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Kultur - 17.03.2019

Ein Fremder kommt ins Haus

Der Regisseur und Dramatiker Árpád Schilling ist in Ungarn zum Staatsfeind erklärt worden. Am Berliner Ensemble zeigt er die Groteske „Der letzte Gast“.

Landhaus-Langeweile. Klara (Corinna Kirchhoff) bekommt Besuch von ihrer ehrgzeigen Tochter Berta (Bettina Hoppe).

Klara hat ein Problem. Sie hockt schwer gelangweilt in einem alten Landhaus fest, mit ihrem Gatten Helmut. Der war sicher auch schon vor seiner Demenzerkrankung kein uneingeschränkter Quell der Freude, aber immerhin ein erfolgreicher Philologe. Inzwischen ist die eheliche Kommunikation praktisch eingestellt – sieht man von dem sarkastischen Gelächter einmal ab, mit dem Helmut alias Wolfgang Michael aus dem Rollstuhl heraus seine Schließmuskelprobleme zu artikulieren pflegt.

Dafür plappert die Hausfreundin Jutta umso mehr, Helmuts ehemalige Institutssekretärin, die ständig zum Tee vorbeischaut und von Judith Engel entsprechend übergriffig auf Klaras Landhaussofa geturnt wird. Wenn es ganz schlimm kommt, steht auch noch Berta in der Tür, die karrieristische Tochter des Hauses (Bettina Hoppe), der man die Spaßbremsenhaftigkeit schon aus hundert Meter Entfernung ansieht.

Kein Wunder also, dass die von Corinna Kirchhoff mit allen Anzeichen akuter Genervtheit und psychischer Dauerüberreizung ausgestattete Klara sich nach einem „Neubeginn“ sehnt. Und ihre Taxifahrerbekanntschaft spontan einlädt, das ebenfalls in ihrem Besitz befindliche Nachbarhaus zu renovieren: einen jungen Mann mit unbekannter, aber offenbar ferner Herkunft.

„Der letzte Gast“ heißt das Stück, das der ungarische Regisseur Árpád Schilling zusammen mit seiner Co-Autorin Éva Zabezsinszkij unter tatkräftiger Improvisationsmithilfe der Schauspielerinnen und Schauspieler am Berliner Ensemble entwickelt hat. Sie schrieben den Akteuren die Abende praktisch auf den Leib, erklären Schilling und Zabezsinszkij ihre Stückentwicklungsmethode in einem Interview im Programmheft.

Schilling fühlt sich in Ungarn von der Theaterbranche im Stich gelassen

Das ist auch deshalb lesenswert, weil man dort erfährt, was es für den Theatermacher bedeutet, dass die Orbán-Regierung ihn zum „Staatsfeind“ erklärt hat. In Ungarn waren dem freien Theater Krétakör, das Schilling 1995 gegründet hatte und dessen bahnbrechende Versionen von Büchners „Woyzeck“ oder Tschechows „Möwe“ Anfang der nuller Jahre auch bei Gastspielen in Berlin für Furore sorgten, schon vor geraumer Zeit empfindlich die finanziellen Mittel gekürzt worden.

Árpád Schilling, Theater- und Filmregisseur aus Ungarn, wird von Viktor Orbáns Regierung schikaniert.

Schilling verwandelte sein Theater schließlich in eine Produktionsplattform, um – in Anlehnung an Brechts Lehrstückmodell – dezidiert selbstbestimmungsaktivierende Workshops und Aktionen im öffentlichen Raum zu leiten. Im Herbst 2017 wurde der Regisseur dann vom Ausschuss für Nationale Sicherheit des ungarischen Parlaments zum „potenziellen Vorbereiter staatsfeindlicher Aktivitäten“ erklärt.

Die Tatsache an sich sei keine große Überraschung gewesen, sagt Schilling jetzt im BE-Programmheft sinngemäß. „Das Erschütternde war, dass mich meine eigene Branche im Stich gelassen hat. Selbst linksliberale TheatermacherInnen haben infrage gestellt, warum ich so laut sein, warum ich Demonstrationen organisieren muss – das sei doch keine Kunst.“ Seit Beginn der Spielzeit lebt der international preisgekrönte Regisseur, der an der Bayrischen Staatsoper oder dem Wiener Burgtheater inszeniert, nun mit seiner Familie in Frankreich.

Dass er sich bei seiner ersten Regiearbeit am Berliner Ensemble für das Sujet des „Fremden“ mit all seinen potenziellen Implikationen entschieden hat, liegt also nahe und klingt auf dem Papier nach einer guten Idee. Deren Umsetzung allerdings gehörig schiefgegangen ist – man muss es leider so deutlich sagen.

Kitschverdacht, ungewollte Komik: kein gelungener Abend

Haltlos schlingert der Abend zwischen seiner politischen Symbolik und einer unglaublich klischeehaft geratenen Familiengroteske hin und her. Die Geschichte des Fremden, der ein antiquiertes Haus renoviert und dessen saturierte Bewohner aus ihren lähmenden Routinen aufstört, wird zum mauen Schenkelklopfer über erektionsgestörte Elektriker, chefhörige Sekretärinnen, emotional unterversorgte Karrierefrauen und brüllende Rollstuhlpatriarchen. Es ist tatsächlich, als hätte jede Schauspielerin und jeder Schauspieler bei der Improvisation zum erstschlechtesten Stereotyp gegriffen.

Nico Holonics stolpert als der titelgebende Unbekannte, mithin als Projektionsfigur und (Wohlstands-)Problem-Katalysator, zwischen zwei maximal gegensätzlichen Welten hin und her. Auf der einen Seite der Drehbühne (Ausstattung: Márton Ágh) sehen wir Klaras Mittelschichts-Sofa-Landschaft, auf der anderen eine vollgerümpelte Absteige mit Autoreifen, Bierkästen und Werkzeugen. Dort haust des Fremden Bielefelder Elektrikerkumpel Arnold, der nicht nur seine Kinder schlägt, sondern auch seiner Freundin Sabine (Inka Friedrich) gegenüber handgreiflich wird. Vor allem dann, wenn „sein kleiner Sperling nicht mehr piept“, wie Helmut das Potenzproblem unter Frauengekicher auf den Punkt bringt.

Im Laufe der renovierungsbedingten Berührungen, zu denen es zwischen beiden Bühnenhälften kommt, erlebt Klara nicht nur erstaunliche Glücksmomente am Betonmischer. Sondern sie enttarnt sich an der Schulter des Fremden auch als seelenverwandter DDR-Flüchtling. Freundin Jutta lässt hingegen einen solidarischen Reinigungsakt am wiederholt sich einnässenden Helmut genauso nahtlos in den Koitus ihres Lebens übergehen, wie an diesem Abend Problembehauptung und Kitschverdacht, gewollte und ungewollte Komik generell ineinandergreifen.

– wieder am 20. und 29. März

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