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Kultur - 10.07.2019

Ein Museum als Gesamtkunstwerk

Feierlicher Purismus, im Einklang mit der Natur: ein Besuch im Privatmuseum Glenstone in Maryland, USA.

Helle Welten. Installation von Charles Ray mit den Arbeiten „Table“, „Fall“, Baled Truck“ und „The New Beetle“ (v. l. n. r.).

Der Besuch eines Museums kann anregend sein – oder auch frustrierend. Letzteres widerfuhr Mitchell Rales vor einigen Jahren im Reina Sofia in Madrid. Der erfolgreiche Industrielle und angehende Kunstsammler wollte Picassos „Guernica“ sehen, wurde aber nach einer halben Stunde von den Aufsehern zum Weitergehen aufgefordert, des nachdrängenden Besucherstroms wegen.

Das eigene Museum, das der Sammler gemeinsam mit seiner Frau Emily im Oktober eröffnet hat, kennt keine Beschränkung der Verweildauer. Es verlangt darüber hinaus kein Eintrittsgeld – empfiehlt aber Reservierung, weil die Überfüllung der Ausstellungsräume unbedingt vermieden werden soll. Das klingt einigermaßen ambitioniert bei einem Museum, das in seiner vorherigen Version in den sieben Jahren seines Bestehens kaum mehr als 10 000 Besucher zählte – insgesamt, und nicht etwa pro Jahr. Es war eher ein Privathaus in einem großzügigen Park als ein Museum.

Aber nun ist alles anders. Glenstone, wie der 25 Kilometer von der Innenstadt Washingtons entfernte Landschaftspark-plus-Museum mit Namen heißt, hat mehr als eine bloße Erweiterung erfahren. Zunächst einmal ist der Park durch Zukauf von 40 Hektar auf über das Doppelte gewachsen. Baulich aber handelt es sich eher um eine Neueröffnung, denn zu den bisherigen 840 Quadratmetern Ausstellungsfläche in einem Gebäude des Architekten Charles Gwathmey kommt ein Ensemble von 13 untereinander verbundenen Galerien mit insgesamt 4700 Quadratmetern Ausstellungsfläche, genannt „Die Pavillons“ und entworfen vom New Yorker Architekten Thomas Phifer. Zehn Galerien sind für jeweils einen Künstler vorgesehen; nur im größten Haus des um einen japanisierten Seerosenteich herum angelegten Ensembles ist die Sammlung von moderner Kunst seit dem Zweiten Weltkrieg zu sehen, die das Ehepaar Rales seit der Jahrtausendwende aufgebaut hat; nicht zuletzt in den Jahren der US-Finanzkrise, als spekulative Sammlungen aufgelöst und weit unter Preis veräußert wurden. So kam etwa eine ganz exquisite Auswahl des New Yorker abstrakten Expressionismus zustande, in der Werke von Pollock, de Kooning, Kline, Rothko und Gorky glänzen.

Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf der Gegenwart

Der Schwerpunkt der Rales-Sammlung liegt jedoch auf der Gegenwart. Emily Rales, die früher als Kuratorin arbeitete, ist wohl die treibende Kraft bei der Auswahl, die so unterschiedliche Künstler wie Martin Puryear, Charles Ray, Robert Gober, aber auch Lygia Pape vereint. On Kawara, von dem die einzige, dreiteilige Serie überhaupt innerhalb seiner Datumsbilder, und zwar die von den Tagen der Mondlandung 1969, in einer quadratischen, kleinen, aber haushohen Galerie zu sehen ist, sowie Cy Twombly, der hier allein mit weißen Skulpturen vertreten ist, schlagen die Brücke zu den älteren Künstlern der Überblickssammlung.

Die aus Ortbeton ausgeführte Grundstruktur ist mit insgesamt 26 000 vorfabrizierten, hellgrauen und farblich ganz leicht changierenden Betonblöcken je 45 Kilogramm zu einem Ensemble aus rechtwinkligen, unterschiedlich großen und hohen „Boxen“ gefüllt. Vom weit entfernten Eingangsbauwerk aus führt ein geschwungener Weg auf das Ensemble zu, das sich vor den Augen des Besuchers unmerklich aus der hügeligen Landschaft schält – ein Bild für sich. Die Landschaft, so natürlich sie scheint, ist gestaltet, vom Büro PWP Landscape Architecture, das sogar einen ausgewachsenen Baum versetzen ließ, damit er sich optimal ins Panorama der Ankommenden fügt.

Purismus zeichnet die Aufstellung der Kunstwerke aus

Die Qualität der Bauausführung ist makellos; keine Selbstverständlichkeit in den USA. Dass sich der Architekt bei langen Wanderurlauben in der Schweiz mit der dortigen Architektur vertraut gemacht hat, ist keine bloße Erzählung. Der Einfluss von Baumeistern wie Peter Zumthor oder Herzog und de Meuron ist evident, nicht im Sinne von Nachahmung, sondern von Haltung. Dass Phifer beiläufig das Motto „Less is more“ entfährt, das bekanntlich Mies van der Rohe zugeschrieben wird und den Urgrund des Minimalismus bezeichnet, kommt nicht von ungefähr. In diesen Bauten, diesen Räumen von Glenstone ist nichts überflüssig, und es genügt, auf der Treppe vom Eingang zur Galerieebene die hölzernen Geländer zu berühren und durch die Handfläche gleiten zu lassen, um des Architekten Bemerkung „es dreht sich alles ums Detail“ ganz und gar zu bestätigen.

Purismus zeichnet auch die Aufstellung der Kunstwerke aus; von den drei Gemälden On Kawaras war bereits die Rede. Von der Brasilianerin Lygia Pape ist eine einzige Arbeit zu sehen, die 365 Täfelchen von „Livro do Tempo I“, ein jedes eine „Seite“ in ihrem Jahreskalender aus abstrakten Formen und reinen Farben. Den optisch stärksten Eindruck macht der Pavillon, der keiner ist, sondern ein dachloser Raum, in dessen Mitte ein quadratisches, fünf Meter tiefes und in stählerne Wände gefasstes Loch klafft. Hier hat Michael Heizer, einer der prominentesten Vertreter der Land Art, ineinander verkeilte Stahlträger scheinbar hineingeworfen, ein Mikado für Riesen. Unterbrochen wird der Rundgang durch einen „Meditationsraum“, in dem eine wandgroße Fensterscheibe Ausblick auf die Landschaft gewährt; man denkt an das innerstädtische Pendant in Zumthors Kölner Museum Kolumba. Man denkt zugleich an Japan, an das Ideal einer zu höchster Klarheit gesteigerten Einheit von Natur und Kultur.

Glenstone ist nicht einfach ein Sammlermuseum

Im abseits gelegenen Galeriebau des 2009 verstorbenen Charles Gwathmey sind nicht weniger als 30 skulpturale Arbeiten von Louise Bourgeois zu sehen, der Grande Dame der zeitgenössischen Kunst – alle aus eigenem Besitz. Das Sammlerpaar verfolgt eine langfristige Strategie, nur Künstler mit einem Oeuvre, einem über Jahre geschaffenen Grundstock an Arbeiten kommen in Betracht, und dann können die Rales, wie im Falle On Kawara, über Jahre geduldig warten, bis sich die Chance auf den Erwerb einer ganz bestimmten Arbeit ergibt. Der finanzielle Hintergrund – der mittlerweile 62-jährige Mitchell Rales hat als Unternehmer ein Milliardenvermögen erworben – erlaubt es, unabhängig von Marktschwankungen am Ball zu bleiben. Und übrigens auch, ein Museumspersonal von nicht weniger als 130 Mitarbeitern zu beschäftigen, die zahlreichen Studierenden inbegriffen, die Zeitjobs weniger als Aufseher denn als jederzeit ansprechbare Kunstvermittler ausüben.

Ja, Glenstone ist nicht einfach ein Sammlermuseum. Es ist, darin vielleicht dem Museum Dia Beacon der Dia Foundation nördlich von New York vergleichbar, ein Ort, in dem Kunst zelebriert wird – nicht unnahbar, aber als Besonderes. Die umgebende Landschaft ist Teil des Gesamtkunstwerks Glenstone, aber auch sie dem Konzept untergeordnet. Als Sammlung ist der Bestand in hohem Maße individuell, das Gegenteil eines Handbuches, gar eines New Yorker Auktionskatalogs wie so oft bei reichen Sammlern. In seiner Gesamtheit ist Glenstone ein ästhetisches Erlebnis von Rang.

Glenstone, Potomac (Maryland), Do–So 10–17 Uhr. Eintritt frei, Reservierung empfohlen unter www.glenstone.or

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