbricht und in die Tiefe stürzt. Das lange Leben des Forschers und Schriftstellers steckt voller Beinahe-Fatalitäten und Unternehmungen, die jeder Vernunft zuwiderlaufen. Das war sein Treibstoff.

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