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Kultur - 11.06.2019

Ein Amerikaner in Berlin

Die Reichstagsverhüllung war seine Idee: Zum 80. Geburtstag des Historikers Michael S. Cullen.

Michael S. Cullen

Natürlich gibt es diese Menschen, deren Gedächtnis und Geist auf wunderbare Weise die lebende Geschichte eines Orts oder gar einer ganzen Stadt verkörpern. Aber richtig fabelhaft ist der Fall von Michael S. Cullen. Denn dieser Sohn der New Yorker Bronx, vor 80 Jahren als Kind polnisch-österreichischer Einwanderer geboren, lebt nicht einfach nur seit 55 Jahren als Amerikaner in Berlin. Nein, Michael Cullen hat die Berliner Geschichte samt ihren unzähligen Gesichtern mit Neugierde erforscht, erspürt, gesammelt und dargetan wie kaum ein anderer Historiker unserer Tage. Und der inzwischen längst naturalisierte Charlottenburger hat dabei auch einen weltberühmten Coup gelandet: mit seiner Idee zur Reichstagsverhüllung durch Christo und Jeanne Claude.

Seit 1964 in Berlin

Mit 25 Jahren kam er als Englischlehrer 1964 in die geteilte Stadt. Zuvor hatte Cullen am New Yorker Brooklyn College russische Literatur studiert, dazu Philosophie, Geschichte Musik, und hat seine Studien dann an der Freien Universität fortgesetzt. Als Übersetzer, Journalist und Sprachlehrer war er wie nebenbei auch noch Kunsthändler (und ist bis heute Sammler), so hat Cullen in seiner Mikro Galerie beim Stein-Platz und nahe der Universität der Künste früher amerikanische Großmaler wie Kenneth Nolan oder Jim Dine vertreten. Wohl in diesem Zusammenhang war er mit dem noch keineswegs weltbekannten US-Bulgaren Christo und seiner aus Casablanca stammenden Frau Jeanne-Claude in freundschaftlichen Kontakt geraten. Worauf er beiden 1971 eine Postkarte des nach den Kriegsschäden und der Kuppelsprengung noch ganz enthauptet wirkenden Reichstagsgebäudes geschickt hat. Mit dem Vorschlag, das Ding doch mal zu verhüllen. Um seine damals vielfach vergessene Geschichte so erst wieder richtig: zu enthüllen.

Hitlers Flammenfanal

Die Idee war genial – und der Rest ist so legendäre wie wahre Geschichte. Fast ein Vierteljahrhundert hat es gedauert, bis Cullens Vorschlag zu Christos Meisterwerk wurde, das den einen von beiden zum Weltstar machte. Doch wer seitdem nach Christo fragt, sollte zuerst den Berliner Freund und Kenner fragen. Entsprungen ist der Verhüllungsgedanke dem Interesse des säkular-jüdischen US-Berliners an der Historie gerade des Reichstagsgebäudes: als Flammenfanal der nunmehr totalen Machtergreifung Hitlers nach dem Brand am 27. Februar 1933. Michael Cullen zog es schon als leidenschaftlicher Westberliner ins Zentrum der Stadt- und Landesgeschichte, zu beiden Seiten der Mauer und dann in die neue, offene Mitte. So ist auch sein großer Band „Der Reichstag. Parlament. Denkmal. Symbol“ aus dem Jahr 1995 (im Berliner be.bra. Verlag) zu einem Klassiker der Politik, Architektur und die Künste einbegreifenden Kulturgeschichte geworden.

Top-Secret-Funde

Wer ihn trifft, begegnet einem sprühenden Kopf. Als kürzlich das Luftbrücken-Ende 70-jähriges Jubiläum hatte, erzählte er beispielsweise, was er im Archiv des State Department entdeckt hatte: ein „top secret“ gekennzeichnetes Protokoll der US-Delegation bei den Vereinten Nationen vom 15. Februar 1949 – mit einer persönlichen Botschaft Stalins, in der er erstmals unter bestimmten Bedingungen zur Aufhebung der Berlin-Blockade bereit war. Cullen, dessen Wissen und Schreiblust auch der Tagesspiegel viel verdankt, sagt dazu, dass diese Information bisher unveröffentlicht sei. Aber er hat sie! Möge er, der am Pfingstsonntag seinen 80. Geburtstag feiert, der Geschichte derart noch lange auf der Spur bleiben.

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