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Kultur - 06.04.2019

In der Schwüle des Südens

Sezessionskrieg der Geschlechter: Sofia Coppolas Pensionatsdrama „Die Verführten“.

Im Mädchenpensionat. Virgina anno 1864 versammeln sich Martha Farnsworth (Nicole Kidman) und ihre Schülerinnen zum Abendgebet.

Wie ein Fingerzeig Gottes bohren sich die Sonnenstrahlen durch den ewig wabernden Dunstschleier. Schwer hängen Mooszotten in knorrigen Baumriesen. Warm fällt Kerzenlicht auf vornehm blasse Gesichter. Unter gestärkten Blusen beben die Brüste. Und dann diese eine Einstellung, die immer wiederkehrt: Im Vordergrund rahmt die grüne Blätterhöhle eines Baumes das Bild, im Hintergrund erheben sich die ins Endlose wachsenden Säulen einer neoklassizistischen Südstaatenvilla. Dazwischen tauchen Gestalten auf, unwirklich, wie getuscht.

Diese atmosphärische Landschafts- und Figurenästhetik bedient sich bei Caspar David Friedrich ebenso wie bei Tim Burton. Mit alten Objektiven und Weichzeichner auf Analogfilm gedreht, wird überdeutlich: Es sind Nachrichten aus einer sehr fernen Welt, die Sofia Coppola und ihr Kameramann Philippe Le Sourd in erlesenen Bildern übermitteln – aus einer sehr weiblichen dazu. Auf die Welt der Frauen ist die Regisseurin seit ihren großartigen Dramen „The Virgin Suicides“ (1999), „Marie Antoinette“ (2006) und „The Bling Ring“ (2013) abonniert.

Die Jungfer seufzt wollüstig, als sie den Soldatenkörper wäscht

„Die Verführten“ spielt in einem Mädchenpensionat im US-Staat Virginia im Jahr 1864. Seit drei Jahren schon verheert der Bürgerkrieg das Land und hinter dem schmiedeeisernen Tor des „Farnsworth Seminary“ ist nur noch eine Schar vergessener Frauen versammelt. Direktorin Miss Martha (Nicole Kidman) erzieht fünf Schülerinnen, assistiert von Edwina (Kirsten Dunst). Als mit dem verwundeten Yankee Corporal McBurney (Colin Farrell) ein Mann in die durch Korsette und Etikette fest gefügte Welt eindringt, implodiert die repressive Moralstruktur. Nicht lange und die Töchter der Sklavenhändler-Aristokratie balgen sich um die Aufmerksamkeit des Verwundeten wie Hunde um einen Knochen.

Das sieht dann durchaus komisch aus, wenn die verwelkende Südstaatenschönheit Martha schwer atmend den blutenden und schwitzenden Soldatenkörper wäscht. In Brust- und Beinhaar glitzern die Wassertropfen und die Jungfer denkt sich, scheint’s wollüstig, seufzend Schweinereien aus. Und das, obwohl fortwährend die Kanonen donnern und Rauchsäulen von der verbrannten Erde der Schlachtfelder künden. Als der von Direktorin bis zur jüngsten Schülerin umgarnte Corporal eines Nachts ins Bett der Teenie-Lolita Alicia (Elle Fanning) steigt, wird auch das Mädchenpensionat zu einer Art Kriegsschauplatz. Der Krieg und die Frauen, sie sind eine einzige Männerfantasie, ein feuchter Traum, der ein tödliches Erwachen nach sich zieht.

Hochgeschlossen. Nicole Kidman als Internatsleiterin Martha Farnsworth und das Objekt der allgemeinen Begierde: Corporal John…

Das war auch schon die Conclusio von „Betrogen“, Don Siegels erster Verfilmung des Romans „A Painted Devil“ von Thomas Cullinan, in der Clint Eastwood als manipulativer Macho-Corporal einer Zwölfjährigen einen feuchten Kuss aufdrängt. Siegels Version von 1971 war noch viel deutlicher als Coppolas subtileres Remake von der platt sexualisierenden „Zärtliche Cousinen“-Aura eines David Hamilton durchweht. Trotzdem ändert auch die Tatsache, dass Coppola die Frauen wie den Mann, der glaubt, sie alle haben zu können, als Verführte darstellt, nichts am kinotypischen Blick auf diese Gemeinschaft.

Im Internatsfilm wird Frauen Missgunst, mangelnde Solidarität und Triebstau unterstellt

Seit „Mädchen in Uniform“, um mal einen deutschen Klassiker des Internatsfilms zu nennen, wird Frauen untereinander Missgunst, Neid, mangelnde Solidarität und ein schlimmer Triebstau unterstellt. Wo da in „Die Verführten“ der von Sofia Coppola in Interviews beschworene moderne weibliche Ansatz ihrer selbst geschriebenen Adaption sein soll, bleibt ihr Geheimnis. Pensionatsfilme funktionieren weit besser ohne diese Dnunziationen, wie Peter Weirs sagenhaft suggestiver Mysterythriller „Picknick am Valentinstag“ beweist. Auch die Auszeichnung mit dem Regiepreis, den Coppola beim Filmfestival in Cannes erhielt, bleibt angesichts der unfertigen Charakterzeichnung der Protagonistinnen rätselhaft. Was bewegt etwa Kirsten Dunsts Edwina dazu, sich plötzlich dem Mann hinzugeben, dessen Verrat sie gerade noch zur hasserfüllten Furie macht, und dem Gefangenen damit die bewaffnete Kontrolle über die anderen Frauen zu verschaffen? Die Angst vor drohender Altjüngferlichkeit, vor einem sinnlosen, weil ungeliebten Leben? Das ist eins zu eins 19. Jahrhundert!

Die Soldateska vor der Tür. Martha Farnsworth (Nicole Kidman) in der repräsentativen Pensionstür.

Immerhin: Colin Farrells weichhäutiger, offen seine Kriegsangst äußernder Corporal ist hier differenziert als irischer Einwanderer dargestellt, der sich des Geldes wegen als Söldner verdingt. Eher nach billiger Ausflucht klingt dagegen Coppolas Statement, die wichtige Nebenfigur der schwarzen Haushaltshilfe Hallie eingespart und einen rein weißen Süden gezeichnet zu haben. Die Sklaverei sei ein zu großes Thema, um nebenbei abgehandelt zu werden. Wohl wahr, aber doch seltsam, wenn ein Drama im Sezessionskrieg spielt, der sich genau um jene Sklavenfrage drehte.

Die reine Freude ist jedoch Nicole Kidman, die mit sanfter Stimme, wächserner Miene und bohrend blassblauem Blick die Mutterglucke und Eiskönigin gibt.

In 18 Kinos, OmU: Babylon Kreuzberg, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Odeon, OV: Cinestar Sony-Center, Rollberg

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