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Kultur - 08.06.2019

Lasst mich betrunken sein!

Ein rarer Abend: Robin Ticciati ist krank, für ihn springt David Robertson beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin ein.

Erhellender Kurztrip. David Robertson ist Chefdirigent in Sidney.

Richard Wagner prägte zwar den schönen Ausspruch „Kinder, schafft Neues“, doch sein Schatten lastete schwer über einer ganzen Musikepoche. Nach ihm zu komponieren und nicht wie ein Nachwagner zu klingen, wurde zum Stolperstein vieler Musikerkarrieren. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) verbindet bei seinem Konzert in der Philharmonie Werke zweier Komponisten, die, bei aller Bewunderung, nicht in der „Tristan“-Falle hängen geblieben sind: Claude Debussy und Gustav Mahler. Diese Programmierung trägt ganz die Handschrift von Robin Ticciati, doch der Chefdirigent des DSO muss sein letztes Konzert in dieser Saison krankheitsbedingt absagen. Das ist schade, denn viele Stränge hätten hier zusammenkommen können als Kulminationspunkt einer ungemein intensiven Spielzeit.

Mit David Robertson hat das Orchester jedoch einen Einspringer gefunden, der ein besonderes Sensorium für die Moderne mitbringt und mit sichtbarer Freude vor dem DSO steht. Gleich die ersten Takte der „Pelléas et Mélisande Symphonie“, die Marius Constant nach Debussys Oper zusammengestellt hat, treffen den magischen Ton einer anderen, inneren Welt. Sie entfaltet sich nicht neurotisch unter Wagners Religion-Erotik-Erlösungskomplex gebückt, sie feiert die Seele als einen schier unermesslichen Resonanzraum. Wenn man sich ihr nur zart genug nähert. Robertson und das DSO gelingt hier ein gutes Stück Weg, ohne jede Schwüle, mit fließenden Tempi.

Ein einem Punkt ist Mahlers „Das Lied von der Erde“ dem Denken Wagners erstaunlich nah: Der Tenorpart ist für einen utopischen Sänger geschrieben, den es in der extremen Kombination von Durchschlagskraft und lyrischem Feingefühl auf der Bühne niemals geben kann. Simon O’Neill macht seine Sache trotzdem gut, bleibt klar in der Diktion und spürbar durstig nach dem Wein der Trunkenen, auch wenn die Orchesterwelle mal über seinem Silberhaupt zusammenschlägt. Karen Cargill aber singt die Altpartie mit leuchtender Empathie bis in die letzte Silbe hinein, bis zum verebbenden und doch nie wirklich verlöschenden siebenfachen „Ewig“. Dass sich durch Mahlers Werk, seine aus Aberglauben umbenannte ursprüngliche 9. Symphonie, gewaltige Pendelbewegungen ziehen, kann Robertson lebhaft darstellen. Selten hört man „Das Lied von der Erde“ derart auf dem Sprung, nie eingelullt, in immer wieder neuem Schrittmaß. Die Mitte ist es, die so schwer zu finden ist, die Synthese. Sie lebt wohl nur in der Kunst, an raren Abenden wie diesem.

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