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Kultur - 01.12.2018

Goldenes Glühen

Mit Synthesizer und Dudelsack: die amerikanische Avantgarde-Popkünstlerin Julia Holter besingt im Berliner Funkhaus wunderliche Vorgänge.

Spricht am liebsten mit sich selbst: Julia Holter

Julia Holter erscheint zum Konzert, wie eine Dozentin zur Vorlesung. Eine große Mappe trägt sie unter dem Arm, darin sind ihre Noten. Sie legt sie auf den Ständer am Keyboard und beginnt dort ihren Vortrag – allein. Mit „In Gardens Muteness“ dem leisesten, zartesten Song ihres hochgelobten, neuen Albums „Aviary“, das ein anderthalbstündiges, vielschichtiges, gewollt überforderndes Stück collagierter Samples, Texte, und Töne ist. Elektronischer Avantgarde-Pop, wie eine goldene Voliere voll schreiender Vögel. Holter kommt aus Los Angeles. Nicht nur da ist sie ein Einzelstück.

Im Funkhaus sitzt man auf den Parkettstufen und ist gespannt. Wie wird sie das nun live übersetzen? Werden einem die Ohren wehtun? Wird man völlig zersetzt werden? Der zweite Song bereits löst alle Rätsel. Holters Band – eine Violinistin, eine Bläserin, ein Schlagzeuger, ein Synthie- und Dudelsackspieler sowie ein Kontrabassist – treten an ihre Instrumente und scheinen nebeneinander zu üben. In maximal nervöser, gewollter Disharmonie kämpfen sie um das Gehör. Julia Holter, von unten und oben beleuchtet, ganz in weiß, aber mit roten Strümpfen, wirkt hinter ihrem frontalen Keyboard wie die Zeremonienmeisterin wunderlicher Vorgänge in einer mysteriösen Dachkammer. Die sie durch zartes Schreien, vogelartiges Rufen, natürlich Singen und mit vielen Armgesten beschwört.

Sie genießt die Töne sichtlich, die sie einst am Computer erdachte

Ihr Vogelkäfig von einem Album steht auf der Schrankkante und wackelt, bis der Dudelsack in die Disharmonie eingreift und mit langen, gleichbleibend beruhigenden Tönen aufräumt. Das Chaos wird geordneter, fließt wie ein Fluss zu einem ruhigen See zusammen. Es ist die nun im Kontrast noch viel schönere Harmonie ihres Songs „Silhouette“, von ihrem 2015er Album „Have You In My Wilderness“. Der Song fühlt sich so wunderbar ordentlich, zugänglich und versöhnlich an, dass er dem Konzert schon nach wenigen Minuten einen seiner besten Momente beschert, als er in einer aus Keyboard und Violinen bestehenden sirrenden Klimax einläuft. Der Applaus ist groß. Man glüht von innen.

Und Holter lässt das lateinische „Voce Simul“ folgen, was einer Art Publikumsbeschwörung gleicht. Unweigerlich ist man fasziniert von der Künstlerin, die zwischen den Liedern spricht, aber sich immer wieder dafür entschuldigt, da sie sagt, sie spreche eigentlich ja nur mit sich selbst. Dann trinkt sie Wasser und sagt, dass Musikmachen wie Therapie sei für sie. Aber das wüssten wir ja wahrscheinlich alle, denn das Publikum bestehe wahrscheinlich auch nur aus Künstlern.

Sie genießt die Töne sichtlich, die sie einst am Computer erdachte, und die ihr nun in einer erdigeren, weniger überfordernden Art und Weise von der Band zugespielt werden. „Rather See“, erzählt sie, habe sie bereits vor zehn Jahren geschrieben, sie würde ihn gern mal allein am Harmonium spielen. „Na, beim nächsten Mal, Funkhaus.“ Etwas weniger mitreißend als seine Albumversion, aber von unbestreitbarer Schönheit ist die Single „I Shall Love 2“. Schließlich, bei der Zugabe, macht Holter, was die wenigsten Künstler und Künstlerinnen machen. Sie geht auf einen Publikumswunsch ein und spielt „Betsy On The Roof“, ebenfalls von dem gefälligeren Album „Have You In My Wilderness“.

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