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Kultur - 10.12.2018

Die Utopie steckt im Detail

Nahaufnahmen aus Scharouns Philharmonie: Das Kunsthaus Dahlem zeigt Fotografien des Berliner Künstlers Albert Weis.

Das Runde neben dem Eckigen. Mit seiner Serie „philharmonie“ entdeckt Weis rätselhafte Perspektiven in der Architektur-Ikone.

Wenn man über Architekturutopien spricht, ist man im Kunsthaus Dahlem nicht ganz falsch. Das ehemalige Staatsatelier des Bildhauers Arno Breker ließ Hitler 1942 fertigstellen, mitten im Zweiten Weltkrieg, gedacht als Produktionsort für die Kunst einer siegreichen Nation. Längst ist das Haus umgebaut und der alte Geist wird mit Nachkriegskunst, auch von einst verfemten Künstlern vertrieben. In diesem Ambiente werden derzeit auf dem Mezzanin Fotografien des Berliner Künstlers Albert Weis gezeigt.

Eigentlich ist das Haus nicht für Papierarbeiten gemacht, zu hell, nicht entsprechend klimatisiert. Und doch machen sich Weis’ Architekturfotografien gut an diesem ambivalenten Ort und laden zu manch gedanklicher Volte ein. Von den Tierskulpturen der Ausstellung „Was war Europa?“, die im großen Hauptraum auf Sockeln platziert sind, über die monumentalen Flügeltüren des Hauses bis zu den Raumkonzepten der Moderne in Weis’ Arbeiten. Die Utopie und das Scheitern schwingen überall mit.

Weis, 1969 in Passau geboren, untersucht in seinen Fotografien Architekturen der Baumeister Bruno Taut und Hans Scharoun, in diesem Fall die Berliner Philharmonie von Scharoun und die Siedlung Onkel Tom’s Hütte von Taut. Beide hat er aus ungewöhnlichen Blickwinkeln fotografiert. Weis nähert sich seinen Motiven mit dem Blick des Bildhauers – auch deshalb passt er gut an diesen Ort, der sich der Skulpturenkunst widmet.

Auswahl und Hängung der Fotos hat der Künstler selbst übernommen

Mit dem Werkkomplex „philharmonie“ begann Weis um 2010. Er tastet Scharouns Architekturikone aus den sechziger Jahren auf ambivalente, rätselhafte Details ab, und von denen gibt es in dem komplizierten Bau nicht wenige. Nur eine kleine, bewusst gesetzte Auswahl an Fotografien ist in Dahlem zu sehen, oft kombiniert mit gefalteten und bemalten oder mit Farb- und Rasterfolie beklebten Papierarbeiten. Diese „folder“ sind ein wichtiges Element in Weis’ Arbeit.

Eine großformatige Fotografie zeigt eine Detailaufnahme der runden, farbigen Glassteine in der Philharmonie-Fassade, sowie einen Ausschnitt einer Fensterfront, in deren Scheiben sich wiederum eine Lampe aus dem Innenraum spiegelt. Die Lampe weist die typischen Pentagon-Strukturen auf, die überall in der Philharmonie eine Rolle spielen und zur perfekten Akustik des Hauses beitragen. Auch damit hat Weis sich ausgiebig beschäftigt, er hat Skulpturen mit sich überlagernden Fünfecken gebaut, die in der Dahlemer Schau allerdings keine Rolle spielen.

Man konzentriert sich hier auf die Fotos und die Papierfaltungen. Die Auswahl der Arbeiten und ihre Hängung hat der Künstler selbst übernommen. Es ist Chefsache, denn das Entdecken von ähnlichen Strukturen und Formen, von verwandten Linien, Kreisen und Vielecken in den Fotografien der Philharmonie und den Papierarbeiten, ist Teil des Erlebnisses. Der Schattenwurf einer Betonfassade in einem Bild ähnelt einem Knick im Papier nebenan, die löchrige Struktur einer Verblendung in der Philharmonie findet sich in einer anderswo aufgeklebten Rasterfolie wieder. Das macht Spaß und gibt zugleich Einblick in das oft schwer fassbare Formenvokabular der Moderne.

Neuere Arbeiten zur Siedlung Onkel Tom’s Hütte

Der Bildhauer Bernhard Heiliger arbeitete und wohnte ab 1949 im Ostflügel des Atelierhauses, bevor es zum heutigen Kunsthaus Dahlem umgewidmet wurde. In seinem ehemaligen Atelier sind Beispiele seiner Arbeit zu sehen. Und auch Weis bezieht sich direkt auf eine Aluminiumskulptur von Heiliger. „Auftakt 63“, eine sich emporwirbelnde Ungeheuerlichkeit, steht im Foyer der Philharmonie. Weis hat nicht die beleuchtete Skulptur selbst, sondern deren Schattenwurf an der schrägen Decke des Foyers fotografiert. Ein grauer Schatten auf weißem Grund, der in Weis’ Pigmentdruck eine beeindruckend skulpturale Anmutung gewinnt. Und als wären Geister am Werk, soll dieser Druck Scharouns erster Skizze gleichen, der sogenannten „Urskizze“, die er für die Philharmonie angefertigt hat.

Etwas weniger Raum nehmen Weis’ neue Arbeiten zur Siedlung Onkel Tom’s Hütte ein. Eine große Fotografie mit ultramarinblauer Hauswand und laubig-grünem Baum ist mit Collagen und Papierarbeiten kombiniert. Darin erforscht Weis vor allem die Form und das Farbrepertoire der von Bruno Taut zwischen 1926 und 1931 erbauten Siedlung, die ja ganz in der Nähe des Kunsthauses Dahlem liegt. Mit geschärftem Blick sei ein Spaziergang empfohlen. Den kann man sogar noch weiter ausdehnen. Zeitgleich zur Präsentation in Dahlem ist nämlich im Zentrum für Aktuelle Kunst in der Zitadelle Spandau die Ausstellung „changes“ mit weiteren Arbeiten von Albert Weis zu sehen. Auch dort geht es mit großformatigen Metallskulpturen und Neonarbeiten unter anderem um Scharoun.

Kunsthaus Dahlem, bis 14. Januar, Mi-Mo 11-17 Uhr; Zitadelle Spandau, bis 6. Januar, Mo-So 10-17 Uhr

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