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Kultur - 10.05.2019

Die Welt in Wellen

In Venedig gibt sich der deutsche Pavillon ernst und politisch, der französische poetisch. Neuling Ghana hat einen starken Auftritt, und die Schweiz eröffnet einen Nachtclub. Ein Rundgang

Auf diesem Fischerbbot starben 2015 HUnderte von Flüchtlingen. Christoph Büchel hat im Arsenale ein Mahnmal daraus gemacht.

Die Sonne scheint, ein paar Wolken ziehen vorüber, als Natascha Süder Happelmann, die Künstlerin des Deutschen Pavillons auf der Biennale di Venezia, durch eine Sprecherin ihre Ausstellung für eröffnet erklären lässt. Erst am Abend wird es Sturzbäche regnen, wie es in Venedig immer mal passieren kann. Wasser von oben und unten. Das erwartungsvolle Publikum, das sich an diesem schönen Morgen vor den Stufen des protzigen, einst von den Nationalsozialisten umgebauten Musentempels versammelt hat, wundert sich schon nicht mehr darüber, dass die Künstlerin einen aus Pappmaché geformten Stein über ihrem Kopf trägt, einer Schauspielerin das Reden überlässt und in Wirklichkeit Natascha Sadr Haghighian heißt.
Dem Kunstbetrieb mit seinen Eitelkeiten, der nach neuen Künstlermarken giert, hat Süder Happelmann so schon im Voraus eine Abfuhr erteilt. Journalistenfragen beantwortete sie mit abstrakten Zeichnungen. Ihre Herkunft gab die Künstlerin, die an der Kunsthochschule Bremen lehrt, mit wechselnden Geburtsorten und -jahren an. Nicht auf die Botin, auf die Botschaft kommt es, gab sie zu verstehen. Diese Botschaft wird zur Pavilloneröffnung durch ihre Sprecherin verlesen: ein längeres Zitat von Rosa Luxemburg und das Manifest einer Geflüchteten-Initiative aus Osnabrück. Das ist so ernst, so politisch korrekt, wie man es im lichten, luftigen Venedig nur beim deutschen Pavillon erwarten kann.
Wer die künstlerischen Strategien Natascha Süder Happelmanns bisher humorig fand, wird nun eines Besseren belehrt. In einem Video tappte die Künstlerin mit ihrem Steinkopf auf einer Straße in Italien entlang, wo Migranten, die bei der Tomatenernte für einen Hungerlohn arbeiten, in einem Lastwagen tragisch ums Leben kamen. Auf der Ladefläche sollten sie zur nächsten Plantage gefahren werden. Komisch war das ohnehin nicht.
Die künstliche Staudamm-Mauer, die bis unter der Decke quer im Pavillon eingebaut wurde, macht dem Besucher noch deutlicher, wie ernst die Lage ist: Die Ressourcen werden knapp – für alle Menschen. Ein melodramatisches Szenario. Erstaunlich, wie sich diese monumentale Architektur immer wieder neu bespielen lässt. Hinter einer hohen Wand sind am Stützgestänge Lautsprecher angebracht, aus denen mitreißende, rhythmische Musik erklingt. Es sind Kompositionen für Trillerpfeife, mit denen sich Geflüchtete verständigen und vor polizeilichen Übergriffen warnen.

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1 von 24Foto: AFP/Tiziana Gabi08.05.2019 09:52Hände über dem Himmel von Venedig. Die Skulptur „Building Bridges“ von Lorenzo Quinn.Zurück

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Die von Franciska Zólyom, der Kommissarin des Deutschen Pavillons, ansonsten Direktorin der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst, ausgewählte Position ist stark. Mit ihrem Statement zum Schicksal der Geflüchteten macht sie einen wichtigen Punkt in der Welt der Happy Few, die hier an der Lagune zur Kunst flanieren. Aber ist es gute Kunst, sich einen Stein über den Kopf zu ziehen und einen Pseudo-Staudamm zu bauen, aus dem nur noch ein Rinnsal dringt? Da liegt das Problem des deutschen Biennale-Beitrags: Denn es zählt eben nicht nur die Botschaft, sondern auch die Botin, die Kunst selbst. Dass die auf eine Website gestellten Videos, die zu den authentischen Orten führen, elementar zum Kunstwerk gehören, macht die Sache nur noch komplizierter und wirft die Frage auf, wer hier eigentlich erreicht werden soll.
Die Schau bei diesem Thema stiehlt Süder Happelmann ohnehin der Schweizer Christoph Büchel, der auf dem Gelände des Arsenales jenes Boot aufstellen ließ, das im April 2015 mit Hunderten Geflüchteten im Mittelmeer versank. „Barca Nostra“ nennt er sein Mahnmal. Der Titel nimmt Bezug auf die EU-Rettungsmaßnahme „Mare Nostrum“, die damals zeitgleich endete. Bis dahin eilten die offiziellen Helfer noch außerhalb der 30-Meilen-Zone zum Einsatz. Jetzt bleiben die Geflüchteten in Not ihrem Schicksal überlassen: euer Meer, euer Seegrab.
Während der Deutsche Pavillon im Vergleich zu Anne Imhofs furiosem Auftritt vor zwei Jahren eher enttäuscht, befindet sich eine Favoritin für den Goldenen Löwen gleich gegenüber, bei den Franzosen. Dort dampft feuchter Nebel vom Dach, der Pavillon diffundiert. Der Weg hinein führt nicht durch den Haupteingang, sondern seitlich durchs Gebüsch. Aus dem Dunkel steigt der Besucher auf in Laure Prouvosts Wunderwelt, bei der man nie genau weiß, ob man sich gerade oben, unten, zu Lande oder Wasser befindet. Die Französin hat im blau bemalten, mit Gussharz versiegelten Boden allerlei Objekte versenkt: Handys, Perlen, gläserne Tintenfische, Salatköpfe. Darauf liegen Eierschalen, Algen und Brüste aus Murano-Glas. Dazwischen hüpft eine weiße Taube, die auch im gezeigten Film eine Rolle spielt. Auch die Protagonisten in Prouvosts Roadmovie, der von Paris nach Venedig führt, können fliegen. Zumindest scheint es so, wenn sie sich vom Dach des Pavillons fallen lassen. In diesem Traum tirilieren sie außerdem wie Opernsänger, sobald sie im gleißenden Licht durch die Pavillontüren treten. Prouvosts poetische Fluchtfantasien bilden den wohl größten Gegensatz zu Süder Happelmanns steinharter Lektion in Sachen Flüchtlingspolitik.

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